GRIP 37
11/1/2007
Das digitale Kino kommt.
Fragt sich nur: Wann und Wie? Ein Überblick zum Stand der Dinge.
Von Reinhard Kleber
Digital oder analog? Diese Frage nach der Zukunft des Kinos stellt nach Ansicht der meisten Medienexperten schon nicht mehr. Allenfalls ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der seit längerem erwartete digital roll out einsetzt. Die flächendeckende Umstellung von analoger auf digitale Projektion. Die Kinos müssen sich also auf die größte und teuerste technische "Revolution" seit der Einführung des Tonfilms einstellen.
Als Haupthemmnis für die von der Geräteindustrie ersehnte Umstellung vom guten alten Zelluloid auf die Pixeltechnik erweist sich zunehmend die Frage, wer die teure Konversion bezahlen soll. Werden doch für die hochwertige digitale Projektionstechnik pro Kinosaal Zehntausende von Euro erforderlich sein, denen für die Kinobesitzer, wenn überhaupt, nur geringe Zusatzeinnahmen gegenüberstehen. Denn den meisten Kinobesuchern dürfte es gleichgültig sein, ob der Film digital oder analog vorgeführt wird.
Profitieren werden von der neuen Technik vor allem die Verleiher und Produzenten. Denn durch die digitale Projektion sparen die Verleiher die Kosten für die Herstellung und den Transport der schweren 35 mm-Kopien. Digitale Filme können außerdem nicht mehr reißen oder zerkratzt werden. Und viele Filmproduktionsfirmen, die schon jetzt mit digitaler Technik drehen oder die Postproduktion abwickeln, brauchen das filmische Endprodukt künftig nicht mehr auf 35 mm-Film auszubelichten.
Kein Wunder daher, dass bis August 2007 weltweit schon 4.629 Kinosäle digitalisiert wurden. Nach Angaben des Internet-Dienstes DcinemaToday.com ist Nordamerika mit einem Anteil von 77,6 Prozent bereits weit enteilt, während Europa auf einen Digitalanteil von 15,3 Prozent kommt. Dass Europa hinterhinkt, hängt unter anderem damit zusammen, dass die vielen Sprachen, nationale Sonderregelungen und damit verbundene Systemanforderungen eine einheitliche Lösung erschweren.
Während sich die Einführung der digitalen Technik zwischen 1999 und 2005 nur langsam vollzog, ist die Zahl der digitalen Leinwände in 2006 und 2007 weltweit rapide angestiegen. Auf der Basis dieser Zahlen prognostizierte der italienische Medienforscher Marco Del Mancino kürzlich, dass bereits im Jahr 2013, wenn allein 20.000 neue Installationen zu Buche schlagen, die digitale Technik die 35 mm-Projektion weitgehend verdrängt haben wird. Dagegen wird es noch bis zum Jahr 2019 dauern, bis eine Marktsättigung von 99 Prozent bei der digitalen Ausstattung erreicht sein wird.
Damit die Umstellung in geordneten Bahnen verläuft, hat sich die Branche darauf verständigt, einheitliche Regeln festzulegen. In den USA haben sich sieben Hollywood-Studios zur Digital Cinema Initiative (DCI) zusammengeschlossen, die im Juni 2005 einen Katalog technischer Normen und vor allem dringend erforderlicher Sicherheitsvorkehrungen gegen Raubkopierer vorgelegt hat. Ergänzend dazu hat in Deutschland das Fraunhofer Institut im Auftrag der Filmförderungsanstalt weiterführende technische Empfehlungen erarbeitet und im Frühjahr 2007 veröffentlicht.
Um die teure Umstellung zu bewerkstelligen, sind mehrere Geschäftsmodelle im Gespräch. So stellten der britische Kinodienstleister Arts Alliance Media (AAA) und die beiden US-Studios Fox und Universal im Juni in Amsterdam ein Business-Modell für die digitale Kinoauswertung in Europa vor. Das Modell sieht vor, dass Fox und Universal ihre Kinofilme in digitaler Form an die europäischen Kinos liefern, die von der AAA mit digitalen Projektoren ausgerüstet wurden. "Bei diesem Modell übernehmen die Studios die Mehrheit der Kosten", sagt die AAA-Marketingchefin Gemma Richardson.
