GRIP 67
10.07.2023
Zwischen Verpackungssprache und individueller Handschrift
Dominik Graf diskutierte während des 3. Kongresses Zukunft Deutscher Film in Frankfurt mit Kreativen, welche Narrative und Formen den deutschen Gegenwartsfilm prägen. Das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz stand im Mittelpunkt eines zweiten Panels mit Graf, einem der erfolgreichsten Regisseure der Republik. Im Gegensatz zu anderen Filmschaffenden seiner Generation hat er keine Berührungsängste mit der Unterhaltungsfilmkunst. Doch bei den Jüngeren tut sich was, sie machen sogar Genrekino.
Von Harald Zander
Das Panel „Filme für den Liegestuhl – Wie wird in Filmen gerade erzählt?“ widmete sich den Narrativen und Formen, die den deutschen Film zurzeit dominieren. Regisseur Dominik Graf kritisierte die heute gängige Verpackungssprache, die statt über Film nur noch über Content rede, über Unique Selling Point, Pitch, Plot und Setting. Er plädierte für Filme als „wachsende Lebewesen“. Der Prozess des Filmemachens sollte deshalb immer offen sein für unvorhersehbare Ereignisse. „Filme werden tot, wenn Produzenten nur die perfekte Erfüllung der Verpackungsvorgaben einfordern“. Mit einem ganz konkreten Aspekt der Filmrezeption beschäftigte sich dagegen Sophie Linnenbaum, Regisseurin der Sci-Fi-Satire „The Ordinaries“ (2022). Sie fragte: Wer hat Angst vor dem Happy End? Und stellte fest: „Kunst ist, wenn keiner lacht. Der Arthouse- Begriff ist relativ eng beschränkt auf Filme mit einer ernsten Thematik, mit dem Anspruch auf nichtkitschigen Ausgang. Das heißt, Kunst und Negativität oder Hoffnungslosigkeit sind eng miteinander verbunden.“
Eine bewohnbare Struktur für den Zuschauer
Zum Stand der Dinge in der Gegenwartsliteratur publizierte der Germanist Moritz Baßler jüngst „Populärer Realismus. Vom International Style gegenwärtigen Erzählens“ (2022). Er dagegen bezweifelte, ob es überhaupt ein Ende braucht. In den Tatort-Filmen ginge es kaum noch um die Lösung eines Falles, sondern um die menschlichen Probleme des Ermittlerteams. Und er zog Vergleiche mit der Literatur: „Heutige Romane kreieren eine Welt als bewohnbare Struktur, und diese Struktur wird entworfen und verkauft.“ Wie man eine Struktur, die fürs serielle Erzählen angewendet wird, fürs Kino nutzen könnte, blieb offen. Ebenso die Frage, warum Zuschauer Happy Ends immer verlogen finden.
Um die Verbindung von leichter Form und schwerem Anspruch und um Filme jenseits von Festival und Kommerz ging es dann in der zweiten Veranstaltung. Für Graf ist das gesamte populäre Angebot im deutschen Kino unglaublich gesunken. Es würden nur noch Klischees wiedergekäut, und deshalb wollen alle Kunst- oder Festivalfilme machen. Seit dem Oberhausener Manifest 1962 „gab es einen regelrechten Krieg zwischen der filmkünstlerischen Position und der Position von jemanden wie Roland Klick, der eigentlich auch Kunst, aber eben Unterhaltungsfilmkunst machen wollte. Das heißt, es war immer ein Makel, wenn man versucht hat, kommerzielle Filme zu machen.“
Vom Wiedererkennbaren zum Überraschenden
Inzwischen gibt es jedoch eine junge Generation von Filmemachern, die mit populärem Genrekino keine Berührungsängste hat. Im Spannungsfeld zwischen Publikum, Förderinstitutionen und dem Wunsch nach eigner Handschrift möchte sie ein deutsches Pendant zu den Horror-Erfolgen wie etwa „Get out“ von Jordan Peele (2017) schaffen. Regisseur Nikias Chryssos hat es mit „Der Bunker“ versucht, aber es ist „schwierig, so etwas weiterzuentwickeln, weil es dafür keine richtige Kultur, keine Labels oder Verleiher gibt.“
Filmproduzentin und Dozentin Anna de Paoli hat bei Roland Klick an der dffb studiert. Für sie bedeutet gelungenes Genre: „Starten an einem Punkt, der wiedererkennbar ist, aber dann das Publikum schleichend irgendwohin befördern, wo es sich vielleicht nicht mehr so gut auskennt. Und immer auch imaginieren, wie eine Szene beim Publikum wirkt.“
Figuren und Stars, die berühren
Graf will sich dagegen nicht so sehr aufs Genre fixieren. Kommerzielle Filme hängen für ihn auch immer mit Figuren zusammen, die einen zutiefst berühren. „Ein Film mag mit einer guten Idee überraschen, aber der Kern, warum die Leute nicht mehr ins Kino gehen, hat damit zu tun, dass sie sich nicht mehr mit den Figuren identifizieren können. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass wir nie ein richtiges Starsystem hatten.“ Ja, wo sind die Stars? Sollte man vielleicht mal in Hollywood nachfragen? Überraschendes kam von Anna de Paoli. Sie konnte Amanda Plummer für die weibliche Hauptrolle in dem Abschlussfilm „Dr. Ketel“ (2011) gewinnen. Und die ermunterte de Paoli: „Ihr könnt in Hollywood alle fragen, alle sind daran interessiert, komplexe, interessante Rollen zu spielen.“ Aber diese Rollen müssen eben geschrieben werden. Und so wird die Frage, woher die Filme kommen, die zwischen Cannes und schlechtem Mainstream liegen, uns wohl noch lange beschäftigen.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)