GRIP 67
10.07.2023
Reform oder Reförmchen?
Im Zentrum des „3. Kongress Zukunft Deutscher Film“ im Rahmen des LICHTER Filmfest Frankfurt International stand die Frage, ob sich im deutschen Filmfördersystem etwas verändern wird – fünf Jahre nach den „Frankfurter Positionen“. Es muss und wird bei der Novellierung des Filmfördergesetzes 2024 endlich zu Reformen kommen, so der Grundtenor der Teilnehmenden. Die Thesen der Autorenfilmlegende Edgar Reitz waren der Impulsgeber für den ersten Kongress 2018, diesmal trug er vier weitere Thesen zur Zukunft des Kinos vor. Auch die Nachwuchsförderung in der deutschen Filmbranche ist in der Krise, deshalb nutzten junge Regisseur*innen den Kongress für einen Paukenschlag.
Von Andrea Wenzek
Gleich zu Beginn des Kongresses am 19. April stellten die Regisseurinnen Eileen Byrne und Pauline Roenneberg von der Initiative Junger deutscher Film ihren Appell an die Filmbranche „Angst essen Kino auf“ vor. Bis heute haben sich mehr als 1000 Filmschaffende per Unterschrift mit den jungen Talenten solidarisch erklärt. „In Deutschland wagt man nichts, was sich nicht bereits bewährt hat“, heißt es darin, „statt zu sehen, dass Erfolg nur mit Risikobereitschaft, mit Neuem, Nie-Dagewesenem, Originellem kommt, setzt Ihr auf Remakes, Sequels, Romanadaptionen, Schenkelklopfer- Komödien und natürlich: bekannte Gesichter und Namen.“ Der Apell schließt mit dem Satz: „Eure Angst tötet unsere Kreativität, unsere Ideen, unsere Lust am Schaffen.“
Kaum Geld für junge Talente
Es geht aber auch um die Ängste der jungen Talente. Die Hintergründe wurden auf dem anschließenden Podium vertieft: Die Nachwuchsstudie des Produzentenverbandes 2021 hat die systemischen Schwächen der Nachwuchsfilmforderung in Deutschland aufgezeigt, so brauchen Talente nach ihrem Hochschulabschluss durchschnittlich fünf Jahre, um ein Filmprojekt zu realisieren. Die beiden beklagten, dass kaum jemand aus der Initiative seinen Debütfilm hat realisieren können, da sie schon an der Finanzierung des Drehbuchs scheitern. Dann kann es eng werden, denn einige Nachwuchstöpfe der Förderer laufen fünf Jahre nach dem Diplom ab. Auch zögen sich die Sender derzeit zurück, denn in den Redaktionen habe sich wegen Corona ein Stau ergeben.
Seit 1965 gibt es das Kuratorium junger deutscher Film (KJDF), wenn auch durch die Länder finanziert, bundesweit zuständig für die Förderung des filmkünstlerischen Nachwuchses. Rund 200 Anträge gehen dort pro Jahr ein. Mit einem jährlichen Budget von 800.000 Euro kann man das Regienachwuchsheer entweder gar nicht oder nur sehr kleinteilig unterstützen – das Heer ergibt sich aus den vielen Hochschulen, die vor allem im Regiefach ausbilden. Alfred Holighaus, Vorstand des KJDF, hob die Stellungnahme des Forums Talentfilm zur anstehenden FFG Novelle hervor, darin wird eine neue, „bedarfsgerecht ausgestattete Talentförderung des Bundes“ verlangt. Anna Schoeppe, Geschäftsführerin der Hessen Film & Medien, kann sich auf die Fahnen schreiben, dass ihre Nachwuchsförderung gerade in Hinblick auf die Stoffentwicklung, mehr Raum bietet. Allerdings habe sie „Angst vor langweiligen Filmen“, und setze deshalb zusätzlich auf den Dialog zwischen Förderern, Redaktionen und den jungen Talenten – dann würden die Beteiligten auch mutiger werden.
Und die Zukunft des Kinos?
Der 90-jährige Altmeister Edgar Reitz beschwor mit seinen Thesen zur Zukunft des Kinos die Bedeutung des Kinosaals als Ereignisort. Mit Live-Auftritten, kuratierten Filmvorführungen und der Wiedereinführung von Pausen könne das Besondere des Kunstgenres Film in Erinnerung gerufen werden. Neue architektonische Konzepte zu finanzieren, forderte Reitz: „Wer baut als erstes eine Elbphilharmonie des Kinos?“ Und Film- und Medienbildung solle als Pflichtfach in den Schulen eingeführt werden. Alles nichts Neues, erklärte Reitz, doch: „So ist die Branche: alles ist gesagt und nichts passiert.“ Eine Forderung richtete sich direkt an die Kinobetreiber, sie müssten lernen, „die gleichen digitalen Kommunikationswege zu nutzen, wie die Streaming-Anbieter im Internet. Das Ziel muss sein, den Kinobesuch teilweise von den festen Anfangszeiten und den Spielplänen abzukoppeln.“ Kino on Demand ist derzeit nicht umzusetzen, wohl deshalb war dies bei der anschließenden Diskussionsrunde mit dem Produzenten Frieder Schlaich sowie den Arthouse- Verleihern Torsten Frehse (Neue Visionen) und Björn Hoffmann (Pandora) auch kein Thema. Sie setzten Reitz‘ Unkenrufen entgegen, dass das Kino nach Corona laut aktueller Besucherzahlen zurückgekommen sei. „Es geht weiter. Es gibt eine Zukunft“, meinte Hoffmann.
