GRIP 01

4/1/1992

Filme aus dem Land des Goldenen Vlies

Mit dem Wunsch nach einem engeren Anschluß an Westeuropa trat dieses Jahr während der Max- Ophüls-Filmfestspiele in Saarbrücken die Delegation eines Landes auf. das als filmproduzierendes nur wenig bekannt ist: Georgien.

Von Susanne Walter

Aus dem vergangenen Jahr hatte ich Nino Achwledianis abendfüllendes Debüt ”Bessa-me” als im positiven Sinne ungewöhnliches Kino in Erinnerung, was mein Interesse an den für dieses Jahr angekündigten Filmen begründete. Historisch gesehen ist Georgien das durchaus geschichtsträchtige Fleckchen Erde, durch das sich ein Fluß schlängelt, der heute Kura heißt, in der Antike Kyros. Tiflis, welches in der Landessprache Tbilissi heißt, wurde an diesem Fluß erbaut und liegt im Landesinneren, zwischen den Gebirgsmassiven des Kaukasus und des Kleinen Kaukasus. Aus dem Altertum überliefert sind griechische Kolonien wie Dios-kurias und Phasis an der Schwarzmeer-Küste, welche mit Hanf (sic!), Wachs, Leinen und Gold handelten. Durch die Argonautensage ging dieses Gebiet als das sagenumwobene Kolchis in die Geschichte ein. Hier landete Jason mit seinem Schiff Argo bei günstigem Wind und nach vielen Abenteuern am schlammigen Delta des Phasis, um dem König Aeetes nicht nur das Goldene Vlies sondern auch noch dessen Tochter Medea abzujagen. Wie diese Geschichte ausging, ist bekannt, weniger bekannt dürfte dagegen sein, daß Tbilissi heute nicht nur Partnerstadt Saarbrückens ist, sondern auch über eine Filmhochschule verfügt, die durch vier Kurzfilme in Saarbrücken repräsentiert wurde. Dabei war das Fehlen jeglicher hier üblicher AkademieAllüren bei thematischer und formeller Gestaltung auffällig wohltuend. Ohne Worte wurden lebendige, kleine Geschichten mit hintergründigem Witz oder verspielter Poesie erzählt, wodurch der seit 1979 gehaltene Standart des von Prof. George Dolidze geleiteten Kinoinstitutes in erfrischender Weise dokumentiert wurde. Damit sich nun der Kreis unter Auslassung weiterer historischer Fakten über Georgien, wie etwa die Landesgründung zur Zeit der Diadochen (310 bis 200 u.Z.), die spätere, enge Bindung an Byzanz und ab 1204 unter König Georg IV. seine Funktion als Schutzmacht gegen die Seldschuken bis hin zur Teilnahme an den Festivals 1991 und 1992, schließen kann, sei noch erwähnt, daß Saarbrücken seinerseits Filmproduktionen nach Tbilisse schickte.

Ist schon unser Wissen über Georgien durch die nachlässige Geschichtsschreibung des hellenistischen Griechenlands, das Kolchis für eine barbarische Provinz hielt, unvollständig, so sind wir ob der aktuellen politischen Lage im Land des Goldenen Vlies und damit über das Erscheinen einer Delegation nebst Regisseur, erst recht verwundert.

Georgien hat auch heute wieder das Pech, irgendwo am Rande der Berichterstattung zu liegen. Das war leider auch bei den Saarbrücker Filmfestspielen nicht anders. Während sich Jury und Publikum in den vornehmlich wenig erfreulichen Wettbewerbsfilmen langweilten oder ärgerten, lief im Kino des Filmhauses (übrigens eine wunderbare Einrichtung, die Frankfurts Kulturpolitikern die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte) der Film Turandot von Otar Shamatava. Lado, ein junger Theaterregisseur, versucht die Oper Turandot von Puccini zu inszenieren. Turandot war die letzte und unvollendete des Meisters, bei deren Uraufführung 1926 in der Mailänder Scala Toscanini bis zu dem Punkt dirigierte, den Puccini noch selbst komponiert hatte, dann, den Taktstock weglegend gesagt haben soll: "Hier brach Giacomo Puccini sein Werk ab. Der Tod war stärker als die Kunst.” Und so scheint auch der Film weniger das Libretto als vielmehr das unvollendete Leben Lados, bestimmt durch den Aufbau des Theaters, die Inszenierung und den "Sieben Kreisen der Hölle” von Dante zu illustrieren. Bei seinem ersten Inszenierungsversuch scheitert der junge Lado, da er einen faulen Kompromiß mit Zensoren eingeht. 20 Jahre später greift er seine alte Idee wieder auf und beginnt gleichzeitig auch mit dem Aufbau des verfallen, innen wie außen verrotteten Theaters. Diese ineinander verwobene Inszenierung von Theatergebäude, Oper und der eigenen Geschichte zielt auf den Versuch ab, Wahrheit wie Lüge, Realität wie Phantasie sich in einem nur scheinbaren Spiel gegenseitig als fest einnehmbare Lebensstandpunkte auflösen zu lassen. An dieser Stelle muß ich gestehen, daß ich kein Georgisch kann, daher auf die englischen Untertitel angewiesen war, diese aber auch nicht lesen wollte, da mir sonst die faszinierende Bilderwelt Otar Shamatavas entgangen wäre. Seine Bilder entwarfen jedes für sich ein Szenario, das für mitteleuropäische Sehgewohnheiten in einer erhellenden im Gegensatz zu z.B. Ridley Scotts verklärenden Dunkelheit gehalten sind, oder in gedeckten Farben auf das Paradoxon verwirrender Klärung hinauslaufen. Die sehr detailverliebte Kameraarbeit erfaßt mit allen Elementen von Großaufnahme bis zur Halbtotalen, Fahrten und Schwenks Lados Projektionen, die wiederum von seiner Suche um des "Rätsels Lösung” gespeißt werden. Otar Shamatave dazu: "Er (der Film) versucht, die Komplexivität unserer Welt zu zeigen und zu durchschauen, so daß das Publikum diese Welt in verschiedenen Zeitdimensionen erleben und begreifen kann, um so mehr da die Zeit selbst zu einem relativen Tatbestand wird: Was immer auch Jahrhunderte vorher geschah, all diese Ereignisse existieren heute noch und beeinflussen uns in der einen oder anderen Weise." Da "Turandot" wohl kaum eine Chance hat, bei uns in kommerziellen Kinos zu laufen, versucht die Medienwerkstatt Frankfurt ihn zusammen mit den Kurzfilmen diesen Sommer für die Filmreihe "Kino im Bunker” nach Frankfurt zu holen.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Festival, Filmkultur, Filmemacher*in, Spielfilm

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