GRIP 66
12/20/2022
Ein guter Film reicht nicht mehr aus
Anlässlich des Jubiläums der „Filmtage Globale Perspektiven“ wurde im September zur Veranstaltung „50 Jahre Dokumentarfilme über den Globalen Süden“ ins Haus am Dom geladen. Medienvertreter*innen diskutierten die heutigen digitalen Produktions- und Distributionswege. Sie ermöglichen den Protagonist*innen und Filmschaffenden vor Ort mehr Teilhabe. Doch unzureichende Vergütung und Unterfinanzierung von Filmprojekten bereiten den Dokumentarfilmer* innen nach wie vor Existenzsorgen.
Von Birgit Schweitzer
Ein halbes Jahrhundert schon veranstaltet die „AG Fernsehworkshop Entwicklungspolitik“ mit ihren rund 20 Mitglieds- und Partnerorganisationen die Tagung für die nicht gewerbliche Filmarbeit. Vor allem mit der Sichtung aktueller Filme diskutieren dort Medienexpert*innen und Filmschaffende Weltbilder über den Globalen Süden. Bettina Kocher, ehemals langjährige Geschäftsführerin der AG, erinnerte einleitend an den Aufbruch und die Notwendigkeit des „Fernsehworkshops Entwicklungspolitik“, wie man die Tagung bis 2017 nannte. In dem 1972 formulierten Gründungskonzept hieß es: „Sinn der Veranstaltung ist es, das Verständnis für die Entwicklungsländer und ihre Menschen zu wecken und die Möglichkeiten der Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik bewusst zu machen, indem eine sachgerechte Information durch Sendungen des Fernsehens und durch Filme in Unterricht und Erwachsenenbildung gefördert wird.“
Dokumentarfilm als brotlose Kunst
Die Frage nach dem Umgang mit Filminhalten in der Bildungsarbeit stand beim anschließenden Panel jedoch nicht zur Debatte, es ging um die Arbeit der Dokumentarfilmschaffenden. Ehrengast Peter Heller, der seit 1973 zahlreich ausgezeichnete Dokumentarfilme, unter anderem über kolonialgeschichtliche Themen in Afrika realisiert, eröffnete mit dem Statement, dass er nie Filme über den Globalen Süden gemacht habe, „sondern über uns und was wir dort machen“. Anfangs habe er „Afrikaner als Marionetten, als Opfer im Spiel“ genutzt, „so wie es meine Großväter getan haben, nur für den Film“. Dies habe sich verändert, seitdem er Afrika besser kenne. Es gebe inzwischen Menschen dort, die ihn seit 50 Jahren begleiten und Teil des Drehteams wurden. Das Verhältnis sei nun auf Augenhöhe – auch dank der Veränderung der Filmtechnik: „Von der Befreiungsideologie zur Befreiungstechnologie. Wir können Rohschnitte über die Entfernung besprechen, früher musste das Filmmaterial hin- und herreisen“. Mit der Dorfbevölkerung kann er vor Ort schon Filmausschnitte anschauen. Dieser Austausch sei ein Gewinn, schwieriger dagegen die Frage des Budgets. Provokant brachte Heller es für den Nachwuchs auf den Punkt: „Ein Filmstudium Richtung Dokumentarfilm ist die Herstellung Arbeitsloser von morgen“.
Anna Schoeppe, Geschäftsführerin der HessenFilm und Medien, gab hingegen zu bedenken, dass das erhöhte Angebot an Streaming- Inhalten dafür gesorgt habe, dass so viel produziert werde wie niemals zuvor. Für Filmemacher*innen würden so mehr Arbeitsmöglichkeiten bestehen. Es sei aber auch eine Frage der Perspektive: „Wer erzählt in Zukunft welche Geschichten?“, dies würde Schoeppe bei ihrer alltäglichen Arbeit und auch als Zuschauerin umtreiben.
Nutzen und Schaden der Mediatheken
Eine rege Diskussion mit dem Plenum entbrannte über die Nutzung der Filme in den Mediatheken, die für Filmemacher*innen mehr ökonomischen Schaden als Nutzen brächten, so Heller. Das an den Userzahlen orientierte Vergütungsmodell für die Mediatheken- Nutzung steht in der Tat immer noch aus, auch wenn die AG DOK, Co-Veranstalter des Panels, sich zumindest mit der ARD Ende letzten Jahres auf gemeinsame Vergütungsregeln hat einigen können. Auch für die Verleiher birgt das frühe Streaming ihrer Filme in den Mediatheken ein hohes Risiko. Danach sei keine Filmauswertung mehr möglich, meinte Harald Hackenberg vom Katholischen Filmwerk. „Dabei werde ich nicht reich“, betonte auch Julia Peters von jip film, deren Verleih mit Leidenschaft Filme aus dem Globalen Süden ins Kino bringt.
„Wir haben den Anspruch, diesen Teil der Welt auf vielfältige Weise auf allen Sendeplätzen zu zeigen und andere Blickwinkel zu eröffnen“, betonte Martin Pieper, Redaktionsleiter bei ZDF/Arte. Er verwies unter anderem auf die Filmreihe „Generation Africa – Migration neu erzählen“; 25 von afrikanischen Regisseur*innen realisierte Werke der Reihe sind in der Arte-Mediathek bis in das Jahr 2025 abrufbar. „Natürlich wollen wir, dass diese Filme gesehen werden und eine weite Verbreitung finden“. Die Arbeit der Redaktion verlagere sich deshalb immer mehr auch auf das Marketing. „Nur einen guten Film zu haben, reicht nicht mehr aus“, erklärte er.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Dokumentarfilm, Sozialversicherung, Filmwirtschaft, TV/Rundfunk, Filmförderung
