GRIP 57

01.11.2017

Streit um Sendeplätze und Honorare

Der Hessische Rundfunk ist ein wichtiger Auftraggeber für Dokumentarfilme. Doch in der Szene sind viele unzufrieden mit den öffentlich-rechtlichen Sendern

Von Alexander Jürgs

Ohne das öffentlich-rechtliche Fernsehen könnte der Dokumentarfilm wohl kaum überleben. Die Sender gelten nicht zu unrecht als die wichtigsten Auftraggeber der Filmreporter. Doch trotzdem rumort es in der Szene, viele Dokumentarfilmer sind unzufrieden. Im vergangenen Juli haben sie ihrem Frust Luft gemacht. Auf dem Stuttgarter Dokumentarfilmfestival haben die neun für den „Deutschen Dokumentarfilmpreis 2017“ nominierten Regisseure in einer gemeinsamen Erklärung auf die aus ihrer Sicht missliche Lage des Genres hingewiesen. Sie sagen: Dem Dokumentarfilm fehlt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an Wertschätzung. Und sie beklagen sich über zu geringe Honorare für ihre Arbeit. Gerade einmal etwa 120 Euro pro Tag, bei einem durchschnittlichen Zehnstundentag, würden Autoren und Regisseur verdienen.

Wie steht der Hessische Rundfunk (hr), einer der wichtigsten Auftraggeber der Dokumentarfilmer, zu diesen Vorwürfen? „Der Hessische Rundfunk produziert neben den eigenen Filmen auch als Koproduzent Dokumentationen und Dokumentarfilme oder Dokudramas wie "Anne Frank" und unterstützt so auch die Produzenten“, erklärt Fernsehdirektorin Gabriele Holzner. „Natürlich muss man auch sagen, dass bei stabil bleibendem Rundfunkbeitrag und allgemeinen Teuerungsraten das Geld, dass wir ausgeben können, nicht mehr wird. Trotzdem können wir für den hr und, ich denke, auch im Namen der anderen ARD-Anstalten sagen, dass Auftragsproduktionen fair vergütet werden.“

Die Zahl der dokumentarischen Filme ist beim Hessischen Rundfunk tatsächlich hoch: Für das erste Programm der ARD liefert der Sender 2017 insgesamt 18 Dokumentationen und Reportagen zu, dazu kommen zehn Reportagen für Kinder. Ein besonderer hr-Film, der in der ARD lief, war zum Beispiel "Bubis. Das letzte Gespräch“. Darin wird das letzte Interview, das Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, 1999 dem „Stern“ gab und das bis heute als sein Vermächtnis gilt, mit dem Schauspieler Udo Samel reinszeniert.

Ein anderes Beispiel für eine herausragende hr-Produktion ist die Doku „Wie gefährlich ist die Deutsche Bank?“ von Julia Klüssendorf, Stefan Jäger und Ingo Nathusius, die einen präzisen Innenblick in das unter Druck stehende Bankhaus liefert. Diese Dokumentation stieß laut HR auf überdurchschnittliches Interesse bei den Zuschauern und brachte es, wie einige andere Produktionen des Senders auch, auf eine Reichweite weit über dem Durchschnitt.

Für das hr-Fernsehen selbst werden 2017 rund 25 Dokumentationen produziert, außerdem 25 Folgen der Sendung "Hessenreporter“. Zudem produziert der hr noch einige Kultur- und Reisedokumentationen für das Arte-Programm. Als Schwerpunktthemen im Dokumentarfilm nennen die Redakteure Wirtschaftsthemen, Antisemitismus, Wissenschaft und Kultur.

Was dagegen von den Dokumentarfilmregisseuren immer neu kritisiert wird, ist der Vorwurf, dass ihre Filme häufig erst zu später Stunde gezeigt werden. Auch darüber haben sie sich beim Stuttgarter Festival beklagt. Späte Sendetermine für Dokumentationen sind auch beim hr-Fernsehen keine Ausnahme. So gibt es donnerstags zum Beispiel einen Doku-Sendeplatz um 23.15 Uhr und einen weiteren um Mitternacht. Montags laufen die Filme etwas früher: Dann ist ein Sendeplatz für Reportagen um 21 Uhr reserviert und um 21.45 Uhr läuft die Sendung "Hessenreporter“. Und wenn Primetime, wie jeweils am Freitag, dann ist das Fenster ausschließlich Reise-Dokumentationen vorbehalten.

Die hr-Fernsehdirektorin hält die späten Sendetermine für Reportagen weit weniger problematisch als die Dokumentarfilmer. „Preisgekrönte Filme im Fernsehen finden meistens gerade zu den kritisierten späten Sendezeiten ihr Publikum und werden dort meist sogar von mehr Zuschauern gesehen als zu früheren Zeitpunkten“, sagt Gabriele Holzner. „Diese Filme, und dies hat ja nichts mit der Qualität der Produktionen zu tun, sind Programm für ein Nischenpublikum. Häufig erreichen sie im Fernsehen bis zu eine Million Zuschauer, also ein Vielfaches von dem, was sie in Kinos und auf Festivals erreichen."

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Dokumentarfilm, TV/Rundfunk, Festival, Auszeichnung, Sozialversicherung

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