GRIP 67

10.07.2023

Ein Kinematograf, der verführt

Jedes Jahr im Mai kommt nicht nur das Fachpublikum in den Genuss der Bild-Kunst-Kameragespräche in den Filmkunsttheatern Marburgs – rund um die Vergabe des renommierten Marburger Kamerapreises. Dieses Jahr ging die Auszeichnung an den Schweizer Benedict Neuenfels.

Von Jörg Geißler

„Filmische Geschichten sind wunderbare Illusionen, die Zeit anders erzählen, als wir sie im Alltag wahrnehmen”, erklärte Benedict Neuenfels und motivierte seine Kolleg*innen: „Stellt das Offensichtliche in Frage und schaut hinter das Bild, ohne Regeln oder Grenzen. Es geht um die Frage: Wie kann ich den Zuschauer verführen?“ Dies postulierte Neuenfels im Rahmen der Preisvergabe, veranstaltet vom Institut für Medienwissenschaft der Philipps- Universität Marburg und dem Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg sowie dem Berufsverband Kinematografie und den Marburger Filmkunsttheatern. Die Bezeichnung Kameramann lehnt Neuenfels entschieden ab, da er seinen Aufgabenbereich nicht allein auf den optischen Apparat fokussiert, sondern auch auf Lichtgestaltung, Bewegungsdramaturgie und damit auch die narrativen Aspekte der Bildgestaltung einschließt. In seinem Berufsverband tritt er mit Erfolg zur Verwendung des klassischen Begriffs der Kinematografie und der Berufsbezeichnung Kinematograf* innen für seine Zunft ein.

Selbst entwickelte Geräte für Fluchtdrama
Neuenfels ist für seine kollegiale, konstruktive Arbeit bekannt, der Workflow mit seinem Team ist seit vielen Jahren eingespielt. Seine treuen Weggefährten wie der Kameraassistent Andreas Erben, Key Grip Markus Pluta und der Oberbeleuchter Rainer Stonus arbeiten ihm bereits seit 35 Jahren zu. Operateur, Digital Image Technician und Green Consultant Phillip Wölke ist auch schon 16 Jahre im Team. Und so holt Neuenfels in Marburg seine Crew auf die Bühne, um die für den Dreh des Spielfilms „STYX“ von Wolfgang Fischer (2018) selbst entwickelten Gerätschaften vorzustellen. Ohne die hätte das Fluchtdrama auf einer Segeljacht im Mittelmeer gar nicht realisiert werden können. Der Film wurde mit dem Deutschen Menschenrechtsfilmpreis prämiert. Sein Holocaust-Film „Die Fälscher“ von Stefan Ruzowitzky (2007) erhielt sogar einen Oscar als bester ausländischer Film. Für all die vielen Ehrungen und erhaltenen Preise reicht hier der Raum nicht aus. Neben seiner filmpraktischen Arbeit ist Neuenfels auch als Mitglied der deutschen, der österreichischen und der europäischen Filmakademie aktiv und unterrichtet an verschiedenen Filmhochschulen. In Fachpublikationen zu den Themen Kamerastil- und gestaltung reflektiert er seine Arbeit wie kaum ein anderer seiner Zunft. So geschehen auch in Marburg im Gespräch mit dem fachkundigen Publikum. Ein Besuch dieses hochkarätigen hessischen Filmevents in Marburg lohnt sich immer!

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

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