GRIP 04

12/1/1992

Portrait 1 - Blick ins Land. Ein Gespräch mit Bernhard Türcke

Der Filmemacher Bernhard Türcke (38) lebt und arbeitet in Frankfurt. Nach einem Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin (DFFB) arbeitete er an verschiedenen Fernseh-, Industrie- und Werbefilmproduktionen mit. Bekannt wurde Bernhard Türcke mit seinen beiden Dokumentarfilmen BLICK INS LAND (1986) und GÖTTER AUS BLECH (1989-90).

Von Thomas Mank

GRIP: Würdest Du einen Unterschied machen zwischen eigenen Filmen und Auftragsarbeiten?

Bernhard Türcke: Ich will davon leben, Dokumentarfilme zu machen. Dokumen­tarfilme machen heißt, für das Fernsehen zu arbeiten. Und für das Fernsehen zu arbeiten heißt natürlich auch, daß es ein Geschäft ist. Keiner arbeitet für die Sender für nichts. Dokumentarfilme sind eigent­lich weitgehenst aus dem Kino verschwun­den, jedenfalls bei uns und von daher ist das Fernsehen oftmals die einzige Mög­lichkeit, um überhaupt einen Dokumen­tarfilm zu finanzieren.

GRIP: Mit dem Film GÖTTER AUS BLECH hast Du ja sowohl im Kino als auch im Fernsehen Erfahrungen diesbezüglich machen können.

Bernhard Türcke: Der Film wurde im ZDF im Rahmen des Kleinen Fernsehspiels gezeigt, die Resonanz war eigentlich recht gut. Ich habe Post bekommen von Leuten, nachdem nun das Thema ja auch interessiert. Es ging um Autos und es gibt anscheinend viele Leute die Autos fahren - und sich damit beschäftigen.

Die Kinos wiederum, in denen der Film gezeigt wurde, waren im großen und ganzen recht kleine Kinos hier in Frankfurt und das heißt, daß die Menge der Zuschau­er natürlich entsprechend klein war. Aus­ genommen zur Frankfurter Filmschau (wo der Film 1989 zur Eröffnung gezeigt wur­de. TM). Und natürlich ist es so, daß mit einer kleinen Gruppe von Zuschauern bes­ser zu reden ist als vor einem großen Haus, wie bei einer solchen offiziellen Veranstal­tung. Und die Diskussionen mit den Publikum bei kleinen Vorführungen sind schon sehr spannend und interessant.

GRIP: Bei Vorführungen im Kino hast Du den Kontakt mit dem Publikum und bei Fernsehausstrahlungen hast Du eine grö­ßere Zuschauerzahl. Ist das ein Problem für Dich als Filmemacher, nicht beides zugleich haben zu können?

Bernhard Türcke: Beim Fernsehen sind es gleich mehrere hunderttausend Men­schen, die den Film sehen, selbst wenn die Einschaltquote denkbar schlecht ist und im Kino ist die Verbreitung doch recht gering. Es ist zwar schön, mit einem Publikum in unmittelbaren Kontakt zu kom­men, eben wenn es dann auch nur wenig Leute sind, aber eigentlich steht für mich doch an erster Stelle, daß möglichst viele Menschen meine Filme sehen. Das soll nicht heißen, daß ich meine Arbeiten von vornherein auf eine hohe Zuschauerzahl hin konzipiere. Aber wenn ich so etwas wie Filme mache, und das ist eine ziemlich anstrengende Tätigkeit, dann will ich nicht für die Schublade produzieren. Meine Fil­me sollen etwas bewirken, und das kann erst dann passieren, wenn Menschen sich die Filme anschauen. Die Auseinandersetzung, die ich vielleicht in Gang setzte, findet dann im Kopf des Zuschauers statt. Davon kommt vielleicht dann auch irgendetwas wieder zu mir zurück. Aber, wie gesagt, erst muß man einen Film sehen können, das ist die Voraussetzung.

GRIP: Das klingt nach einem schwierigen Gradwanderung im Anspruch; einerseits ein großes Publikum erreichen zu müssen, andererseits in Kopf jedes einzelnen Zu­schauers etwas bewegen zu wollen.

