GRIP 66
12/19/2022
Neustart Kino – Die Jugend zählt
Das vom Bundesverband kommunale Filmarbeit (BkF) in Frankfurt koordinierte Projekt „Publikumsentwicklung Kinder und junge Menschen“ soll die junge Zielgruppe wieder ins Kino locken, vom studentischen Filmclub über Arthouse bis zum Multiplex. Im Projektverlauf werden verschiedene Veranstaltungsformate entwickelt und den Kinobetreibern als Best Practice-Angebot online zur Verfügung stehen. In Hessen richten sich zwei neue, bereits erprobte Projekte auch an die Kleinsten.
Von Andrea Wenzek
Die Publizistin Morticia Zschiesche erinnerte im Juni 2022 beim Bundeskongress der Kommunalen Kinos in Frankfurt an den Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann. 1979 mahnte er angesichts rückläufiger Besucher*innenzahlen und Kinoschließungen gerade im ländlichen Raum, die „wachsende Kinowüste wird auf die Dauer unsere lebenswichtige natürliche Augenneugier verkümmern lassen.” Die Notwendigkeit der öffentlichen Förderung von Kinos ergab sich für ihn aus dem Kulturauftrag der Gemeinden und aus der Feststellung, dass die stark öffentlich finanzierten Theaterbühnen für „viele Menschen aus Gründen ihrer Sozialisation” weniger zugänglich seien. Im Kino sah er hingegen das Potenzial, gesellschaftlich breite kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Das Kino scheint jedoch als sozialer Kulturraum für junge Menschen heute in Vergessenheit geraten zu sein.
Kino als Kulturraum für junge Menschen
Zur Sozialisation tragen nicht nur Klassenzugehörigkeit und Erziehung, sondern bekanntlich auch Kulturaktivitäten bei, doch wie kann man junge Menschen wieder für den analogen Kinoraum als Erlebnisort begeistern? Das beschäftigt nicht nur die öffentlich unterstützten Kinos des BkF. Bereits vor der Pandemie sollte mit BKM-Fördergeldern aus dem „Zukunftsprogramm Kino I“ insbesondere die Kulturarbeit von Filmtheatern auch für junge Menschen gestärkt werden. In der Tat reichen neue Kassensysteme und Popcornmaschinen schon lange nicht mehr aus, um die Jugend zurückzugewinnen, für deren Filmgenuss heute das Smartphone – nicht der Kinosaal – das bevorzugte „Endgerät“ ist. Auch um dem Jugendschwund entgegen zu wirken, stellte die BKM 2021 und 2022 jeweils 15 Mio. Euro für die Maßnahme Neustart Kino aus dem Programm NEUSTART KULTUR für pandemiebedingte investive Fördermaßnahmen in den Kinos bereit. Die genauen Regelungen für 2023 sind noch unklar.
Projekt Publikumsentwicklung
Die drei Kinoverbände HDF, AG Kino - Gilde und BkF taten sich 2021 zusammen und veranstalteten nicht nur die Innovationskonferenz „Cinema Vision 2030“, die sich auf der Berlinale 2023 fortsetzen wird. Ebenfalls im Rahmen von Neustart Kino stemmen die drei Verbände das Projekt „Publikumsentwicklung Kinder und junge Menschen“. Koordinator des Projekts ist der BkF in Frankfurt. In der ersten Projektphase sollen in einem Netzwerk konkrete Veranstaltungsformate entwickelt werden, sowohl eintägige, mehrtägige als auch wiederkehrende Veranstaltungsmodule, wie etwa Tage der offenen Tür, Workshops und Festivals. Eigene Ideen von den jeweiligen Standorten sind ausdrücklich erwünscht und können bis Mitte Januar 2023 eingereicht werden. Die Praxistauglichkeit der Formate wird in einer zweiten Projektphase in verschiedenen Kinos – vom studentischen Filmclub über das Arthouse bis zum Multiplex – getestet. Diese sollten wiederkehrend und auch an anderen Kinostandorten durchführbar sein. Informationen zu den Fortschritten des Projekts und einem baldigen Katalog der Veranstaltungsformate stehen den Kinobetreibern unter www.junges-kino.de zur Verfügung.
Und im Vorschulalter?
Das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Frankfurt packt das Problem bereits an seinen Wurzeln mit ihrer frühkindlichen Filmbildung. Im „MiniFilmclub“ erkunden Kinder von vier bis sechs Jahren die Dauerausstellung im Museum und sehen im Kino danach kurze Experimentalfilme aus der eigens entwickelten Edition. Danach können die Kinder auch ihren ersten Trickfilm durch Malen auf einem Filmstreifen herstellen. Und das von der FBW initiierte Mitmach- Kinderkino startet mit neuem Kurzfilm-Programm in die zweite Runde. Dank Unterstützung von HessenFilm können Filmtheater Kinder ab fünf Jahren mit ihren Angehörigen zu den Vorführungen kostenfrei einladen. Damit die Kleinen dem Kinosaal auch als Größere erhalten bleiben, bedarf es jedoch einer grundsätzlich umfassenderen Förderung von Kinos, wie etwa in Frankreich vor allem in der Provinz. Von daher bleibt Hilmar Hoffmanns Forderung nach wie vor aktuell.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: Institution, Kino, Filmkultur, Kulturförderung, Corona