GRIP 40

5/1/2009

Frankfurt liefert ihm Geschichten

Porträt des Autors und Regisseurs Rolf Silber

Von Claudia Prinz

In Frankfurt am Main ist er der einzige Spielfilmregisseur, der es zu landesweiter Anerkennung und vollen Kinokassen gebracht hat. Dass Rolf Silber noch immer in der Main-Metropole lebt, liegt daran, dass seine Frau hier den perfekten Job als Lektorin gefunden hat, sonst wäre er schon längst weg, nach Berlin oder vielleicht nach Hamburg.

Hinzu kommt aber auch eine gewisse Heimatverbundenheit des gebürtigen Rodgauers. Frankfurt war immer die nächste Großstadt. Und als Drehbuchautor findet er sie noch heute sehr reizvoll. Der Druck, den die sozialen Gegensätze hier erzeugen, inspiriere ihn, helfe, Themen zu finden.

Und schließlich hat sich ein wichtiger Teil seiner eigenen Biographie in Frankfurt abgespielt: in den 1970er Jahren war er am Häuserkampf beteiligt, in den 1980er Jahren am Widerstand gegen die Startbahn West - häufig mit der Kamera in der Hand. „Keine Startbahn West“ hieß denn auch der erste abendfüllende Film, den er nach dem Studium an der Berliner DFFB verwirklichte.

Frankfurt biete ihm die Möglichkeit, so der Regisseur und Drehbuchautor, sich in Lebenszusammenhänge zu begeben, die manchmal außerhalb seines Sozialisationshorizonts liegen, etwa als kurzzeitiges Mitglied der MC Bones, eines Motorradrockerclubs, in den er mit seiner 250ccm Maschine nur ausnahmsweise aufgenommen worden sei. Die Bones fusionierten später mit den Hell’s Angels und beherrschen heute einen Teil des Bahnhofsviertels. Stoff eigentlich für einen Film, aber daraus ist noch nichts geworden.

Im Neuen Deutschen Film findet Silber sich nicht wieder: „Ende der 70er Jahre gab es im Film die Hochkultur und den Dreck, dazwischen gab es nichts. Das war eine Dichotomie, die ich schrecklich fand", moniert Silber noch heute. "Intelligente, unterhaltend erzählte Filme sind dazwischen völlig untergegangen. Als ich hier in Offenbach den „Kassensturz“ realisiert habe, immerhin der erste Kinofilm aus Offenbach, wurde das damals mit der Aberkennung der intellektuellen Ehrenrechte bestraft. Ich hatte mir in einem Filmjahrbuch den Vorwurf eingehandelt, ich sei ein politisches Unterseeboot von CSU-Innenminister Zimmermann. Ich als Frankfurter Sponti. Bloß weil wir eine Komödie gemacht und mit Luggi Waldleitner koproduziert hatten, war klar, mussten wir im anderen Lager stehen.“

Anfangs produzierte Rolf Silber seine Filme selbst. Er war 1980 Mitbegründer der Frankfurter Filmproduktion (heute FFP-Entertainment) und blieb 10 Jahre lang ihr Mitinhaber. Unter diesem Dach wurde er schließlich auch zum Geburtshelfer von „Käpt’n Blaubär“ als TV-Star in der „Sendung mit der Maus“. Zusammen mit der Trickfilmfirma Madbox entstanden bei der FFP die ersten 96 Folgen der Animationsserie; in Abstimmung mit dem Buchautor Walter Moers schrieb Rolf Silber 30 Drehbücher und war maßgeblich an der Ausgestaltung der Figuren beteiligt.

Es war die Zeit, in der man mit den Kinderfilmen die Verluste ausgleichen mußte, die bei der Produktion von Kinofilmen entstanden waren. Denn „Kassensturz“ machte ein sattes Minus. Es mußte eine Fülle von „Sandmännchen“ und anderen Animationsfilmen fürs Fernsehen produziert werden, damit die Firma nicht In Konkurs gehen sollte.

Nach vielen TV–Movies, der Fernsehserie „Lauter nette Nachbarn“ und dem vielbeachteten Tatort „Schlüssel zum Mord“ wagte sich Rolf Silber erst 1996 wieder an einen Kinofilm und landete gleich einen Volltreffer. „Echte Kerle“ lockte weit über eine Million Zuschauer in die Kinos, ein echter Kassenschlager. Nicht nur deshalb ist er der vorläufige Liebling unter Silbers eigenen Werken: „Ich habe ein ganz seltsames Verhältnis zu meinen Filmen. Grundsätzlich bin ich mit ihnen immer kreuzunzufrieden, wenn sie fertig sind, weil ich sehe, was ich anders hätte machen müssen. Ich kann sie mir erst nach vier, fünf Jahren wieder angucken und dann bin ich relativ verdutzt und finde sie gar nicht so übel. Und da war ‚Echte Kerle’ in mehrfacher Hinsicht ein Glücksfall. Einmal, weil ich einen Film umsetzen durfte, für den ich neun Jahre gekämpft hatte, dann, weil wir ihn hier in Frankfurt herstellen konnten und schließlich war er auch noch ein Erfolg, obwohl uns ‚Der bewegte Mann’ eigentlich zuvorgekommen war.“

Es folgen weitere Fernsehfilme, meist Komödien, „Polizeirufe“ mit Standort Offenbach, in denen alle lokalen Schauspieler zu Ehren kommen, die noch die wirkliche Hessische Mundart beherrschen, sowie die Comedyserie „Die Boegers“, deren Konzept und Drehbücher Silber zusammen mit Rudi Bergmann verfasst hat. Dann gründen Bergmann, Silber und drei weitere Gesellschafter 1997 die U5, die bis heute erfolgreichste Produktionsfirma am Ort, die inzwischen über 30 Filme produziert hat. Ein kleines Wunder, so Silber, da es doch schwer sei, in Frankfurt eine TV-Produktionsfirma am Leben zu erhalten, kämen doch vom ansässigen ARD-Sender, dem hessischen Rundfunk, keinerlei Auftragsproduktionen, wie das normalerweise der Fall wäre in einer Stadt mit einer ARD-Anstalt dieser Größenordnung.

