GRIP 36
5/1/2007
Sprache der Liebe
Eine Retrospektive zu Werk und Leben von Asta Nielsen
Von Christian Hüls
Es war Asta Nielsens außergewöhnlicher Schauspielstil der ihren Ruhm beim Massenpublikum ebenso wie bei den Intellektuellen begründete. Zahlreiche Elogen auf die „Duse der Filmkunst“ zeugen von dieser Popularität. Und in diesem zeitgenössischen Lob drückte sich auch eine Hoffnung aus, die in Asta Nielsen eine Repräsentantin fand: Die Hoffnung, dem gesellschaftlichen Bewusstsein die Beschleunigung der technischen Entwicklung und sozialen Umbrüche der Moderne zu vermitteln – es gleichsam auf den aktuellen Stand zu bringen. Mit und gegen den Geist jener Zeit behaupteten sich die von Asta Nielsen dargestellten Charaktere, oft mit subversivem Witz, eine Ausdrucksfähigkeit des Körpers, die gegen die Ohnmacht einer überkommenen Sprache und Moral aufbegehrten.
Der „stumme“ Film, ohnehin Vermittler des gesellschaftlichen Umbruchs, in Asta Nielsen fand er seine körperliche und visuelle, gleichsam sinnliche Übersetzerin. Die Präsenz, die sie auf der Leinwand besaß, ihre Mimik und Gestik, ihre ganzen Bewegungen, ließen den Körper beredt werden. Noch heute ist Nielsen imstande, mit ihrem überaus modernen Spiel, das Publikum zu fesseln.
Das Thema von Asta Nielsens Filmen ist oft die Liebe. Jedoch nicht die romantische Liebe. Asta Nielsen verkörpert in ihren Rollen die Sehnsucht nach einer modernen Form der Liebe, die ihr Begehren gleichsam im Feuereifer zu stillen verlangt – und oft genug daran scheitert. Und dieses Scheitern stellt immer auch tradierte Rollenbilder in Frage, ist also auch ein gesellschaftliches Scheitern, das vor allem den Männern, verhaftet in Rollenklischees, den Weg zur Liebe versperrt. Den Frauen bleibt die Wahl: Die Wahl wie diese Männer zu werden, um den Preis ihrer Fähigkeit zur Liebe, oder die ihnen gesellschaftlich zugedachte Rolle, gleichsam ohnmächtig, zu erfüllen. Diese Zerrissenheit transportiert Asta Nielsen wie keine andere. Ihr Körper verleiht, im Scheitern wie im Triumph, der Sehnsucht und der Ohnmacht einen visuellen Ausdruck und hält ihn so lebendig im Film und für das Publikum.
Die Kinothek Asta Nielsen e.V. präsentiert von April bis Juni eine umfassende Retrospektive der Filme Asta Nielsens. In den fünfundzwanzig Jahren seit der letzten Nielsen-Retrospektive hat sich die Entwicklung von neuen Techniken der Filmrestaurierung entscheidend verbessert. So wird daher, zum Teil in Farbrestaurierungen, ein Werk zu sehen sein, das beispielhaft für eine grandiose Spielfilmästhetik ist, für ein Spiel der Körper und Gebärden, das auf alle Details des Films ausstrahlt und sie umfängt.
* Christian Hüls ist Mitarbeiter der Kinothek Asta Nielsen
www.kinothek-asta-nielsen.de
Asta Nielsen, ihre Filme, ihr Kino 1910 - 1933
April - Juni 2007 Filmretrospektive in Frankfurt am Main
Eine Veranstaltung der Kinothek Asta Nielsen e.V. in Zusammenarbeit mit Deutsches Filminstitut – DIF / Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main, schauspielfrankfurt und ZDF/ARTE
Krise und Aufbruch. Asta Nielsen als Protagonistin der Moderne
26. - 29. April 2007 Internationales Symposion
Eine Veranstaltung des Instituts Theater-, Film und Medienwissenschaft der J.W. Goethe-Universität und der Kinothek Asta Nielsen e.V. in Zusammenarbeit mit Deutsches Filminstitut – DIF / Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main und schauspielfrankfurt
Sprache der Liebe. Asta Nielsen, ihre Filme, ihr Kino 1910-1933
Ein Sammelband mit neuen Texten und Dokumenten zu Asta Nielsen erscheint Oktober 2007. Herausgegeben von Karola Gramann, Eric de Kuyper, Sabine Nessel, Heide Schlüpmann und Michael Wedel, verlegt vom Filmarchiv Austria
Programm:
26. April 2007, 20 Uhr
Festliche Eröffnung der Retrospektive im Großen Haus von schauspielfrankfurt
Gezeigt werden zwei Filme Asta Nielsens aus den frühen zehner Jahren, die den ganzen Glanz und Charme der Diva zeigen: Der fremde Vogel (1911) und Zapatas Bande (1913/14). Als Begleitmusik gelangen zwei Neukompositionen zur Aufführung. Es spielen Die Asta Harmonists unter der Leitung von Maud Nelissen.
29. April 2007, 19 Uhr
Großes Haus von schauspielfrankfurt, Frankfurter Premiere der vom Deutschen Filminstitut – DIF restaurierten, weltweit einzigen, farbigen Kopie von Hamlet (1920) mit der Aufführung einer von ZDF/ARTE in Auftrag gegebenen Komposition des Jazz-Klarinettisten Michael Riessler und internationalen Solisten.
Die Retrospektive wird im Mai und Juni im Kino des Deutschen Filmmuseums fortgesetzt.
26. April 2007, 17 Uhr
Eröffnung des Symposions im Glas Haus des schauspielfrankfurt mit einem Vortrag von Heide Schlüpmann (Frankfurt am Main) „Geschichte spielen. Die ungewöhnliche Modernität der Asta Nielsen“
Veranstaltungsorte des Symposions: Kino des Deutschen Filmmuseums (27., 28. und 29.4.) und schauspielfrankfurt Glas Haus (26. und 29.4., Abschlussdiskussion)
Parallel zur Retrospektive findet im Deutschen Filminstitut - DIF / Deutschen Filmmuseum eine Asta Nielsen-Ausstellung statt.
Die Retrospektive wird gefördert von der Hessischen Filmförderung und anderen. Die Kinothek Asta Nielsen e.V. wird gefördert vom Frauenreferat der Stadt Frankfurt am Main.
Weitere Informationen zum Programm der Retrospektive und des Symposiums unter
www.kinothek-asta-nielsen.de
www.schauspielfrankfurt.de
www.deutsches-filminstitut.de
www.deutsches-filmmuseum.de
Eintrittspreise:
Eröffnung schauspielfrankfurt 26.4. und Hamlet 29.4.: Normalpreis € 14,00 / ermäßigt € 10,00
Ticket für beide Abende: Normalpreis € 23,00 / ermäßigt € 15,00
Vorverkauf: 069 – 13 40 400
Retrospektive und Symposion Deutsches Filmmuseum (Dauerkarte Symposion): Normalpreis € 35,00 / ermäßigt € 20,00.
Vorverkauf: 069 – 961 220 220
Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)
Schlagworte: Festival, Filmtheorie/Filmwissenschaft, Filmkultur