Bernhard Türcke: Ich habe eine unheim­liche Angst davor etwas zu machen, was einfach nur langweilig ist. Dokumentarfilm hat den Ruf, ziemlich trocken daher­ zukommen. Aber ich sehe nicht ein, wieso das so sein muß. Klar, Dokumentarfilm ist - soll, vielleicht, muß aber nicht informativ sein. Auf der anderen Seite finde ich, sollte ein Dokumentarfilm auch seinen Unter­ haltungswert haben.

GRIP: Das hat bei GÖTTER AUS BLECH zweifelsohne funktioniert. War das nun die speziell günstigen Arbeits­bedingungen des Kleinen Fernsehspiels bzw. wie siehst Du die Möglichkeit, einen solchen Anspruch grundsätzlich um­ zusetzen?

Bernhard Türcke: Letztendlich ist es na­türlich so, daß die Produktionsbe­dingungen einen Gutteil der Qualität ei­nes Films bedingt. Als freier Produzent oder Regisseur steht man zunehmend unter dem ökonomischen Druck, den das Fernsehen ausübt, um Kosten zu mini­mieren. Das heißt, daß in den gängigen Kategorien, 45-Minuten-Feature oder Do­kumentarfilm die Etats eigentlich immer kleiner werden bei gleichzeitig immer wei­ter steigenden Kosten. Und das wird so aufgefangen, daß erstmal vieles auf Video gedreht wird und nicht mehr auf Film, weil es zunächst mal so scheint als wäre es die billigere Methode, was man allerdings bestreiten kann, wenn man mal die Kostenaufteilung genauer anschaut. Au­ßerdem finde ich die Arbeit mit Film, bei­spielsweise den Schnitt, nach wie vor ange­nehmer, aber das ist eine alte Diskussion.

In jedem Falle heißt Minimierung der Kosten auch, daß die Filme mit weniger Arbeitszeit hergestellt werden müssen. Beispielsweise werden für ein Feature von 45 Minuten 12 Schnittage angesetzt, egal wie die Form des Films beschaffen sein soll. Es gibt eben bestimmte Schablonen, die kalkulatorisch festgelegt werden, und die völlig losgelöst sind vom eigentlichen In­ halt eines Films. Damit habe ich schon einige persönliche Erfahrungen machen können. Man kann eben nicht die inhaltli­chen Ansprüche an einen Film ziemlich hoch ansiedeln und dann nach den glei­chen Kategorien bearbeiten wie einen Nachrichtenbeitrag. Wie gesagt, aus Kostengründen wird in der Regel dem Video der Vorzug vor Film gegeben, weil es angeblich billiger und schneller ist. Was ich aber dann nicht mehr verstehen kann ist, wieso ein Kameramann, der einen Dokumentarfilm oder ein Feature drehen soll weniger Geld bekommt, wenn er mit Video arbeiten muß als wenn er mit Film arbeitet, obwohl doch der Arbeits­aufwand, also das Drehen selbst, dasselbe ist. Das wird tatsächlich so gehandhabt und davon wird natürlich die ganze Arbeit beeinflußt. Wenn in der Redaktion, bei­spielsweise in der Diskussion zwischen Regisseur und den Fernsehleuten, inhaltlich diskutiert wird, wenn eine Form ge­funden werden muß, um ein Thema ange­messen umzusetzen, dann stehen allzuoft diese technischen Dinge im Vordergrund. Also möglichst wenig Aufwand betreiben zu können, um die Kosten zu minimieren bzw. die vorgegeben niedrigen Kosten zu berücksichtigen. Da werden Geldfragen oftmals an der falschen Stelle diskutiert, nämlich da, wo eigentlich die inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden müßte, womit letztendlich viele inhaltliche An­sprüche einfach scheitern müssen.

GRIP: Dieser ökonomische Druck, den Du beschreibst, wirkt sich also nicht nur auf sie Auftragsarbeiten aus, sondern auch die freien Produktionen?

Bernhard Türcke: Man kann heute Do­kumentarfilm kaum noch ohne das Fernsehen machen; selbst bei vielen Spielfilmen ist das ja mittlerweile so. Und dann ist man eben auch in der Mühle drin. Man ist auf die Zusammenarbeit angewiesen. Aber auch hier werden die finanziellen Mittel immer enger, und es ist sehr schwierig, einen beispielsweise 45 minütigen Doku­mentarfilm herzustellen, wenn man doch noch gewisse Ambitionen und inhaltliche Ansprüche hat, selbst wenn man das Team auf das Notwendigste reduziert, Ton, Kamera, Regisseur, eventuell noch einen As­sistenten.