So erwartet Rolf Silber auch von Seiten der Hessischen Filmförderung nicht viel. „Es wird zusehends schwerer in Frankfurt. Die Filmförderung in Hessen hat zwar ein paar gute Ansätze, aber die Vergabepraxis, so wie sie sich auswirkt, das müsste sich ein bisschen sinnvoller und schwungvoller gestalten. Man müsste sehr viel stärker die Aktivitäten im eigenen Land fördern. Es ist ja ganz schön, wenn Til Schweiger nach Höchst ins Krankenhaus kommt und dort eine Woche dreht und die Hessische Filmförderung das mitfördert. Aber der lokalen Filmwirtschaft hilft das nicht wirklich auf die Beine. Für die Postproduction-Häuser ist die Lage gut. Aber man müsste eben auch die Strukturen stärken. Damit man eigene Filme, die hier entwickelt sind, auch komplett hier durchführen kann. Doch da hakt es immer noch.“ Ein Rufer in der Wüste, seit 20 Jahren.

Sein neuester Fernsehfilm „Durch diese Nacht“, für das ZDF hergestellt (Sendetermin Mai 2009) lag Rolf Silber besonders am Herzen. Dass es diesmal keine Komödie war, sondern ein Drama, lag daran, dass der Film auf eigenen schmerzlichen Erfahrungen basiert. Nach der Fertigstellung von „Echte Kerle“ erwischte ihn eine sehr schwere Krankheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie überlebte, lag bei 2% und die Ärzte gingen davon aus, dass schwerste Behinderungen zurückbleiben könnten. Acht Jahre habe er gebraucht, bis er sich darüber im klaren war, auf welche Weise diese Erfahrung erzählbar wäre, als absurde Komödie oder als Drama. "Es wurde kein autobiografischer Film, aber er versucht zu zeigen, wie man sich fühlt, wenn man für eine bestimmte Zeit in seinem Körper eingeschlossen ist", resümiert der Filmemacher

Hat ihn diese Erfahrung damals verändert? „Die körperlichen Symptome der Krankheit waren nach vier Monaten verschwunden, aber bis die Seele wieder gesundet war - das hat ein dreiviertel Jahr gedauert. Ein paar Sachen werden einfacher, wenn man schon mal so halb drüben gestanden hat. Man lebt dann gewissermaßen Extrazeit, weil man schon aussortiert war. Aber es hat sich nicht der Effekt hergestellt, dass einen die große Erkenntnis befällt. Man bleibt doch weitgehend man selbst.“


Filmografie (Auswahl)
1981 „KEINE STARTBAHN WEST“ Dokumentarfilm, Co-Buch, Co-Regie, Co-Kamera

1983 "KASSENSTURZ" Spielfilm, Drehbuch & Regie

1985 "RODGAU MELODIES" Musikfilm. Regie.

1980 - 92 Zahlreiche Arbeiten für das Vorabendprogramm und Kinderfernsehen als Autor, Regisseur, Cutter, Produzent, u.a. 30 Drehbücher für KÄPTEN BLAUBÄRS SEEMANNSGARN

1989 "LAUTER NETTE NACHBARN" Fernsehserie Drehbuch & Regie

1991 "FÜNF ZIMMER, KÜCHE, BAD" TV-Film, Regie.

1995 "TATORT - SCHLÜSSEL ZUM MORD" TV-Film, Drehbuch

1995 "ECHTE KERLE" Kinofilm, Drehbuch & Regie

„Polizeiruf 110 – KLEINER ENGEL“ TV-Film, Drehbuch

2000 DIE BOEGERS“, Comedy-Serie, Konzept und vier Drehbücher.

„MILLIONÄR & STRIPPERIN“, TV-Film, Drehbuch

2003  „BLINDFISCH“ Kinofilm, Drehbuch

2005 „WAS FÜR EIN SCHÖNER TAG“ TV-Film, Buch & Regie

2006 „EIN TEUFEL FÜR FAMILIE ENGEL“ TV-Film, Buch & Regie

2006 „DURCH DIESE NACHT“ TV-Film, Buch & Regie

2008 „FÜR MEINE KINDER TU ICH ALLES“ TV-Film & Buch

2008/9 „DER MANN AUF DER BRÜCKE“ TV-Film Buch & Regie

 IN VORBEREITUNG
  HUNS ON THE RUN Regie & Buch.
 DER SALON – Kinofilm Buch Regie.
  HANNES & JULIE – Kinofilm Buch Regie.

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Filmemacher*in, Spielfilm, Drehbuch, Filmproduktion, TV/Rundfunk

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