GRIP 67

10.07.2023

Tatort Frankfurter Festhalle

Denkt man aktuell an die Frankfurter Festhalle, fallen einem vermutlich eher Konzerte großer Stars ein und weniger die Rolle des Ortes während der Novemberpogrome 1938. Das Filmhaus Frankfurt und die Deutsch-Israelische Gesellschaft luden zu einer Matinee mit Podiumsdiskussion ins Kino Cinéma, gezeigt wurde ein Dokumentarfilm von Heiko Arendt zum Thema.

Von Markus Wölfelschneider

Der Elefant im Raum hieß natürlich Roger Waters, doch wer sich von der Veranstaltung „Die Frankfurter Festhalle: Ein Ort der Erinnerung?“ eine Fortsetzung der Debatte um den von der Stadt Frankfurt abgesagten Auftritt des Musikers erhoffte, wurde womöglich enttäuscht. Immerhin ging es um Antisemitismusvorwürfe gegen Waters. Er hatte gegen die Absage geklagt, bekam Recht und durfte Ende Mai schließlich doch in der Festhalle auftreten – die Entscheidung des Verwaltungsgerichts stand zum Zeitpunkt der Matinee am 16. April 2023 noch nicht fest.
Aus dem Publikum kamen zwar vereinzelt Stimmen, die sich einen deutlicheren Bezug zu diesen aktuellen Ereignissen wünschten, doch darum ging es nur am Rande. Die große Stärke der Veranstaltung war, ein düsteres – und viel zu wenig bekanntes – Kapitel in der Geschichte der Festhalle zu beleuchten: Das Gebäude war ein Tatort. Daran erinnert der Film „Julius Meyer. November 1938“ (2019) des Frankfurter Filmemachers Heiko Arendt.

Kehraus im Festsaal
In langen, distanzierten Einstellungen nähert sich Arendts Kamera der Festhalle zunächst von außen. Fahrende Autos, ein Absperrgitter, wie es bei Konzerten zum Einsatz kommt, und eine Reihe von Fahnenmasten verstellen den Blick auf das Gebäude. Der Messeturm im Hintergrund verschwimmt im Nebel. Als die Kamera nach drinnen wechselt, sieht man, wie Reinigungspersonal den Boden säubert. Szenen von Veranstaltungen mit feierndem Publikum gibt es nicht. Es ist der Kehraus am Morgen danach. Die Aufnahmen der leeren Festhalle lassen viel Raum für einen Augenzeugenbericht des Frankfurter Rechtsanwalts Julius Meyer, der als Voice-Over die minimalistische Inszenierung begleitet – vorgetragen von Schauspieler Jochen Nix, der zuvor schon live im Kinosaal aus Meyers Lebenserinnerungen gelesen hatte. Der Frankfurter Rechtsanwalt war einer von etwa 3000 Juden, die während der Novemberpogrome in der Festhalle festgesetzt und von hier aus in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau deportiert wurden.

Vernichtung von Zeitzeugnissen
Als Meyer, so beschreibt er es in seinem Text, mit dem Omnibus vom Polizeipräsidium in die Festhalle gebracht wird und der drohenden Deportation schon gewiss ist, erinnert er sich an prägende Kindheitsmomente. Auch die Festhalle hatte einen Platz in seinem Leben. Er erwähnt die Luftfahrtausstellung, Sängerwettstreite, Rummelplätze und Turnfeste, die hier stattfanden. Nun sollte er den Ort als Schauplatz brutaler Demütigungen kennenlernen. Die versammelten Männer wurden mit militärischem Drill zum Exerzieren gezwungen. „Wie ein Wurm“ mussten sie vor ihren Peinigern auf dem Boden kriechen. Ein Jude wurde, so schildert es Meyer, von SS-Männern zu Tode gehetzt.
Von den Ereignissen gibt es keine Fotos oder Filmaufnahmen. Die Frankfurter Nazis seien in der Vernichtung solcher Zeitzeugnisse besonders gründlich gewesen, erzählte Arendt anschließend bei der Podiumsdiskussion. Moderiert wurde die Runde, zu der auch Nadine Docktor vom Fritz Bauer Institut gehörte, von Simon Arnold, der für das Sigmund-Freud-Institut arbeitet. Ob die Festhalle in irgendeiner Weise an diese dunklen Stunden erinnere, wollte eine Frau aus dem Publikum wissen. Docktor erzählte von zwei Gedenktafeln, eine direkt am Gebäude und eine auf dem Vorplatz, die dort auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes angebracht wurde. Viel Applaus bekam der Psychologe Kurt Grünberg, der ebenfalls für das Sigmund-Freud-Institut arbeitet. Er lenkte die Aufmerksamkeit noch einmal auf Roger Waters: „Ich finde es ziemlich unerträglich, dass in der Stadt so wenig passiert in Bezug auf dieses geplante Konzert. Die Frankfurter Bevölkerung ist ausgesprochen still in dieser Auseinandersetzung. Es müsste eigentlich viel mehr Proteste geben.“
Die Diskussion gegen Roger Waters ging anderswo weiter – zum Beispiel auf einer Veranstaltung in der Paulskirche, bei der Kurt Grünberg diesmal nicht im Publikum, sondern auf dem Podium saß. Am 28. Mai trat Waters schließlich in der Festhalle auf. Auf dem Vorplatz demonstrierten rund 500 Menschen gegen das Konzert. Ein Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft hatte dazu aufgerufen.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

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