GRIP 57
01.11.2017
Mitten aus dem Leben gerissen
Zum Tod des Filmexperten und ehemaligen Frankfurter Stadtkirchenpfarrers Werner Schneider-Quindeau
Von Margrit Frölich
Mehrfach habe ich Werner Schneider-Quindeau in den Tagen vor seinem Tod gesehen. Zuletzt hatte er mir noch ein Papier in die Hand gedrückt, das er geschrieben hatte. Zum "Lernort Kino". Dazu planten wir ein Seminar. "Lass uns bald einen Termin dafür finden", schlug er mir vor. Tags darauf war er plötzlich tot.
Werner Schneider-Quindeau war ein leidenschaftlicher Cineast und engagierter Theologe. Mit seinem sprühenden Intellekt und Witz, seiner unbestechlichen Wahrnehmung, seiner Neugier, seiner Warmherzigkeit und seinem Elan inspirierte er viele Menschen. Achtzehn Jahre kannte ich Werner Schneider-Quindeau und habe sein Engagement für den Film miterlebt. Zum Beispiel bei den Arnoldshainer Filmgesprächen, die er mit vorbereitete. Drei Jahrzehnte, von 1987 bis zuletzt, war er Vorsitzender der Evangelischen Filmjury, die ihm besonders am Herzen lag. Er war Filmbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (1999-2003). Er zählte zu den Mitbegründern 1995 des Fritz Bauer Instituts, das sich mit der Geschichte und Wirkung des Holocaust befasst. Als Vizepräsident stand er von 2004 bis 2013 der kirchlichen Filmorganisation Interfilm vor, die bei internationalen Filmfestivals die ökumenischen Jurys bildet. Er war Präsident oder Mitglied etlicher solcher Jurys. In Berlin, Cannes, Venedig, Locarno und anderswo. Mit seiner Frau Ilka Quindeau hat er die Reihe „Kino und Couch„ entwickelt, die regelmäßig im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt stattfand. Sie beleuchtete das Verhältnis von Psychoanalyse und Film.
Und erst kürzlich sollte Werner Schneider-Quindeau noch bei einer medizinethischen Veranstaltung unserer Akademie mitwirken. "Unsere Toten leben noch", so der Titel. Da wollte er einen Ausschnitt aus dem japanischen Film „After Life„ von Hirokazu Koreeda vorstellen. Der Film erzählt davon, dass die frisch Verstorbenen nach Eintritt durch das Himmelstor eine besonders wertvolle Erinnerung ihres Lebens aussuchen dürfen, um sie als Teil ihrer Identität mit ins Jenseits zu nehmen. Welche Erinnerung hätte wohl Schneider-Quindeau aus der Fülle seines Lebens ausgewählt? Am 24. August ist er, 67jährig, völlig unerwartet an Herzversagen verstorben.
* Die Autorin ist Studienleiterin für Film an der Evangelischen Akademie Frankfurt
Kategorie: Nachruf
Schlagworte: Ausbildung/Weiterbildung/Studium, Filmkultur, Institution, Filmtheorie/Filmwissenschaft