GRIP 04

12/1/1992

Filme, auf die wir warten - Kleine Nazis

STAU - JETZT GEHT'S LOS von Thomas Heise

Von Stefan Reinecke

Ein Jungengesicht, frontal vor einer Wand. Wir sehen in ein weiches, rosiges Antlitz, der Kopf ist kahlgeschoren. Der Junge lächelt verlegen, ist schüchtern. Ja, nach Paris würde er gerne einmal gefahren. Oder doch besser nicht, weil deutsche Skins dort nicht gern gesehen sind. Sein Spiel mit der Kamera, mit unserem Blick, funktioniert wie ein Flirt: angeschaut zu werden, gehemmt zu sein und schließlich die Scheu zu überwinden. Als Thomas Heise fragt, warum der Junge neulich das Auto eines Ausländers demoliert habe, versteinert sein Gesicht: Frust, sagt er monoton, viermal hintereinander. Die Szene vereist abrupt.
STAU montiert lose Porträts von sechs rechtsradikalen Jugendlichen aus Halle-Neustadt. Man sieht banale Alltagsszenen aus einem trostlosen Neubaugebiet. Einer versucht, malträtiert von seiner Mutter, die ihn nichts alleine tun kann, einen Kuchen zu backen.
STAU ist ein karger, unaufwendiger Film. In seinen besten Sze­nen gelingen ihm Verdichtungen, die wie theatralische Miniaturen wirken, wie knappe, dramaturgisch aufgebaute Geschichten.
So erzählt ein Skin in einem längeren Monolog, wie er Nazi wurde, und das kann er nur in einer niedlichen, fast kindlichen Art tun. Im Hintergrund flimmert ein TV, und in dem Augenblick, als der Skin vernuschelt vom Tod seiner Mutter erzählt, daß es nun niemanden mehr gebe, der ihm ordentlich die Meinung sagt, erscheint in dem TV-Comix das Schild Help wanted. Ein wenig traurig habe ihn der Tod seiner Mutter gemacht, aber eigentlich habe sich auch gar nichts geändert, sagt er am Schluß. Wer gültige, handhabbare Erkenntnisse über Rechtsradikalismus erwartet, mag von solchen Sequenzen enttäuscht sein. Wer hinschaut, wird entdecken, wie jemand redet, der keine brauchbare Sprache für sein Leben findet.
STAU ist nicht nur ein Film über Männer, sondern auch ein Männerfilm, den, wie ein roter Faden, Heises Frage nach den Freundinnen durchzieht. Man mag dem Regisseur dies vorhalten: daß ihm die Frage nach den Frauen dient, um seine Helden in einnehmender Verlegenheit zu zeigen, anstatt gewissenhaft das Thema Geschlechterverhältnisse in rechten Skinheadbanden zu erforschen. Heise aber interessiert nicht die soziologische Unter­suchung, sondern der ungeschützte Augenblick oder das sinnfällige Detail. Wer diesen Blick teilt, entdeckt, daß in der Disco stets nur die Männer wild Pogo tanzen, während die Mädchen teilnahms­los am Rand stehen. Eine Berührung sieht man nur einmal: Da dreht sich ein Pärchen - zu dem ohrenbetäubenden Gedröhne eines faschistischen Rocksongs - schüchtern im Walzertakt. In diesem Bild kann man etwas über Männerbündelei erfahren, über die körperliche Unmittelbarkeit untereinander, die klein­ bürgerliche Verklemmtheit mit Frauen.
Weckt STAU Faszination am Rechtsradikalismus? Indem Heise den Alltag der kleinen Nazis zeigt, ihre Unbeholfenheiten, auch ihre schäbige Gewöhnlichkeit, zerstört er die Aura des Verbote­nen. Klammheimlich mit Faszination dagegen manche entlarven­ den Antifa-Filme, etwa WAHRHEIT MACHT FREI, der seine visuelle Kraft aus den gewalttätigen Selbstinszenierungen der Faschisten speist. Hinter der heftigen Kritik an STAU scheint sich eher der Wunsch zu verbergen, den Boten für die Botschaft zu strafen: daß die Grenze zwischen Normalität und dem Bösen schmaler ist, als uns lieb ist.

 

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Dokumentarfilm

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