GRIP 37

11/1/2007

Was bringt das digitale Kino?

Erfahrungen mit dem neuen Medium in hessischen Kinos

Von Paul-Rainer Wicke

Der 35-mm-Film – bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es diese wunderbare Erfindung und noch bis heute ist sie, immer weiter verfeinert, weltweit Standard bei der Aufnahme und Wiedergabe bewegter Bilder im Kino. Mit dem 35-mm Format kann man kleine Studiosäle genauso gut bespielen wie die riesigen Leinwände der Megaplexe. Handelt es sich um einen abendfüllenden Film, so ist die dafür erforderliche Kopie circa 3.000 Meter lang, wiegt etwa 30 kg und muss in großen Kisten transportiert werden. Eine Kinokopie kostet immerhin 1.000 EURO, so dass sich ein Filmverleiher gut überlegen muss, wie viele er davon ziehen lässt, wenn er einen Film herausbringt.

Damit ist es bald aus. Das Kino wird digital. Das Wort ‚Film’ kann dann die Journaille endlich nicht mehr mit ‚Streifen’ umschreiben, denn der Film wird körperlos, alles Materielle entfällt. In Zukunft kommen die ‚Filmdaten’ via Satellit oder mobiler Festplatte auf einen Server in die Vorführräume, in denen sich kein einziges Röllchen mehr dreht. Lediglich ein hoch auflösender Beamer arbeitet hier noch.

Die Vorteile der digitalen Revolution liegen klar auf der Hand: Die Qualität ist zwar nicht besser als beim 35-mm-Film, dafür aber stets gleich bleibend; die immensen Kosten für die Kopienherstellung entfallen, es gibt keine Engpässe mehr bei der Belieferung, die Daten sind prinzipiell für jedes Kino zum Start eines Films verfügbar. Die Festlegung auf eine universelle Norm analog zum 35 mm-Standard ist von den marktbeherrschenden Hollywood-Studios bereits erfolgt (DCI-Richtlinie), die digitalen Projektoren sind in der Praxis erprobt, der Umstellungsprozess wäre technisch in einem Zeitraum von fünf Jahren abzuwickeln.

Also hätte es eigentlich schon längst losgehen können, wäre da nicht die ungeklärte Frage der Finanzierung dieser flächendeckend sehr teuren Umstellung. Wenn in Deutschland etwa 3.500 Kinos umstellen, dann besteht bei 60.000 EURO Kosten pro Saal ein Finanzierungsbedarf von 210 Millionen. Euro. Erwartet wird, dass ein Großteil der Kosten dafür von den Filmverleihern getragen wird, die durch den Wegfall der 35-mm Kopien in den Genuss erheblicher Einsparungen kommen werden. Ein weiterer Teil dürfte von den öffentlichen Förderern aus Bund und Ländern kommen und der Rest von den Kinos.

Die Kinos aber werden aus der Digitalisierung bei gleichem Filmangebot keinen einzigen Euro Mehrumsatz generieren, vielmehr mit höheren laufenden Betriebskosten zu rechnen haben. Warum sollte also eine unter ständigen Umsatzeinbrüchen leidende Branche angesichts der bewährten analogen Technik einen Systemwechsel forcieren? Und wäre es nicht eine kuriose Situation, wenn sich die Kinos die hauseigene Technik von ihren Lieferanten, den Verleihern, bezahlen lassen müssten? Die Diskussion darüber wird wohl noch eine ganze Weile andauern, der von den Technik-Herstellern ersehnte digitale ‚Roll-Out’ noch auf sich warten lassen.

