GRIP 66

12/20/2022

Filmproduktionen damals und heute

Der Kinotag „Frankfurt schaut einen Film“ widmet sich mit vielen Veranstaltungen fortan einem in der Mainmetropole einst gedrehten Film. Diesen Herbst richtete sich der Blick auf den vor 30 Jahren in den Kinos gestarteten Kinoerfolg “Happy Birthday, Türke!” von Doris Dörrie. Der Produzent Gerd Huber erinnerte sich an die Dreharbeiten und sprach mit dem Autor und Regisseur Enkelejd Lluca über Produktionsbedingungen im Wandel der Zeit.

Von Markus Wölfelschneider

„Oh Gott, müssen wir da unbedingt hin?“ Zunächst waren die Mitarbeiter* innen nicht gerade begeistert, dass es zum Dreh nach Frankfurt gehen sollte, erinnert sich der Filmproduzent Gerd Huber. An den Wochenenden wollte dann aber niemand mehr zurück nach München. „Alle haben auf der Leipziger Straße beim Frühstück gesessen und es war Halligalli.“ Zusammen mit Enkelejd Lluca – Autor, Regisseur und Betreiber der Frankfurter Produktionsfirma behind the screens – war Huber am 30. Oktober in den Harmonie- Kinos zu Gast. Das vom Filmhaus Frankfurt organisierte und von Geschäftsführer Felix Fischl moderierte Gespräch war Teil des vom Film- und Kinobüro Hessen durchgeführten Kinotags „Frankfurt schaut einen Film“.

Mitten in Bockenheim
Im Frühjahr 1992 richtete die Münchner Produktionsfirma Cobra Film in der damals leerstehenden Boschfabrik, das wohlgemerkt einmal als Domizil des neu gegründeten Vereins Filmhaus Frankfurt vorgesehen war, in der Bockenheimer Voltastraße ihr Büro ein. Während der Dreharbeiten zu „Happy Birthday, Türke!“ waren dort Maske, Garderobe und Kostümfundus untergebracht. „Normalerweise befinden sich all diese Abteilungen nicht am selben Ort und man muss ständig hin- und herfahren. Das riesige Gelände war ein Glücksfall für uns.“ Auch einige Innenaufnahmen entstanden in der Boschfabrik. Die Crew wohnte im Hotel gegenüber. „Alleine schon, um Hotelkosten zu sparen, wollten wir mit möglichst vielen Filmschaffenden aus Frankfurt zusammenarbeiten. Es war aber schwierig, Personal zu finden.“ Viele Leute, die in Frage kamen, waren schon beim Hessischen Rundfunk verpflichtet.

Erst Schelte, dann Unterstützung
Nach einem unglücklichen Auftakt – es gab einen „ziemlich herben Brief“ aus dem hessischen Innenministerium, wo man alles andere als erfreut darüber war, wie die Frankfurter Polizei im Drehbuch dargestellt wurde – habe die Stadt Frankfurt, auf ausdrücklichen Wunsch der damaligen Kulturdezernentin Linda Reisch, die Dreharbeiten auf ganzer Linie unterstützt. Anekdoten wie diese sorgten für Lacher im Publikum.
Der Film kostete rund 3,9 Millionen Mark. Ein Großteil der Summe stellte das ZDF zur Verfügung. Von der Hessischen Filmförderung, die damals noch über ein wesentlich kleineres Budget verfügte als heute, gab es rund 39.000 Mark. „Die Art, Filme zu finanzieren hat sich nicht groß verändert“, sagt Lluca. „Einen TV-Sender sollte man auch heute noch immer mit dabei haben, wenn man einen Film produziert, weil dort das meiste Geld herkommt. Außerdem braucht man entweder eine Förderung auf Bundesebene oder mehrere Landesförderungen.“

Redaktionen reden heute mehr rein
Das Publikum erfuhr in dem Gespräch, an dem sich spontan auch Danny Krausz, damaliger Produktionsleiter des Films, und der Filmemacher Rolf Silber beteiligten, viel über alte und neue Sachzwänge, die Einfluss auf den kreativen Prozess des Filmemachens haben. Neben dem sogenannten Regionaleffekt werden inzwischen auch ökologische Nachhaltigkeit und mehr Diversität bei der Besetzung von Rollen eingefordert – ein Umstand, den Lluca begrüßt: „Der Vielfältigkeitsanspruch ist für mich total selbstverständlich.“ Auch machten Redaktionen inzwischen Vorschriften, wie etwas abzulaufen habe, sagt Huber. Bei den Dreharbeiten zu „Happy Birthday, Türke!“ habe er weitgehend freie Hand gehabt. „Das war ein Spaziergang damals.“ Heute bekomme man von den Redaktionen oft hineingeredet. „Das geht bis hin zu Kostümfragen.“ Die deutsche Filmbranche habe ein riesiges Nachwuchsproblem, findet Huber. An den Hochschulen würden zwar Regisseur*innen und Produzent*innen ausgebildet. Gebraucht werden aber auch Aufnahme-, Herstellungs- oder Produktionsleiter*innen. Neue Akteur*innen, wie zum Beispiel Netflix, würden diesen Mangel noch verstärken, weil sie ebenfalls auf die vorhandenen Kräfte zugreifen. Lluca kontert mit dem Ausbildungsprogramm „STEP“, das von der Hessischen Filmförderung finanziert wird. Dort würden Praktika gerade auch in jenen Bereichen ermöglicht, die an den Filmhochschulen nicht unterrichtet werden – Aufnahmeleitung oder Requisite zum Beispiel. „Das finde ich toll.“

Das Gespräch ist auf dem Youtube-Kanal des Filmhaus Frankfurt abrufbar

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Filmhaus Frankfurt, TV/Rundfunk, Diversität, Ökologie, Filmförderung, Institution

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