Aufbruch mit der FFG-Novelle 2024?
Nach drei Tagen mit 21 Panels und Workshops konstatierten die meisten Kongressteilnehmenden eine gewisse Aufbruchsstimmung. Vor allem hatte man sich in dem von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (BKM) im Februar vorgetragenen Acht-Eckpunkte-Papier zur Zukunft der deutschen Filmförderung wiedererkannt: „Auch wenn die Referenten Roths eine direkte Verbindung zu den ,Frankfurter Positionen’ sicherlich verneinen, haben sie sogar einige deren Kommafehler übernommen“, scherzte Regisseur und Schauspieler RP Kahl bei der Abschlussbilanz. Der Referentenentwurf der BKM zur Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG) ist zurzeit in Vorbereitung und soll im Herbst 2023 veröffentlicht werden. Bis Ende 2024 muss das Gesetz im Bundestag verabschiedet werden. Auch Festivalleiter Gregor Maria Schubert witterte eine tiefer greifende Reform, doch man kann nie wissen: „Die Allerängstlichsten sitzen in der Politik!“ Von daher müsse der Kongress beständig weitergeführt werden – unter dem Dach einer noch zu gründenden Gesellschaft zur Förderung der Filmkultur, so Ko-Leiterin Johanna Süß. Warum die Zweifel? Mit jeder Novellierung des FFG wurde die Vergabe der Gelder noch komplizierter, hinzu kommt der Förderdschungel der Länder. Seit 1967 ist die Filmförderungsanstalt (FFA) auf Basis des FFG beauftragt, bundesweit die Produktion, den Absatz und das Abspiel deutscher Filme zu fördern. Dies geschieht für Produktionen mit der Projekt- und Referenzfilmförderung, finanziert durch die an den Besucherzahlen gemessene Filmabgabe der Kinos, Verleiher und Sender. Damit sich das Konzept refinanziert, fördert die FFA vor allem mögliche Publikumsrenner in den Kinos. Das gilt auch für die derzeit 370 Mio. Euro Steuermittel des DFFF und GMPF, die in Monumentalfilme und High-End-Serien fließen. Dieses System steht seit Jahrzehnten in der Kritik, auch weil künstlerische Kriterien darin keine Rolle spielen.
Berechtigte Hoffnungen
Hört man sich in Berlin unter Vertreter*innen der Interessenverbände um, ist eine Aufbruchsstimmung zu verzeichnen. Warum? Sie haben noch zu Zeiten der früheren BKM Monika Grütters an „Fokusgruppen“ teilgenommen, die der Diskussion um die coronabedingt zweimal verschobenen FFG Novelle galten. Dies war ein Novum, denn zuvor haben die Verbände nur ihre Stellungnahmen eingereicht, danach kam es zu einem Referentenentwurf, der wiederum Stellungnahmen nach sich zog. Dann wurde im Ministerium an dem Entwurf herumgefeilt und schließlich dem Bundestag zur ersten, zweiten und dritten Lesung vorgelegt. Doch Ministerin Roth dürfte klar gewesen sein, dass es diesmal nicht um ein Reförmchen, sondern um eine Reform des FFG geht. Martin Hagemann von der AG DOK entwarf 2022 hierfür zusammen mit der Produzentenallianz und dem Produzentenverband ein neues Förder- und Finanzierungsmodell und Roth griff darauf für ihr Acht-Eckpunkte-Papier zurück. Wer jetzt denkt, die anderen Verbände hätten sich danach zur Ruhe gesetzt, hatte die Initiative Zukunft Kino+Film unterschätzt – ein Zusammenschluss aus acht Organisationen, darunter der Bundesverband kommunale Filmarbeit, Crew United und der Bundesverband Regie. Bereits im Vorfeld der „8 Eckpunkte“ hatte die Initiative ein Konzept für eine grundlegende Reform der Filmförderung veröffentlicht: Die Vergabe der Mittel in der Filmförderung auf Bundesebene soll zu 50 Prozent nach künstlerischen, die andere Hälfte nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgen. In beiden Bereichen geschieht die Mittelvergabe zum einen durch Jurys, zum anderen automatisch. Innerhalb dieser vier Förderlinien gibt es Kategorien für Entwicklung, Produktion und Verwertung. Das ergibt 12 Fördertöpfe, in denen auch anteilige Mittel für Nachwuchs und Innovation reserviert sind. Das Modell soll analog auch bei den Förderungen der Länder gelten. Am 15. Juni wurde nachgelegt mit einem „Vorschlag zur Ausgestaltung der 8 Eckpunkte der BKM für eine Reform der Filmförderung“.
Vor der Sommerpause hatten die Parteien die Verbände in den Bundestag eingeladen. Cornelia Grünberg, im Vorstand des Bundesverbands Regie, sprach am 6. Juli aus der Perspektive der zentralen Filmurheber*innen in Drehbuch, Regie und Filmkomposition zum Reformprozess des FFG vor der SPD: „Wenn wir es schaffen wollen, die Zuschauerinnen und Zuschauer zu erreichen und dem deutschen Kinofilm – national und international – eine Chance zu geben, dann gibt es nur eine Möglichkeit: Wir müssen im Kern der Reform des FFG deutliche Weichen stellen und vor allem anderen die zentralen Urheber*innen stärken.“ Grünberg ist hoffnungsvoll, denn noch nie gab es in der Branche soviel Einigkeit über grundlegende Veränderungen. Dass man sich nicht durch Partikularinteressen und Wahrung von Gewohnheitsrechten wieder auseinanderdividieren sollte, sei allen klar.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)