GRIP 67

10.07.2023

Das verborgene Frankfurt entdecken

Christoph Hochhäusler über den Schauplatz seines neuen Films. Interview Andrea Wenzek Am 22. Juni startete „Bis ans Ende der Nacht“ in den Kinos. Seine Weltpremiere feierte der Film im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. Auch eröffnete der Thriller das Lichter Filmfest International. Thea Ehre wurde für ihre schauspielerische Leistung als Transfrau Leni mit dem Silbernen Bären als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Der Regisseur spricht über den unter anderem von der Hessen Film & Medien GmbH und Film- und Medien Stiftung NRW geförderten Dreh in Frankfurt.

Von Andrea Wenzek

GRIP: Haben Sie bei der Entwicklung des Stoffes zusammen mit Florian Plumeyer bereits an Frankfurt als Schauplatz gedacht?
Christoph Hochhäusler: Ja, Frankfurt als Schauplatz stand früh fest und ich habe mich zusammen mit meiner Szenenbildnerin Renate Schmaderer intensiv mit dem veränderten Stadtbild auseinandergesetzt. Dabei spielten auch die Fotografien von Fabian Steinhauer und Tobias Bruns, die sich seit Jahren einem Stadtportrait verschrieben haben, eine wichtige Rolle. Diesen Teil der Vorbereitung liebe ich besonders.
Haben Sie eine besondere Beziehung zu Frankfurt?
Ich war über die Jahre oft in der Stadt, Freunde von mir haben in Frankfurt studiert, meine Frau – die Architektin ist – hat hier einige Zeit gearbeitet, und im Zuge der Dreharbeiten von „Unter dir die Stadt“ 2009 hatte ich Frankfurt schon einmal ziemlich gut kennengelernt. Aber von diesen persönlichen Verbindungen einmal abgesehen interessiert mich die Stadt in ihrer spannungsreichen Gestalt, ihrer reichen Geschichte, ihrem kulturellen Leben.
Wo wurde diesmal mehr gedreht, in Frankfurt oder Köln?
Wir hatten ein paar mehr Tage in Frankfurt als in NRW. Alle Szenen im Außenraum sind in Frankfurt gedreht, aber natürlich auch wichtige Innenräume. Es ging mir nicht darum, Ikonen zu zeigen, im Mittelpunkt steht dieses Mal eher das verborgene Frankfurt, und viele Orte werden wohl nur von Einheimischen erkannt werden. Also zum Beispiel der Sportclub Frankfurt 1880 in der Nähe vom Hauptfriedhof, die Kneipe „Zur Insel” am Osthafen. Dann das Penthouse des Gangsters im Karpfenweg am Westhafen und das Hotel Mercator mit seiner 50er-Jahre Fassade. Das Gibson, der Club heißt im Film „Midnite”; den Haupteingang haben wir von der Zeil an den Holzgraben verlegt. Und natürlich das Asphaltwerk am Main in der Gutleutstraße.
Hatten Sie ein Lieblingsmotiv?
Schwer zu sagen, „Zur Insel” vielleicht, auch weil die Wirtin, Frau Gürzoglu, so charmant war. Sie betreibt die Kneipe seit 30 Jahren mit Herzblut, und die Patina ist echt.
Gerade beim Außendreh passiert manchmal Unvorhergesehenes. Wie war es diesmal?
Lustig war der Dreh am Holzgraben, weil das – was wir vorher nicht wussten – offenbar eine Art Angeber-Parkour für junge Männer mit teuren Autos ist. Und weil es bei Dreharbeiten natürlich immer was zu sehen gibt, sind viele dieser Wagen dann wieder und wieder vorbeigefahren. Das hatte etwas Rührendes für mich, so eine Variante des amerikanischen Cruising, Sehen und Gesehen-Werden.
Fassbinders Film „In einem Jahr mit 13 Monden“, der gewisse Berührungspunkte mit Ihrem Film hat, spielt ebenfalls in Frankfurt. Welche Bedeutung hat der Film für Sie?
Der Film ist sehr wichtig für mich, einer der Fassbinder-Filme, die mich am stärksten beeindruckt haben. Und weil Frankfurt immer auch ein gesellschaftspolitischer Akteur der Bundesrepublik war, ist es sicher kein Zufall, dass gerade dieser Fassbinder-Film dort spielt – wie auch „Mutter Küsters‘ Fahrt zum Himmel“. Aber es wäre gelogen zu sagen, wir hätten unseren Film deshalb in Frankfurt gedreht. Eher ist es ein schöner Zufall.
Der erste ihrer Frankfurt-Filme „Unter uns die Stadt“ lief 2010 in Cannes und der aktuelle im Wettbewerb der Berlinale. Das lässt hoffen, dass Ihnen schon ein neuer Stoff in unserer Stadt vorschwebt.
Nach dieser Logik müsste ich eine Komödie machen, die es auf das Festival in Venedig schafft, aber so gehe ich natürlich nicht vor. Ich kann mir definitiv vorstellen, noch einmal einen Film in Frankfurt zu machen, wenn der Stoff dazu passt. Mal sehen, was passiert.

BIS ANS ENDE DER NACHT D 2023, Regie: Christoph Hochhäusler, 120 Min. Mit: Timocin Ziegler, Thea Ehre, u.a. Der verdeckte Ermittler Robert soll in Frankfurt das Vertrauen eines Großdealers gewinnen. Um sich einzuschleusen, gibt er sich als Partner der Transfrau Leni aus. Für Robert, der schwul ist, wird die Liebesgeschichte zur Tortur. Er ist von Leni gleichermaßen angezogen wie abgestoßen. Leni ist ebenfalls von Robert abhängig: Vom Erfolg der Mission hängt ab, ob sie wieder ins Gefängnis muss. Robert muss sich seinen widersprüchlichen Gefühlen stellen.

Kategorie: Interview

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