GRIP 57

01.11.2017

Konsequent auf Partizipationskurs

Das Frankfurter Lucas-Festival feiert die 40. Ausgabe.

Von Reinhard Kleber

In der ersten Oktoberwoche ging Lucas, das Internationale Festival für junge Filmfans, zum 40. Mal über die Bühne. In fünf Spielstätten in Frankfurt am Main, Offenbach und Wiesbaden liefen 72 Filme aus 35 Ländern für Zuschauer von vier Jahren bis 18+. Allein 16 Lang- und 21 Kurzfilme wetteiferten in den Wettbewerben um sieben Preise. Die Jubiläumsausgabe des ältesten deutschen Kinderfilmfestivals stand unter dem Motto "Mitmischen!": Demnach waren Kinder und Jugendliche aufgerufen, aktiv zu werden und an der Programmgestaltung mitzuwirken.

Im Vorjahr hatte das Festival unter der damaligen Leiterin Cathy de Haan das Konzept radikal umgestellt und sich einen neuen Namen gegeben. Seitdem setzt es auf eine breite Partizipation der jungen Zielgruppe. In dieser Hinsicht wurde der Lucas zum Pionier: Kein anderes deutsches Filmfestival gewährt dem Publikum so viele Möglichkeiten, sich ins Programm einzubringen.

Im Mai 2017 hat Julia Fleißig, bis dahin Chefin der Schulkinowochen Hessen, die Leitung der Filmschau übernommen. Sie behielt das neue Konzept bei, da sich der neue Fokus bewährt hat. "Wir möchten eine Plattform bieten, damit sich gleichgesinnte junge Cineasten vernetzen können", sagt sie.

In diesem Jahr kuratierte zum Beispiel eine Frankfurter Schulklasse ein Kurzfilmprogramm, während ein Kunstleistungskurs einer anderen Schule Festivalplakate gestaltete, die im Foyer des Deutschen Filmmuseums gezeigt wurden. Zudem konnten junge Besucher Interviews mit Filmschaffenden führen und Kritiken zu Festivalfilmen schreiben.

Glanzstück des Partizipationsmodells ist die Sektion "Young European Cinephiles". Hier stellten je drei Jugendliche aus Slowenien und Deutschland ein dreiteiliges Filmprogramm zur Frage "What is true and what is fake" zusammen, das sie an drei Abenden im Kino vorstellten und mit den Gästen diskutierten. Allerdings hat Partizipation in Frankfurt eine lange Tradition: Schon seit vielen Jahren sitzen dort Kinder und erwachsene Profis gleichberechtigt in den Juries.

Die Schattenseite des strikten Konzepts: Wer Weltpremieren sehen will, sollte andere Festivals aufsuchen. Das Lucas-Team setzt konsequent auf Qualität und zeigt neben aktuellen Reihen auch Klassiker. Die ausgewählten Filme müssen nicht brandneu und auch nicht explizit als Kinderfilm etikettiert sein.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Animationsfilm "Ethel & Ernest". Für seinen ersten langen Trickfilm adaptierte der britische Regisseur Roger Mainwood eine Graphic Novel des Autors Raymond Briggs, der darin seinen Eltern ein liebevolles Denkmal setzt. In warmen Farben schildert der Film das Leben des Arbeiterpaares von den 1920er bis 1970er Jahren und erzählt so zugleich von den großen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Kinder kommen nur am Rande vor und für Kinder ist der bedächtige Film offenbar auch nicht gedacht. Dennoch entfaltet er einen besonderen Reiz.

Bemerkenswert in den Langfilmwettbewerben waren dieses Jahr, dass viele Kinder in argen Nöten steckten. So etwa die 13-jährige Ava, die in dem gleichnamigen Debütfilm der Französin Léa Mysius erfährt, dass sie bald nachts nicht mehr sehen kann. In den Ferien am Atlantik verliebt sich die Pubertierende in einen rätselhaften Jungen, der wegen einer Messerstecherei von der Polizei gesucht wird. Dank einer starken, unvorhersehbaren Story, einer agilen Kamera und glänzenden Darstellerleistungen eroberte dieses packende Außenseiterporträt schnell die Herzen der Zuschauer und der Jury: In der Altersgruppe 13+ gewann "Ava" den diesjährigen Lucas-Hauptpreis neben dem skandinavischen Kinderfilm "Oskars Amerika" von Torfinn Iversen (Altersklasse 8+). Und auch beim Publikumspreis reüssierte das skandinavische Kino mit dem dänischen Wettbewerbsbeitrag "Die Villads aus Valby" ("Going to School") von Frederik Nørgaard.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Festival, Filmkultur, Auszeichnung

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