GRIP 52

01.05.2015

Die Perlentaucher der Schauspielerkunst

Wie Casting Directors das optimale Filmgesicht aufspüren.

Von Reinhard Kleber

Der Schauspieler Joachim Król hat einmal gesagt: „Was nützt ein schönes Gesicht, wenn man nicht weiß, wo es hin soll?“ Zum Glück gibt es Menschen, die sehr genau wissen, in welchen Film ein solches Gesicht passen könnte. Casting Directors nennen sich diese Besetzungsexperten, die ihr Geld damit verdienen, Regisseuren und Produzenten dabei zu helfen, den optimalen Schauspieler für eine bestimmte Rolle zu finden. Etwa 100 professionelle Casting Directors arbeiten hauptberuflich derzeit in Deutschland, etwa 40 haben sich im Bundesverband Casting (BVC) zusammengeschlossen, der 2003 in Köln gegründet wurde.

Mit der Gründung machte der Berufszweig, für den es keinen geregelten Ausbildungsweg gibt, einen großen Schritt voran. Denn lange Zeit mussten die Besetzungschef hierzulande eine Art Mauerblümchendasein fristen: Ihre Dienste wurden fleißig genutzt, aber kaum anerkannt, vor allem nicht als eigenständiger künstlerischer Beruf. Das zeigt sich schon daran, dass es bis heute keine deutschsprachige Bezeichnung für sie gibt.

Dementsprechend wurden ihre Dienstleistungen bis in die achtziger Jahre nicht in der Kalkulation von Filmproduktionen berücksichtigt. 1984 erhielt Sabine Schroth für den Krimi „Abwärts“ erstmals in einem deutschen Kinofilm im Abspann einen Credit für die Besetzung, wie die Kölner Casting-Expertin Tina Thiele ermittelt hat. Und erst 1995 wurde hierzulande erstmals die Arbeit eines Casting Directors mit einem Credit im Vorspann gewürdigt: Heta Mantscheff gelang dies bei der Kinokomödie „Stadtgespräch“.

Bis 1997 dauerte es, bis der erste Casting-Preis vergeben wurde: Auf der Cologne Conference wurde damit eine herausragende Leistung für die Besetzungstätigkeit bei einem Spielfilm gewürdigt. Während dieser Preis inzwischen wieder eingeschlafen ist, rief die Deutsche Akademie für Fernsehen 2013 einen eigenen Casting-Preis ins Leben, dessen erste Ausgabe Nina Haun und Sarah Lee für „Unsere Mütter, unsere Väter“ erhielten. Inzwischen hat die Deutsche Filmakademie eine eigene Casting-Sektion eingerichtet: 2014 durften die Mitglieder – eine Premiere - über die Vergabe der Filmpreise mit abstimmen. Der folgerichtige nächste Schritt dürfte die Einrichtung einer eigenen Lola für das beste Casting sein. In diesem Mai vergibt auch der Bundesverband Schauspiel wieder seinen Casting-Preis.

Doch was macht ein Casting Director eigentlich? Die Besetzungschefin und BVC-Gründungsmitglied Daniela Tolkien beschreibt ihre Tätigkeit so: „Casting bedeutet für mich, das Drehbuch zum Leben zu erwecken und somit durch die Auswahl der Schauspieler der Geschichte die Richtung zu geben, die der Regisseur erzählen möchte.“

Zunächst einmal muss der Caster dazu die Berufsgruppe der Schauspieler gut kennen und noch mehr über sie wissen. Wenn er einen Auftrag bekommt, erstellt er mit Hilfe aktueller Materialien der Schauspieler wie Fotos, Demobänder oder Showreels sowie durch eigenen Recherche, Besetzungsgespräche, Live-Castings und e-castings eine Vorschlagsliste, die dann in enger Kooperation mit der Regie respektive der Produktion modifiziert wird, bis am Ende der passende Darsteller für die Rolle gefunden ist.

