GRIP 57

01.11.2017

Die Geschichte eines Films

"Viva Portugal" nach 40 Jahren wieder aufgeführt

Von Malte Rauch

Am 25.April 1974 hatte uns ein befreundeter portugiesischer Priester, gerade aus dem Gefängnis befreit, aus Lissabon angerufen: dort sei soeben die älteste Diktatur Europas gestürzt worden. Wir müssten unbedingt kommen, um die "Revolution der roten Nelken in den Gewehrläufen" zu filmen. Wenige Tage später brachen wir auf.

Den Mangel an Geld glichen wir durch eine Vielzahl von Mitstreitern aus: Die portugiesische Gemeinde in Frankfurt; Volker Schmit vom ZDF, der uns spontan Aufträge für sein Kirchenmagazin gab; der Kinobetreiber Marin Karmitz (MK-2) in Paris; schließlich die jungen Offiziere und Soldaten in Lissabon und die von der Zensur befreiten Journalisten im portugiesischen Radio und Fernsehen. Und nicht zuletzt die Landarbeiter, die gerade ihre Felder besetzt hatten, denen wir das Mikrophon in die Hände gaben und sie frei reden ließen.

Die Lissaboner Zeitung Republica titelte später ihre Filmbesprechung: „Die besten Reporter aus Aveiras de Cima und den anderen portugiesischen Dörfern“. Wir waren ein großes, chaotisches und fröhliches Team hinter dem großartigen hr-Chefkameramann Martin Bosboom, der sich frei genommen hatte und alles drehte, was wir ihm vor die Linse brachten.

1975 kam "Viva Portugal" heraus - zunächst in einer deutschen und in einer französischen Version, die wochenlang in zwei Pariser Kinos lief (mit Besprechungen in Variety, Cahiers du Cinema und Le Monde). Dann Kopien in immer mehr Sprachen und Ländern in Europa und den USA, oft von Initiativen irgendwie frei finanziert.

Bis in die 80er Jahre zeigte der portugiesische Buchladen TFM (Teo Ferrer de Mesquita) in Frankfurt eine portugiesische Fassung des Films immer zum Jahrestag der Revolution am 25. April – zu Fado-Klängen und Volkstänzen, in Offenbach und Pfungstadt, in Erlangen, Nürnberg, München. Dann wurde es erst einmal ruhig um den Film.

Bis 2012 der Laika Verlag nach einer Kopie des Films für seine DVD-Reihe "Bibliothek des Widerstandes" anfragte. Doch alle 16mm Filmkopien, die im Lager des Deutschen Filmarchivs in Wiesbaden hinterlegt waren, befanden sich in schlechtem Zustand. Teilweise zerstört. Doch der Verlag beauftragte einen der besten Filmrestauratoren in Berlin, aus den verbliebenen Kopien (leider kein Filmnegativ) eine restaurierte digital gemasterte DVD zu machen. Sie muss den Laika Verlag ein kleines Vermögen gekostet haben.

Nun wollte 2016 auch das Naxos Kino den Film in Frankfurt zeigen, und wir zweifelten, ob – nach all den Jahren – überhaupt noch jemand kommen würde. Tatsächlich aber gab es einen regelrechten Ansturm auf die Karten. Volle Häuser später auch im Filmforum Höchst und im Filmklub Offenbach.

Dann kam 2017 der Wunsch auf, den Film noch mal in Portugal aufzuführen. an den Brennpunkten der Geschehnisse. Lála de Brito und Teo Mesquita vom TFM-Buchladen stellten die Reise zusammen, perfekt organisiert mit Gruppen und Initiativen vor Ort. 11 Tage quer durchs Land, 10 Film-Aufführungen mit Diskussionen, Emotionen, viel Applaus und manchmal auch Tränen.

Ein großartiger Moment, gleich zu Beginn unserer Filmtour: die Vorführung im Dorf Quebradas. Im Film sehen wir den Kleinbauer Vilhelmo Enriques mit seinem kleinen Sohn, wie er über die gerade besetzten Felder eines Großgrundbesitzers schreitet und wie er wenig später in der Mühle die erste Versammlung der Besetzer und Dorfbewohner leitet – die Stunde Null der Portugiesischen Demokratie. Vilhelmo ist vor vier Jahren gestorben; aber der kleine Sohn an seiner Seite, war anwesend; er hatte die Aufführung des Films in der Aula organisiert. Immer wieder ging ein Raunen und Rufen durch den vollbesetzten Saal. Man erkannte Eltern, Bekannte oder sich selbst als Kinder. Einige weinten.

Die im Film besetzten und endlich bebauten Felder waren bald nach 1974 unter dem Druck der EU und Deutschlands wieder reprivatisiert worden, verkauft an Spekulanten, die mit EU Förderung Olivenbäume pflanzen ließen, das Geld kassierten, das Land jedoch nie bewirtschafteten.

Das große Herrenhaus in der Nähe, in Aveiras de Cima, dessen Besetzung und Umwandlung in eine dringend benötigte Klinik das Ende des Films bildete, wurde ebenfalls bald darauf reprivatisiert und steht seitdem leer und zerfällt. Investoren aus dem Ausland, heißt es, würden sich dafür interessieren. Man fragt sich, ob darunter vielleicht auch einige der sogenannten Projektentwickler sind, die gerade in die Zerstörung der letzten Grünflächen im Frankfurter Nordend investieren.

Als letzte Station unserer wunderbaren Reise stellte der Direktor der staatlichen Cinemathek und des Filmmuseums in Lissabon, José Manuel Costa, schließlich "Viva Portugal" persönlich und ausführlich vor und erklärte den Film zum wichtigen Kulturerbe Portugals. An seiner Seite, Adelino Gomes, dessen historische TV-Reportage über den Gegenputsch des 11.März ein Kernstück von Viva Portugal ist. Wir mussten unbedingt versprechen, statt der DVD eine 16mm Filmkopie für das Archiv der Cinemateca zu besorgen. A história continua! Die Geschichte geht weiter!

Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)

Schlagworte: TV/Rundfunk, Dokumentarfilm, Filmkultur, Filmtheorie/Filmwissenschaft

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