GRIP 67

7/10/2023

Die Filmkritik – eine schöne Nutzlosigkeit?

Der bereits dritte Kongress Zukunft deutscher Film im Rahmen des LICHTER Filmfest Frankfurt International widmete sich mit einem Panel auch der Zukunft der Filmkritik unter dem Titel „Abschied von Morgen – Krakauers Erben: Filmkritik zwischen Podcasts und dem Feuilleton“. Die jüngsten Thesen des Film- und Medienkritikers Georg Seeßlen gaben den Anstoß.

Von Claus Wecker

Der Kongress stand im Zeichen eines Jubiläums: Vor hundert Jahren wurde das Institut für Sozialforschung gegründet. Und mit Hilfe der Frankfurter Schule und deren Kritischer Theorie sollte nun auch eine Perspektive der Filmkultur skizziert werden. Unter der Leitung von Rüdiger Suchsland diskutierten die Niederländerin Dana Linssen, der YouTuber Wolfgang M. Schmitt, der Kritiker der Süddeutschen Zeitung (SZ) Philipp Stadelmaier und Rudolf Worschech, seinerzeit noch Redakteur der Zeitschrift epd film. Ein Audio-Kommentar von Georg Seeßlen, der selbstironisch mit einer Slideshow von wolkigen Filmplakaten und Schaukastenfotos zu diversen Fliegerdramen unterlegt war, sollte Anstöße geben, war aber, wie häufig bei Seeßlen, zu lang geraten, so dass wenig Zeit für die Diskussion blieb. „Die alte Filmkritik ist tot. Ich glaube an eine neue“, begann Seeßlen, um dann die These aufzustellen, dass jeder Mensch „ein Filmemacher und eine Filmkritikerin“ sei, seinen eigenen Film sehe und somit der letzte Produzent sei. Mit dieser Einleitung waren die Dämme gebrochen, die sich die professionelle Filmkritik bisher errichtet hatte.
Es gebe angesichts der Verfügbarkeit von Filmen auf den diversen Medien kaum noch Wissensvorsprung. Und nun sei ein goldenes Zeitalter der Filmkritik angebrochen, in dem auch Fragen gestellt werden könnten, auf die noch niemand gekommen sei.

Berufsstand in der Krise
In der Runde schloss sich ein Gedankenaustausch an, der die prekäre Lage des Berufsstands ansprach. Als Brotberuf ist die Tätigkeit heute nur in Ausnahmefällen darstellbar. Die von der evangelischen Kirche finanzierte Fachzeitschrift epd Film erscheint noch, während die Katholische Kirche mit dem Filmdienst nur noch im Internet präsent ist. In der FAZ und der SZ findet man immer weniger Filmkritiken. So kam Suchsland schnell auf das Internet zu sprechen, in dem der YouTuber Schmitt eine Erwerbsquelle gefunden hat. Zudem sei im Netz auch ein reger Austausch von Meinungen im Publikum möglich, was allgemein begrüßt wurde.

Filmlob als Kaufanreiz
Jede Filmkritik ist für das nicht professionelle Publikum zuerst einmal eine Mitteilung, dass es ein interessantes Werk überhaupt gibt. Eine seriöse Kritik, die den Film in Zusammenhang mit der Filmgeschichte betrachtet, ist nur noch in großen Tages- und Wochenzeitungen, die immer weniger Texte veröffentlichen, und Fachzeitschriften wie epd-Film zu finden. Die Kritiken diverser Online-Portale sind oft von den Presseheften der Verleiher nicht zu unterscheiden, was mit deren Kampf um Anzeigen zusammenhängt. Jede positive Kritik kann einen Kaufanreiz für eine Kinokarte, den Erwerb einer DVD oder eines Streamingabos setzen. Deshalb bedrängen Agenturen die Kulturredaktionen, dass für die von ihnen betreuten Filme Kritiken in dem jeweiligen Medium erscheinen. Und deshalb liest man im Netz kaum noch Verrisse.
So scheinen die schönen Motive für das Verfassen eines Textes mehr der Vergangenheit als der Zukunft der Filmkritik anzugehören. Es drohen Verluste wie die Selbstreflexion der Schreibenden (Worschech) oder die Aufgabe, den Film zu verlängern (Stadelmaier). „Der Spaß würde fehlen, wenn es keine Filmkritik gäbe“, sagte Linssen. Eine gute Filmkritik kündet unausgesprochen davon, dass der Film nicht ausschließlich eine Ware ist. Dieser Subtext könnte verloren gehen. Doch es fehlte die Zeit, diese Konsequenz auch auszusprechen.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

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