GRIP 67

10.07.2023

Macht keinen Quatsch!

Künstliche Intelligenz und Kulturindustrie lassen sich beide mit KI abkürzen. Wird die eine bald die andere vereinnahmen? Wie kreativ kann eine Maschine sein? Den Fragen widmete sich ein Panel beim „3. Kongress Zukunft Deutscher Film“ – vor allem in Hinblick auf die Filmproduktion.

Von Harald Zander

Anschaulich wurde die Sache mit einem gefälschtem Tom Cruise- Video. Der Schauspieler erscheint in einer Szene, die er nie gedreht hat. Mit Deep Fake wurde auf ein altes Bild eine neue Maske (mit seinem Gesicht) gelegt. Das täuschend echt wirkende Video ist zwei Jahre alt. Inzwischen hat sich die Künstliche Intelligenz rasant entwickelt und mit ChatGPT und ähnlichen Anwendungen lassen sich vielleicht bald ganze Filme ohne Drehbuchautor*innen oder reale Schauspieler*innen herstellen. Werden jetzt zahllose Künstler* innen arbeitslos?
Mit solchen Fragen beschäftigte sich ein Panel mit dem Titel „Herr oder Knecht – KI: Die künstliche Intelligenz in der Kulturindustrie“. Unter der Leitung des Journalisten Stefan Müller diskutierten Xenia Klinge, Computerlinguistin vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken, und Ji-Hun Kim, Chefredakteur der Plattform Das Filter, sowie live zugeschaltet Stephan Jacob, Professor für Game-Entwicklung an der Hochschule Darmstadt.

Mehr Geld, mehr Rechenzeit, mehr Kunst?
Einig war man sich, dass die neuen generativen Möglichkeiten der KI eine Schockwelle ausgelöst haben. Ein namhafter Game-Hersteller sagte kürzlich zu Stephan Jacob: „Warum sollten wir jetzt noch einen Freelancer anstellen, der vier Monate braucht, um zwanzig Häuser für ein Videospiel zu konzepten, wenn das eine KI innerhalb von vier Sekunden kann?“
Sogar die Überlegenheit der KI-Entwickler gegenüber der KI in puncto Kreativität und Intelligenz wird mittlerweile infrage gestellt. „Es zeigt sich immer öfter: Wenn ich noch mehr Millionen Wörter hineinspeise, wird das Ergebnis noch ein bisschen besser. Und für KI-Forscher ist es zum Teil enttäuschend, dass man einfach mit mehr „compute“, mehr Geld, mehr Rechenzeit und einfach mit mehr Texten auch mehr herausholen kann.“

Der „statistische Papagei“
In diesem Zusammenhang ist ein neuer Beruf entstanden, der Promptwriter. Prompt bezeichnet die Texteingabe, nach der ChatGPT arbeitet. Dass die Maschine das, was sie produziert, nicht versteht, dass sie nur ein „statistischer Papagei“ ist, der nachplappert, was er aus Milliarden von Daten wie Texten und Bildern herausfiltert und nach statistischer Wahrscheinlichkeit kombiniert, kann nur vorrübergehend beruhigen. Denn die Maschine wird immer besser, fast täglich erscheinen neue KI-Tools auf dem Markt.
Für die Filmindustrie bedeutet dies, dass immer mehr kreative Jobs gefährdet sind. Schon heute kann die KI Synchronsprecher überflüssig machen. Mit „Text to Color Grade“ kann man Videos in Nullkommanichts etwa ein Wes Anderson-Grading verpassen. Und bald wird man mit Texteingabe nicht nur Bilder, sondern ganze Videosequenzen erstellen. „Text to Image hat sich wahnsinnig beschleunigt und perfektioniert, Ähnliches ist von Text to Video zu erwarten“, erklärt Ji-Hun Kim. Auch der Filmschnitt ist mit KI bereits möglich.

Wird nur der Mainstream beschleunigt?
Was bedeutet das für die Produkte? Wird immer mehr Durchschnitt entwickelt, weil er Erfolg verspricht? Für Stephan Jacob hat diese Entwicklung in den Mainstream-Videospielen längst stattgefunden. „Dafür brauchen wir keine KI, die wird das nur beschleunigen.“ Das Gleiche gilt für Film- und Fernseherfolge. Ob eine vorgabengespickte Heldenreise von der KI geschrieben wird oder von einem echten Autor ist egal, es gehen eben „nur“ Jobs für Menschen verloren. Einziger Trost: KI kann noch keine neuartigen Sinnaspekte kreieren, einen Kubrick-Film wird sie nicht erschaffen.

Bleiben Fragen nach der Ethik. Ji-Hun Kim konstatierte hier die gleichen Ressentiments wie früher gegenüber den Handys oder dem Internet. Nur betrifft es diesmal alle gesellschaftlichen Bereiche. Und das führe zu einer gewissen Überforderung. Einig war man sich darin, dass ein Moratorium, wie es momentan von vielen Wissenschaftlern gefordert wird, nicht hilft. Die Gesellschaft muss sich aktiv mit den „emerging abilities“ und ihren Gefahren auseinandersetzen. Aber die Frage – wie können wir KI so gestalten, dass sie ethisch richtig ist und nicht der Technikszene überlassen bleibt? – blieb offen. Stephan Jakob belässt es mit einer Mahnung an seine Studierenden, mit der KI doch bitte keinen Quatsch zu machen. „Aber was Quatsch ist, definiert dummerweise jeder anders.“

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

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