GRIP: Gibt es denn andere Möglichkeiten der Finanzierung? Wie hilfreich ist bei­spielsweise die Filmförderung?

Bernhard Türcke: Als selbständiger Filmemacher, so wie ich einer bin, beginnt man einen Film, indem man eine Idee hat, sich dazu verschiedenste Gedanken macht, schon mal recherchiert und das alles dann zu Papier bringt. Das braucht eine gewisse Zeit. Dann kontaktiert man diverse Perso­nen, macht Kontakte, mit anderen Worten: geht mit dem Expose hausieren, ver­sucht jemanden finden, der das Projekt finanziert. Es gibt schon sehr viel zu orga­nisieren ehe der Dreh überhaupt beginnen kann. Das Organisieren braucht eine Men­ge Zeit, zumal wenn man sich auch noch ernsthaft um Förderungen bemühen müß­te. Da muß man durchblicken, und ich möchte die Zeit eigentlich lieber in die Filme investieren, die ich mache, und nicht in die ganze Organisation. Das ist der Grund, warum ich mich bisher kaum um die Filmförderung gekümmert habe. Aber trotzdem habe ich schon auch vor, mich in Zukunft gerade damit intensiver zu be­schäftigen.

GRIP: Du bist ursprünglich mal Industriekaufmann gewesen. Wie kamst Du zum Film?

Bernhard Türcke: Also ich habe auf dem zweiten Bildungsweg auf dem Frankfurter Abendgymnasium mein Abitur nachgemacht, nachdem ich vier Jahre als kaufmännischer Angestellter gearbeitet hatte. Ich habe dann in Frankfurt ein Studium angefangen, Ethnologie und europäische Kulturanthropologie, das hieß früher Volkskunde. Dabei habe ich auch ange­fangen zu fotografieren und habe mich auch zweimal an der DFFB in Berlin be­worben. Beim zweiten Mal hat es geklappt und ich bin dann dahin gegangen.

GRIP: Diese Erfahrungen in den verschie­denen Bereichen haben Deine Filmarbeit sicherlich nicht unbeeinflußt gelassen. Kannst Du selbst Deinen eigenen Stand­ punkt beschreiben?

Bernhard Türcke: Ich betrachte alles aus dem Blickwinkel des irritierten Zeit­ genossen... Was mich interessiert ist, verschiedene Leute bei ihrer Arbeit beobach­ten zu können und zu erfahren, wie die ihr Leben gestalten, um es mal so auszudrücken. Bei GÖTTER AUS BLECH zum Beispiel fand ich es einfach spannend zu sehen, wie spezialisiert die alle sind. Da gibt es den Architekten für die Randbegrü­nung der Autobahn, oder es gibt jeman­den, der Unfallstatistiken macht und dabei auch eine gewisse Freude am Umgang mit diesen Zahlen hat, was mir selbst zwar völlig abgeht, aber ich sehe daß mit gro­ßem Interesse.

GRIP: Wie reagieren die Personen, wenn Du sie filmst?

Bernhard Türcke: Das ist ganz verschie­den, hängt von den Persönlichkeiten ab. Es sind natürlich alles Menschen, die nicht gewohnt sind, vor einer Kamera zu sitzen und in ein Tonbandgerät zu sprechen. Deswegen ist es während des Drehs wichtig, daß da vorher ein Gewöhnungsprozess an die Technik stattfindet. Auf der anderen Seite versuche ich trotzdem eine per­sönliche Atmosphäre zu schaffen, wo ich ein Gespräch führe. Es ist keine Interviewsituation, also kein Frage - Antwort - Spiel. Ich versuche vielmehr jemanden dazu zu bringen, von sich zu erzählen, und zwar was ihn interessiert. Das heißt einfach ein offenes Ohr zu haben, versuchen, zuzuhö­ren und an bestimmten Punkten das Ge­spräch in bestimmte Richtungen zu vertie­fen, sich auf jemanden einzulassen. In der Regel reagieren die Leute darauf sehr posi­tiv, anscheinend fragt sie sonst niemand so intensiv und ich glaube, es ist, glaube ich, ganz gut, mal richtig gefragt zu werden.

