GRIP 57
01.11.2017
Politik, Kunst und Reisen
Frankfurter Programmkinos zeigen vermehrt Dokumentarfilme
Von Andrea Wenzek
Der Dokumentarfilm fristet in den gewerblichen Programmkinos Frankfurts keineswegs ein Schattendasein. Hat er im "Mal Seh‘n" schon seit jeher seinen festen Platz im Repertoire, ist er nun zunehmend auch in die Arthouse-Kinos Harmonie und Cinema eingezogen. Und ein Kino, das sich ausschließlich über den Dokumentarfilm definiert, ist das Kino in der Naxoshalle. Und um ihr Publikum zu gewinnen, greifen die Kinobetreiber auf ein bewährtes Rezept aus der Kommunalen Filmarbeit zurück: mit Kooperationspartnern zusammenzugehen.
Schon ein Blick in das Monatsprogramm vom Mal Seh‘n genügt; allein die Menge der gezeigten Dokumentarfilme, auch mit geladenen Gästen, fällt auf. Die Zahlen aus dem Jahr 2016 sprechen für sich: Das Kino generierte immerhin 26 Prozent seiner Umsätze aus 66 Dokumentarfilmen. Der Film „Meine Brüder und Schwersten aus Nordkorea" von der hessischen Regisseurin Sung-Hyung Cho war sogar zwei Wochen lang ausverkauft, wie Gunter Deller berichtet, der zusammen mit Ariane Hofmann für das Programm verantwortlich zeichnet.
"Viele Besucher hatten keine Chance auf ein Ticket. Wir haben nur einen Saal mit 80 Plätzen. Hätten wir einen zweiten Saal, könnten wir solche erfolgreichen Filme sogar verlängern", betont Deller. Bei ihrer Filmauswahl orientieren sich die beiden Kinomacher vorrangig auf die Angebote der Verleiher. Formale und inhaltliche Kriterien sind dabei entscheidend. Bei Einzelvorstellungen machen sie allerdings auch schon mal Abstriche, soweit es um politische und historische Themen geht. Die Werbung und PR liegt in diesen Fällen dann vorrangig in den Händen der Kooperationspartner, die, soweit der Filmemacher nicht zu Gast ist, einen Experten zwecks Einführung engagieren. Dass die beiden Programmkinos Harmonie und Cinema, die seit einigen Jahren unter einer Betriebsgesellschaft geführt werden, neuerdings vermehrt Dokumentarfilme zeigen, empfindet Deller nicht als bedrohlich für sein Haus: „Auf dem Dokfilmmarkt herrscht ein Überangebot.“
So sieht es auch der Harmonie-Theaterleiter Dimitros Charistes und charakterisiert das Verhältnis zueinander als „freundschaftliche Konkurrenz„. Man spricht sich ab. Auch er konzentriert sich bei seiner Auswahl zuerst auf die Angebote der Verleiher, beklagt jedoch, dass die PR weitgehend den Kinos überlassen bliebe. "Wir müssen die Filme immer mit einem Event verbinden. Dazu gehören zumeist Gäste. Und wir holen uns regelmäßig Kooperationspartner mit ins Boot", so Charistes.
In den letzten Monaten zeigten Harmonie und Cinema durchschnittlich drei Dokumentarfilme pro Monat. Dazu gehörten auch Einzelvorstellungen mit Filmgespräch, die bei 100 Plätzen immerhin eine Auslastung von 50 bis 60 Besuchern aufwiesen. Die Dokus zu politischen Themen überlässt Charistes hingegen der Konkurrenz. Sein Stammpublikum schätzt Musikfilme und Biopics wie "Beuys" von Andres Veiel.
Auch Regisseure, die keinen Verleih gefunden haben, wenden sich an Charistes: „Wir können uns vor Anfragen kaum retten." Manchmal klappt es jedoch für die Filmemacher, und daraus kann sogar eine Erfolgsgeschichte entstehen: Patrick Allgaier und Gwen Weisser vertreiben ihre Reisedokumentation "Weit" selbst und lockten 2017 240.000 Besucher in die deutschen Filmtheater. Die Vorstellungen in der Harmonie waren alle ausverkauft.
Ausschließlich dem Dokumentarfilm widmet sich wiederum das Naxos Kino. Mit seinen vier Vorstellungen pro Monat trägt sich der Betrieb weitgehend aus den Eintrittsgeldern - dank dem ehrenamtlichen Einsatz. „Wir wählen die Filme an Inhalten orientiert aus: Politik, Gesellschaft, Geschichte, Kultur", erläutert Wolf Lindner, Initiator des Kinos. Nach der Vorstellung finden grundsätzlich Gespräche mit den Filmemachern und Fachleuten statt. Besonders wichtig ist Naxos die zusätzliche Vorführung eines Dok-Kurzfilms. Lindner richtet das Programm an einer "latenten Aktualität" aus, zurzeit sind es Gedenktage: „Am Tag der Deutschen Einheit haben wir "Berlin East Side Galery" von Karin Kaper gezeigt. Und zum Antikriegstag gab es einen Antikriegsfilm." Die Naxos Halle hat 150 Plätze und ist immerhin mit durchschnittlich 60 Besuchern ausgelastet.
Der typische Dokumentarfilmbesucher gehört laut aktueller FFA-Studie der Zielgruppe 40+ an, ist urban und hat ein höheres Einkommen. Laut den Frankfurter Kinomachern gilt dies auch für ihre Zuschauer. Und in Einzelfällen strömen auch die Jüngeren ins Kino – so bei dem erfolgreichen Musikfilm "Raving Iran" von Susanne R. Meures.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: Dokumentarfilm, Kino, Verleih