Das britische Unternehmen verhandelt derzeit mit weiteren Hollywood-Studios über das Modell, das auf einer so genannten Virtual Print Fee (VFP) beruht. Vereinfacht gesagt, beteiligen sich die Verleiher in beträchtlichem Maß an der Finanzierung der nötigen Hardware durch einen Investor, während die Kinobetreiber für die Nutzung der installierten Geräte und der ausgelieferten digitalen Kopie eine Gebühr pro Leinwand zahlen.
Angesichts der digitalen Herausforderung hat die AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater Ende Juli einen klaren Forderungskatalog vorgelegt, der sicherstellen soll, dass die Mitgliedskinos bei der Umstellung nicht unter die Räder kommen. Der Verband warnt in seinem Memorandum, dass "ein ungesteuerter Übergang in das digitale Kino unweigerlich zu einer radikalen Schrumpfung zu einer flächenmäßigen Ausdünnung des Kinomarktes, verbunden mit einer empfindlichen Reduzierung der kulturellen Programmvielfalt führen" werde.
Die AG Kino setzt sich dementsprechend dafür ein, ein alle Marktteilnehmer übergreifendes Geschäftsmodell zu entwickeln, "das die budgetären Vorteile von Filmverleihern und Filmproduzenten einbezieht und eine kostenneutrale Investition für die Kinobetreiber zum Ergebnis hat." Um die Vielfalt und kulturelle Leistung des einheimischen Kinomarkts zu erhalten, müsse die öffentliche Seite – vergleichbar dem Deutschen Filmförderfonds – ausreichende Finanzmittel bereitstellen.
Um den Wandel aktiv gestalten zu können, ist der Verband bereit, sich zur Vorbereitung der digitalen Umstellung an einer Projektgesellschaft, die die gesamte Filmwirtschaft umfasst, zu beteiligen. Grünes Licht für eine solche Projektgesellschaft und deren Finanzierung gab im Juni auch die Mitgliederversammlung des HDF Kino, des größten deutschen Kinoverbands.
Auch die Kommunalen Kinos dringen darauf, dass digitale Systeme für alle Kinoanbieter zugänglich werden. "Bei der Finanzierung müssen Bund und Länder, Filmförderinstitutionen sowie die gesamte Film- und Kinoindustrie mitwirken," heißt es in einer Stellungnahme zu anstehenden Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG). Der Bundesverband kommunale Filmarbeit reklamiert darin für seine Mitglieder, in die Verteilung der Fördermittel einbezogen zu werden.
Dabei macht er darauf aufmerksam, dass die Kommunalen und Arthouse-Kinos in der näheren Zukunft analoge und digitale Technik parallel benötigen. Zum einen würden auf längere Sicht weiter analoge Filme hergestellt, zum anderen müsse der Archivfilm im Kino präsent bleiben. Die Fördergelder dürften sich daher nicht auf das Ersetzen analoger Projektionsgeräte durch digitale beziehen, sondern "auch auf die qualitativ angemessene Ergänzung einer Abspielstätte um digitales Filmabspiel". Dazu gehörten auch Umbauten, damit digitale und analoge Projektionsgeräte in so genannten Hybrid-Kinos parallel genutzt werden können.
Erwartungsgemäß wollen auch die Filmverleiher die Finanzlasten möglichst auf andere Schultern abwälzen. Sie sehen die Filmwirtschaft, FFA, Länderförderer und BKM vor der Herausforderung, "eine Finanzierungsstruktur zu schaffen, die die flächendeckende Kinoversorgung der Bundesrepublik Deutschland beibehält sowie die Programm- und Anbietervielfalt absichert." Daher plädiert der Verband der Filmverleiher in einem Diskussionspapier vom Januar 2007 dafür, die Referenzproduktionsförderung im FFG für einen Übergangszeitraum zu Gunsten der Absatz- und Abspielförderung zu kürzen.
Dass die Kinos, insbesondere die kleineren, die erheblichen Investitionen nicht oder nicht allein stemmen können, haben inzwischen auch die Fachpolitiker erkannt. So forderte die CSU-Filmkommission im August die Einrichtung eines Sondertopfes bei der Filmförderungsanstalt, um im Zuge des digitalen Roll-Outs im Kino Sonderfinanzierungen zu ermöglichen. Die Vergabe der Fördermittel solle dann zur erstmaligen Einrichtung digitaler Projektionstechnik erfolgen. Die CSU möchte dabei die Filmverleiher dazu verpflichten, einen angemessenen Finanzierungsbeitrag zur Umstellung der Kinos zu zahlen.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: Kino, Filmtechnik, Verleih