GRIP: Ist Dein Interesse für eine Sache oder Situation abhängig von der Sympa­thie für die Menschen, mit denen Du dabei zusammenkommst? Könntest Du bei­spielsweise einem Auto an sich soviel In­teresse entgegen bringen, wenn Du die Menschen, die Du dabei gezeichnet hast, nicht getroffen hättest?

Bernhard Türcke: Nein. Ein Auto ist ein Auto, ein Blechhaufen. Ein Auto an sich ist für mich als Thema in einem Film uninteressant.

GRIP: Was bleibt übrig, wenn Du einen Film gemacht hast?

Bernhard Türcke: Erst mal der Film na­türlich, den kann ich mir dann gelegentlich anschauen... (lacht). Aber um auf die Frage grundsätzlich zu antworten: Schon wäh­rend des Schneidens ziehe ich mich ziem­lich lange mit dem Material zurück, beschäftige mich damit, was ich mit den Protagonisten erfahren und gedreht habe. Im Grunde ist es dann eine Auseinander­setzung mit meinen eigenen Moralvorstel­lungen. Wenn man bestimmte Szenen, Situationen Leute, also Teile der Gesell­schaft, wenn man so will, kennt, hat man vorher natürlich eine gewisse Vorstellung davon gehabt was man wahrscheinlich vorfindet. Ich habe beispielsweise kürz­lich einen Film über Techno-Musik abge­dreht. Die meisten Leute können sicher irgendwas vom Hörensagen mit dem Be­ griff anfangen, was natürlich auch heißt, daß es darüber viele Vorurteile gibt. Für mich ist es dann gut und wichtig, etwas tiefer hinter die Kulisse einer Szene zu sehen, meine vorgefertigten Meinungs­schablonen vielleicht zu relativieren. Be­ stätigen ist zwar auch in Ordnung, aber meistens ändert sich doch was.

GRIP: Aber eine solche Arbeitsweise, ein solcher Anspruch an die Arbeit, braucht doch einen großen Freiraum und viel Zeit; Zu Beginn unseres Gesprächs hast Du andererseits den Zeitdruck und ökonomi­schen Druck geschildert.

Bernhard Türcke: Also ich weiß gar nicht, was Du mit der Frage am Anfang gemeint hast, indem Du nach dem Unterschied zwischen eigenen Filmen und Auftrags­ arbeiten gefragt hast. Ich habe meine Fil­me immer finanziert bekommen, sei es von der Hochschule oder vom kleinen Fernseh­spiel. Viel Zeit zu haben, sicher, das wün­sche ich mir. Manchmal kann ich optima­ler arbeiten, manchmal ist der Druck von Außen groß. Meine Arbeiten unterschei­den sich insofern nur durch die Möglich­keiten, die ich hatte. Unabhängig sind sie sowieso. Das heißt meine Filme sind so, wie sie sein müssen, ich würde sie grund­sätzlich nicht anders machen können. Zu­sammenarbeit mit dem Fernsehen bei­spielsweise ist lediglich die pragmatische Lösung, denn ich kann leider kein Projekt selbst vorfinanzieren; das überstiege mei­ne Möglichkeiten. Aber trotzdem sind es ‘meine Filme’. Gerade zum Beispiel beim Kleinen Fernsehspiel war niemand da, um mich zu kontrollieren, um mir in den Film hineinzureden. Ich hatte wirklich das Ge­ fühl einen Film machen zu können, so wie ich ihn mir vorgestellt habe.

GRIP: Apropos, 'verdirbt' das Kleine Fernsehspiel den Charakter, wenn man da so üppige Möglichkeiten hat, die man viel­leicht später, sozusagen im ‘wirklichen Leben’ nicht mehr vorfinden wird?

Bernhard Türcke: Mein Charakter ist schon verdorben... (lacht). Aber im Ernst: Film hat immer sehr viel mit Geld zu tun. Das ist eine fundamentale Tatsache. Einen Film zu machen ist in jedem Falle wahn­sinnig teuer und man steckt immer in ökonomischen Sachzwängen drin.

Kategorie: Interview

Schlagworte: Filmemacher*in, Dokumentarfilm, TV/Rundfunk

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