GRIP 57

01.11.2017

Der Traum von einem friedlichen Mutterland

Uschi Madeiskys filmisches Lebensthema sind zeitgenössische Matriarchate

Von Birgit Schweitzer

Wie in einigen Biografien von Frauen zu finden, die sich im männerdominierten Filmbusiness einen Namen machen konnten, kam Uschi Madeisky in den 1970er Jahren zunächst über einen Mann zum Film. Mit ihrem Lebensgefährten Klaus Werner, Absolvent der Hochschule für Gestaltung Ulm, entstanden bereits während ihres Studiums der Soziologie und Pädagogik erste Werke. 1974 gründeten sie dann die Filmproduktion Colorama mit Sitz in Frankfurt und realisierten in rund 30 Jahren Reportagen und Dokumentationen für die öffentlich-rechtlichen Sender und Bildungseinrichtungen.

Die Themen waren vielfältig, aber immer gesellschaftlich visionär. Beispiel: die Fragen nach öffentlicher und familiärer Erziehung. „Ein veränderter Umgang mit Kindern bewirkt eine Veränderung der Gesellschaft“, sagt sie. Was heute selbstverständlich ist, stellten sie 1978-1984 in Beiträgen für die ZDF-Reihe „Kinder, Kinder“ vor, wie etwa das Rooming-in der Mütter bei Krankenhausaufenthalten ihrer Kinder. Ein weiteres, gesellschaftlich sehr kontrovers beobachtetes Sujet waren ganzheitliche Heilmethoden von Ärzten, die sie in etlichen Folgen der ZDF-Reportagereihe „Natur & Medizin“ Ende der 90Jahre diskutierten.

Auch zwei Spielfilme entstanden in der Colorama-Zeit. Der Fernseh- und Kinofilm „Kleiner Mann, was tun?“ (ZDF, 1981) handelt von einem türkischen Jungen, dessen Familie die Abschiebung droht. Der Film gewann prompt Gold beim Internationalen Kinderfilmfestival in Giffoni Valle Piana. Der zweite Spielfilm war eine Literaturverfilmung: „Der ewige Spießer“ (1985) von Ödön von Horváth für das ZDF.

Auf ihr Lebensthema, das zeitgenössische Matriarchat, aber traf sie Anfang der 90er Jahre, als sie eine Frauenexpedition zu Ausgrabungen in der Türkei filmisch begleitete. Die archäologischen Fundstücke in Chatal Hüyük bewiesen, dass dort zur Steinzeit das mütterlich Weibliche die Gesellschaft bestimmte - ein Schlüsselerlebnis für ihr weiteres Filmschaffen.

Ein Jahr lang recherchierte sie an Universitäten zu matriarchalischen Zivilisationen, in denen der Besitz von Land und Haus sich in Frauenhand befindet und in der Mutterlinie weitergegeben wird. Die Menschen in solchen Gesellschaften leben in ihrem Familienclan mit von der Großmutter/Mutter abstammenden Blutsverwandten. Was Madeisky dabei anzog, war ein diesen Lebensformen innewohnendes sorgendes und friedliches Prinzip, verbunden mit einer großen Spiritualität. „Es wird darauf geachtet, dass es allen gut geht, dass alle Bedürfnisse befriedigt sind. Dazu sind diese Völker sehr friedliebend. Sie würden nie angreifen oder etwas erobern wollen.“

Die ersten Filme zu diesem Thema drehte sie noch zusammen mit Klaus Werner. So „Die Töchter der sieben Hütten“ 1997 für ZDF/Arte über das Matriarchat der Khasi in Indien oder 1999 “Wo dem Gatten nur die Nacht gehört“ über das Prinzip der Besuchsehe bei den Jaintia (Indien). 2002 folgte „Trommeln der Liebe - Bräutigamraub bei den Garo in Indien“ (NDR). Und sie machte allein weiter, als die Partner- und damit auch die Arbeitsbeziehung mit Klaus Werner zu Ende gegangen war.

Erneut besuchte sie die Khasi – diesmal mit Filmemacherin Daniela Parr („Die Tochter - eine Clansaga aus dem Matriarchat der Khasi“, 2011). „Aber ich bin keine Alleinkämpferin, das passt auch nicht zum Thema Matriarchat“, sagt sie. So hat sie sich 2010 unter dem Label tomult&töchter mit den Coregisseurinnen Daniela Parr, Absolventin der Filmhochschule Ludwigsburg, und Dagmar Margotsdotter zusammengetan. Eine Arbeitsteilung gibt es nicht. Doch Madeisky bekennt, sich vorrangig um das Konzeptionelle und die Postproduktion zu kümmern. Zumal ihre Filme meist aus unermesslich viel Rohmaterial entstehen, das mit der Frankfurter Cutterin Eva Voosen fertigstellt.

Monatelang wohnt Madeisky für Dreharbeiten in einer Großfamilie. Verfolgt mit der Kamera das alltägliche Leben. Die Ästhetik ihrer Dokumentarfilme erinnert an Naturbeobachtungen. Sie verweilt als Filmemacherin im Hintergrund, versucht nicht zu stören. Deshalb hält sie das Team klein und filmt selbst. „Als die leichten Kameras aufkamen, war das mein Glück.“ Diese lässt sie manches Mal einfach dezent auf dem Schoß mitlaufen. Der O-Ton ist ihr nicht so wichtig, da die muttersprachlichen Dialoge untertitelt werden und eine Off-Erzählstimme – meist ihre eigene – die Bilder erklärt.

