GRIP 50
5/1/2014
Die Filmgeschichte ist nicht teilbar
Mit der Digitalisierung des Filmerbes darf nicht der Erhalt der Originalkopien aus dem Blick geraten
Von Ernst Szebedits und Anke Wilkening
Die dringend notwendige Digitalisierung des kulturellen Filmerbes ist aktuell in aller Munde. Die Anpassung an technologische Evolutionssprünge war für Archive schon immer Thema, um das Filmerbe zu erhalten und öffentlich zugänglich zu machen. Am Beispiel der Fernsehauswertung wird dies deutlich: aufgrund der sich wandelnden Vorführformate hat die Murnau-Stiftung ihre Filme alle 5 bis 10 Jahre auf ein neues, den jeweiligen Sendenormen entsprechendes Format gebracht. Finanziert wurde dies durch Erlöse aus Lizenzverkäufen.
Nun kommt erstmals ein neues Kinoformat hinzu. Rund 600 Titel des Filmstocks der Stiftung stehen aktuell für den Verleih als 35mm Kopien zur Verfügung. Im Zeitalter digitaler Projektion ist die Sichtbarkeit des historischen Filmerbes nicht mehr gesichert, denn es müssten die auf analogen Trägern vorliegenden Filme hochauflösend digitalisiert werden, um im Kino, im Homevideobereich oder Fernsehen sichtbar zu bleiben. Die Bereitstellung dieser Titel in digitalen Formaten ist allerdings nicht mehr durch die Erlöse aus Lizenzverkäufen zu finanzieren.
Digitalisierung des Filmerbes heißt aber nicht nur, aktuelle Formate zu bedienen, sondern vor allem auch die langfristige Sicherung und Verwaltung der entstehenden Daten zu gewährleisten. Bereits in der analogen Welt ist die Sicherung des Materials ein komplexer Prozess. Er besteht auf der einen Seite im physischen Erhalt des Originalmaterials im Sinne des Kameranegativs oder einer zeitgenössischen Verleihkopie. Zum anderen besteht er darin, von Originalen neue Master durch fotochemische Reproduktion zu erstellen, um ein möglicherweise gefährdetes Original in Form eines sogenannten Sicherungsstücks auch zukünftig zu erhalten.
Zu dieser Aufgabe kommt nun die Sicherung digital produzierter oder digitalisierter Filme hinzu. Die Notwendigkeit einer fortwährenden Datenumwandlung macht die digitale Sicherung zu einer ökonomischen und technischen Herausforderung, deren Folgen nicht abzusehen sind. Die bisher für die Digitalisierung des Filmerbes zur Verfügung gestellten Fördermittel durch den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) und die Filmförderungsanstalt (FFA) beinhalten lediglich den Prozess der Digitalisierung selbst. Die digitale Langzeitsicherung bleibt dabei weitgehend unberücksichtigt.
Wichtige Titel aus dem Bestand der Murnau-Stiftung konnten in den letzten zwei Jahre mit Hilfe dieser Fördermittel hochauflösend digitalisiert werden. Damit liegen wichtige Klassiker wie Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) oder Wilhelm Thieles "Die drei von der Tankstelle" (1930) als zeitgemäße Master für Kino, TV und den Homevideobereich vor. Neben diesen und weiteren Klassikern konnten aber aus dem Fundus weniger bekannter Werke der Filmgeschichte nur vereinzelte Titel wie etwa Johannes Guthers "Der Turm des Schweigens" (1925) digitalisiert werden.
Filmgeschichte besteht aber nicht nur aus Meisterwerken. Auch die Massenproduktionen, vergessene und vernachlässigte, aber auch unbequeme Werke, müssen zugänglich bleiben. Auch die Produktionen aus der Zeit des Nationalsozialismus gilt es technisch auf den neuesten Stand zu bringen.
Die aktuelle Berichterstattung, aber auch berechtigte Bemühungen wie die Petition von Filmemacher Helmut Herbst, Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier und Filmhistoriker Jeanpaul Goergen bergen die Gefahr von Missverständnissen in sich. So insinuiert das Schlagwort „Digitalisierung des Filmerbes“, dass mit der Digitalisierung der Erhalt des Filmerbes schon erreicht sei. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass die Sicherung des analogen Filmmaterials als Aufgabe unverändert bestehen bleibt.
Insofern wäre die Digitalisierung der Bestände, worauf die Petition abstellt, nur ein Teil der verantwortlichen Archivleistung, nämlich so für die Aufführbarkeit der Titel in digitalen Formaten zu sorgen. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dadurch der Erhalt der analogen Originale nicht erledigt hätte. Darin verbirgt sich ein zusätzliche Herausforderung, die in der aktuellen Debatte leicht in Vergessenheit zu geraten droht.
* Ernst Szebedits ist Vorstand der Murnau-Stiftung,
Anke Wilkening Restauratorin der Murnau-Stiftung
Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)
Schlagworte: Institution, Digitalisierung, Filmtheorie/Filmwissenschaft, Filmkultur