Die Kostenkalkulation für das digitale Kino (‚D-Cinema’) und auch die DCI-Richtlinie orientieren sich an den großen Multiplex-Leinwänden mit über 15 Metern Bildbreite. Hier müssen die bildgebenden Panels in den Beamern eine Auflösung von mindestens 2k (2.000 Pixel in der Bildbreite) aufweisen, besser aber 4k, um an die Qualität einer guten 35-mm-Kopie heranzukommen. Anders sieht es aus für Leinwände von unter 10 Metern Bildbreite, von denen es ja immer noch eine ganze Menge gibt – wie Studiokinos, traditionelle Kinocenter und Landkinos. Hier entsteht ein pixelfreier Bildeindruck auch schon bei einer Auflösung von 1,4k, woraus sich zwei wesentliche Vorteile ergeben: diese Anlagen (‚E-Cinema’) sind wesentlich billiger, bieten aber als offene Systeme, ergänzend zur analogen Projektion, eine ganze Reihe zusätzlicher Einsatzmöglichkeiten.

So nutzen einige Kino das E-Cinema schon jetzt zur Steigerung ihrer Werbeeinnahmen im Vorprogramm, indem sie regionale Auftraggeber gewinnen, deren kostengünstig am PC erstellte Spots mittels Beamer projiziert werden. Immer mehr Arthouse-Verleiher stellen ihre Filme parallel zur 35-mm-Kopie auch in digitaler Fassung fürs E-Cinema zur Verfügung. Die dahinter steckende Marktstrategie ist ganz einfach: So können auch Kinos außerhalb der Großstädte Arthouse-Filme mit niedriger Analog-Kopienzahl zum Bundesstart mitspielen.

Hessisch geförderte Filme und kleinere Produktionen von Nachwuchsfilmern werden mittlerweile kostengünstig immer häufiger in digitalen HD-Formaten produziert. Ihre Präsentation im Kino, für das sie ja gemacht werden, geht noch immer mit einer sehr teuren Abtastung auf 35-mm-Film einher, die künftig mit dem E-Cinema entfällt. Denn diese digitalen HD-Filme können hier ohne Qualitätsverlust und im richtigen Seitenverhältnis adäquat vorgeführt werden. Die gesamte Herstellungskette vom Dreh über die Postproduktion bis hin zur Projektion auf der Kinoleinwand ist damit digital.

E-Cinema gewinnt auch an Bedeutung für die Nutzung der Kinosäle im Rahmen von Präsentationen von Firmen oder Vereinen, die überwiegend mit DVD-Formaten arbeiten. Darüber hinaus sind auch Live- und TV-Einspielungen im HD-Format möglich, mit denen einige Kinos schon heute besondere Events veranstalten und damit zusätzliche Einnahmen generieren. Aber auch für das Abspiel von Klassikern, die auf 35-mm nicht mehr oder nur in sehr schlechter Qualität verfügbar sind, ist E-Cinema eine gute Lösung.

Natürlich kann diese niedriger auflösende Projektionstechnik keine Lösung für die gesamte Branche sein, auch soll mit E-Cinema einem 2-Klassen-Kino kein Vorschub geleistet werden. Aber wie auch immer zukünftige einheitliche D-Cinema-Lösungen aussehen werden – ihre Server-Systeme müssen zumindest so offen gehalten sein, dass der hier dargestellte gesamte Bereich des ‚alternativen Content’ uneingeschränkt realisierbar bleibt. Die Kinos sollen auch mit der neuen Technologie weiterhin in der Lage sein, in Kenntnis ihres Publikums vor Ort selbständig Programme gestalten zu können. Nur so ist auch eine öffentliche Förderung zu rechtfertigen.

Die zehn hessischen Kinos, die bereits vor drei Jahren an dem unter anderem durch das Land Hessen geförderten Modellversuch zur Einführung des Digitalen Kinos (‚European Docuzone’) teilgenommen haben, äußern sich aus heutiger Sicht durchweg positiv über die Möglichkeiten des Electronic Cinema. 15 weitere hessische Kinos haben kürzlich einen Antrag zur Förderung eines E-Cinemas an die Hessische Filmförderung gestellt. Mit der öffentlichen Unterstützung soll die Bedeutung der Kinos als moderne Medienzentren gestärkt werden, die heute selbstverständlich in der Lage sein müssen, alle neuen digitalen Formate auf großer Leinwand präsentieren zu können.

Paul-Rainer Wicke ist Projektleiter im Film- und Kinobüro Hessen e.V.

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Kino, Filmtechnik, Verleih

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