"Interviews oder Statements der Protagonistinnen direkt in die Kamera würde auch nicht zum Wesen dieser Menschen passen. Sie stellen sich nicht in den Vordergrund, sie haben nicht das Bedürfnis zu kommentieren oder zu belehren“, so Madeisky. Wenn möglich, möchte sie aber mit ihren Produktionen Anstöße geben. „Ich kümmere mich nicht mehr um das Negative, die Kritik, sondern ich zeige mit meinen Filmen positive, echte gelebte Alternativen auf.“

Daneben tragen ihre Arbeiten auch zur Bewahrung von Traditionen bei, denn manche Völker, wie die Mosuo am Lugu-See in Südchina, überliefern Bräuche und Gesänge nur mündlich. Ihr dort gedrehter abendfüllender Dokumentarfilm „Wo die freien Frauen wohnen“ (2014), der mit Mitteln der Hessischen Filmförderung und der Frankfurter Stiftung maecenia entstand, wird gerade entdeckt. „Der Film läuft wie verrückt in Programmkinos in der Provinz“, erzählt die Mitgründerin des Filmbüros Hessen, deren Vorstand sie auch viele Jahre angehörte. Aktuell ist ein neuer Film in Arbeit: „Mein Mutterland“, gedreht im muslimischen Indonesien, wo ausgerechnet das größte Volk mit matrilinearer Sozialstruktur lebt: vier Millionen Minangkabau.

Eine matriarchale Sicht auf die Welt durchzieht gleichermaßen Uschi Madeiskys Leben. An einem Archiv, einer Zeitschrift und einer Vernetzung der matriarchalen Kulturen arbeitet sie mit dem von ihr gegründeten Verein Matriaval. Im Kleinen hat sie sich ihre persönliche Matriarchatsoase in Frankfurt erschaffen. Ihr „Clanhaus“ steht im beschaulichen Berkersheim. Ihre Mutter hat bis zu ihrem Tod dort gewohnt, ihre Schwester und ihre Nichte mit deren 14-jährigen Tochter wohnen in eigenen Wohnungen im Haus. Männer kommen in Madeiskys Leben - wie auch in den Matriarchaten üblich, die sie weltweit besuchte, die übrigens die Ehe nicht kennen, - nicht über einen Besuchsstatus hinaus.

Die Filmförderung meint es meist gut mit ihr. Sie verkauft darüber hinaus erfolgreich die DVD’s ihrer Filme und wird oft zu Filmgesprächen und zu Vorträgen eingeladen. Ihr Thema scheint einen Nerv der Zeit zu treffen. 2002 erhielt sie den Tony-Sender-Preis der Stadt Frankfurt für ihr frauenpolitisches Engagement und wurde 2016 mit dem Elisabeth-Selbert-Preis des Landes Hessen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Die 66-jährige, die zeitlos jugendlich wirkt, denkt noch nicht daran, in den Ruhestand zu gehen. „Es existieren weltweit an die 200 lebende Matriarchate, acht habe ich erst besucht. Es gibt noch viel zu tun!“

Filmografie (Auswahl)
1973 Am besten wir spielen auf dem Klo oder wo (20’ Kinderfilmfestival, Abaton).
1974-77 Entwicklung und Beiträge für Magazin Schüler-Express (ZDF); (mit Klaus Werner)
1980 Die Wahrheit über Vera Eschkova (85’ Frauenreferat).
1981 Kleiner Mann was tun (83’ Kinofilm FBW: wertvoll) (mit Klaus Werner)
1978 – 1984 Beiträge für die Reihe Kinder, Kinder (45‘ ZDF) (mit Klaus Werner)
1985 Der ewige Spießer. Spielfilm nach Ödön von Horváth (45’ ZDF); (mit Klaus Werner)
1986 Frau Schutzmann im Einsatz (45’ ZDF); (mit Klaus Werner)
1988 Von Passau bis auf Grafenau mit Alfred Edel (30’ ZDF). (mit Klaus Werner), Rund um die Fressgass mit Gerhard Zwerenz (30’ZDF); (mit Klaus Werner)
1990 Das sterbende Schwein über den Komponisten Otto Jägermeier (45’ 3sat). (mit K. Werner)
1986-91 Reihe Natur & Medizin (ZDF und ARD): 12 Filme über ganzheitliches Denken in der Medizin, (mit Klaus Werner)
1993 – 1996 für das Magazin NOVA (3sat): u.a. Männer wollen Priesterinnen werden.
1993 Die Töchter der sieben Hütten – im Matriarchat der Khasi in Indien (52’ ZDF/arte), Filmförderung Baden Württemberg). (mit Klaus Werner)
1999 Wo dem Gatten nur die Nacht gehört – Besuchsehe bei den Jaintia in Indien (45’ NDR, Hessische Filmförderung). (mit Klaus Werner)
2000 Die drei Wünsche der Sharifa – bei den Kunama in Eritrea (45’ NDR). (mit Klaus Werner)
2002 Trommeln der Liebe – bei den Garo in Indien (45’ NDR). (mit Klaus Werner)
2011 Die Tochter – eine Clansaga aus dem Matriarchat der Khasi (54’ Hess. Filmförderung, Christel Göttert Verlag). (mit Daniela Parr)
2014 Wo die freien Frauen wohnen - vom Matriarchat der Mosuo (90' Hess. Filmförderung) (mit Daniela Parr und Dagmar Margotsdotter)
2018 Mein Mutterland (90‘ in Postprod.) (mit Daniela Parr und Dagmar Margotsdotter)
2018 Matriarchate Weltweit (100‘ in Postprod.) (mit Daniela Parr und Dagmar Margotsdotter)

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Dokumentarfilm, Filmemacher*in

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