GRIP 37
11/1/2007
Format-Zwang oder Freiheit der Gestaltung?
Zu Gast in der Dokumentarfilmwerkstatt von AG-DOK und Filmhaus Frankfurt: TV-Trainer Gregor Alexander Heussen
Von Ole Weissenberger
Gregor Alexander Heussen, früher selbst Filmemacher, konzentriert sich heute auf Seminare und Coachings für Redakteure der Rundfunkanstalten, oft in Zusammenarbeit mit der Medienakademie von ARD und ZDF. Eine zentrale Aussage des „Systems Heussen" lautet: Für journalistische Filme und Hörfunkbeiträge ist die Dramaturgie eine wesentliche Grundlage, damit die Sendungen im Sinne der Information wirken können.
Heussen eröffnete den Abend, der in Kooperation zwischen AG-Dok und Filmhaus Frankfurt stattfand, mit einem Beispiel aus der Redaktionspraxis. Eine Fernsehredaktion möchte einen Film über die Varusschlacht machen. Das 2000-jährige Jubiläum der Schlacht stehe an. Doch wen interessiert das? Heussen argumentiert, dass ein solcher Film nur Sinn mache, wenn man eine Verbindung zur Lebenswelt der heutigen Fernsehzuschauer schaffen kann, das heißt den den Zuschauer gewissermaßen „emotional aufzuschließen" vermag. Sein Vorschlag: Varus wollte den Germanen den „Roman way of life" aufzwingen. So wie die Amerikaner das heute weltweit mit ihrem „American way of life" versuchten. Dazu habe der Zuschauer einen Bezug, die Varusschlacht ist ihm unmittelbar nähergebracht.
Jede Filmhandlung, so Heussen, egal ob 90-Sekünder oder langer Dokumentarfilm, brauche zunächst einen Erzählsatz, der kurz beschreibt, was die eigentliche Geschichte und wer die „Hauptfigur" ist. Dabei muß die Hauptfigur kein Mensch sein. Es kann sich auch um einen Mercedes oder eine Ortschaft in einem Reisefilm handeln. Es gibt auch abstrakte Hauptfiguren, wie beispielsweise den Beruf des Dolmetschers.
Weiterhin müsse es einen „Roten Faden" geben, der den Zuschauer durch die Handlung führt. Und last but not least sei eine „Textperson" unumgänglich, die für den Zuschauer eine Erzählperspektive repräsentiert, die er sich zu eigen machen kann. Dazu sollen mit filmischen Mitteln emotionale und argumentative Ziele formuliert werden: Welches Gefühl soll der Zuschauer zur Hauptfigur haben, was ist ihre Ausgangsposition, welche Hindernisse muss sie überwinden, um welches Ziel zu erreichen?
Denn per se interessieren sich Menschen nicht so ohne weiteres für Fakten, sagt Heussen. Man müsse sie zur Informationsaufnahme begeistern. Die Zuschauer müssen merken: Das könnte etwas mit mir zu tun haben. Ein Film muss seinen Zuschauer sofort fesseln („Wenn ein Mensch emotional berührt ist, kann er sich nicht wehren"), weswegen Heussen die Bedeutung von Filmanfänge betont und die dafür einige anschauliche Filmbeispiele mitbrachte.
Ein Film über tierische und pflanzliche Zellen, ein eher trockenes Thema, ist dadurch ins Blickfeld gerückt, daß filmische Elemente aus anderen, und bekannten Zusammenhängen vorausgeschickt sind: ein reißerischer Vorspann aus Star Wars und hektische Großstadtszenen als Synonym für die Bewegungen einzelner Zellen im Körper. In einem anderen Film wieder sehen wir eine 103jährige Klavierspielerin, die Chopin spielt. Die kommentarlose Exposition dauert minutenlang, in einer Einstellung, lediglich durch behutsame Kamerabewegungen gelockert. Das weckt Neugier: Wer ist sie, warum spielt sie, wie kam es dazu?
Im dritten Beispiel wird auf die dramaturgische Fallhöhe gesetzt: ein Projekt, bei dem Jugendliche aus sozialen Randgruppen ein Musikprojekt mit den Berliner Philharmonikern angehen. Der Film fängt mit Rap und Hochhausghettobildern an. Durch die Diskrepanz der beiden Gruppen zueinander entsteht eine Fallhöhe, die den Zuschauer hineinzieht. Werden es die Jugendlichen schaffen?
In der abschließenden Diskussion wird bemängelt, wie sehr das „System Heussen" zur Blickverengung für viele Redakteure und Autoren schon geführt habe. Da müßten, so einige der Diskussionsteilnehmer, ganz schematisch die Begriffe wie „Roter Faden", „Erzählfigur" im Treatment vorkommen, wolle man sein Thema in den Redaktionsstuben verkaufen. Dagegen hielt Heussen, dass es sich bei seiner Methode lediglich um ein Gerüst handele, dem sich aber nicht sklavisch beugen sollte. Andere Wortmeldungen aus dem Publikum schließlich beklagten, wie schwer es sei, Redakteure überhaupt auf Themenvorschläge aufmerksam zu machen. Und daran ändere, so das Fazit, wohl auch die "Methode Heussen" nichts.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Dokumentarfilm, Filmhaus Frankfurt, Ausbildung/Weiterbildung/Studium, TV/Rundfunk