Und wie wird man ein erfolgreicher Casting Director und bleibt es? Tina Thiele, die seit 2006 das Branchenportal casting-network.de betreibt, drückt es so aus: „Er oder sie muss neugierig sein, Leidenschaft mitbringen, und eine gute Menschenkenntnis und auf jeden Fall ein sehr gutes Organisationstalent und Disziplin besitzen. Zudem sollte man gerne und regelmäßig ins Theater oder zum Vorsprechen an Schauspielschulen gehen, um Schauspieler und neue Talente zu entdecken. Außerdem geht nichts über den persönlichen Kontakt zum Schauspieler.“ Nicht schaden könne auch „Sitzfleisch“: „Manchmal castet man, aber weil sich die Förderungen verzögern, dauert die Wartezeit so lange, dass man wieder neu anfangen muss.“

Nach ihren Beobachtungen besteht die erste Generation der Casting Directors aus ehemaligen Regieassistenten vom Theater, Germanisten, Dramaturgen, teils auch Juristen. „Die zweite Generation bildete sich eher aus Praktikanten, die bei etablierten Castern in die Schule gegangen sind. Ein Beispiel ist Emrah Ertem, der das Fach von der Pike auf bei Dana Cebulla und Anja Dihrberg gelernt hat und mit seiner Firma Finalcast inzwischen die Kinohits von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer besetzt. Weil die beiden auch in Hessen gern gesehene Gäste sind, hat er mit seinen großen Projekten dort öfter zu tun.“

Schlugen die Casting Directors früher in jährlich erstellten Katalogen nach, so klicken sie sich heute durch Besetzungsdatenbanken. So kann Anja Dihrberg, die regelmäßig die Kölner und Münsteraner „Tatort“-Krimis besetzt, in vier Datenbanken 20.000 Namen deutscher Schauspieler durchblättern. Obwohl die Casting Directors viele Schauspieler auch persönlich kennen, gehen sie professionell sozusagen auf Distanz: Auf keinen Fall möchten sie mit den Agenten der Darsteller verwechselt werden.

Der Bundesverband Casting setzt hier auf eine klare Trennung: „Agenten sind parteilich im Sinne und zum Wohle ihrer Klienten, also der Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute, Komponisten etc. Casting Directors sind parteilich im Sinne und zum Wohle ihrer Auftraggeber, in der Regel Produzenten und Regisseure.“ Dihrberg drückte das gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ so aus: „Ich vermittle keine Darsteller, ich entwickle Besetzungskonzepte – qusi als Sparringspartner des Regisseurs.“

Profilierte Casting Directors lassen sich erfahrungsgemäß an einer eigenen Handschrift erkennen. „Ich erkenne solche Handschriften, damit könnte ich sogar bei ‚Wetten dass‘ auftreten“, erklärt Thiele, die früher selbst jahrelang als Casterin gearbeitet hat. „Doris Borkmann zum Beispiel, die viel für Andreas Dresen arbeitet, hat ein unglaubliches Geschick, bewährte Theaterleute zum ersten Mal vor die Kamera zu holen und faszinierende neue Gesichter zu kreieren.“ Daniela Tolkien habe durch Titel wie „Fack you Göhte“ oder „Traumfrauen“ inzwischen die Blockbusterebene erreicht, setze dann aber auch mal einen Bully Herbig als Baumarktverkäufer ein: „Das ist eine große Kunst, so prominente Darsteller für so eine kleine Rolle zu bekommen. Das wird sehr unterschätzt.“

Die aktuellen Veränderungen der Medienlandschaft wirken sich natürlich auch auf das Caster-Metier aus. Das anhaltende Outsourcing führt dazu, dass die Zahl der festangestellten Casting Directors sinkt, während die der Freiberufler wächst. „Studio Hamburg und die Produktionsfirma Wüste Film haben ihre Besetzungsbüro geschlossen, die Mitarbeiter haben sich selbstständig gemacht“, berichtet Tina Thiele. Ihr Portal weist derzeit nur noch 35 festangestellte Directors aus.

Der allgemeine Sparzwang führt laut Thiele zudem dazu, dass die Bedingungen für ein kreatives Arbeiten ungünstiger werden: „Heute müssen Casting Directors oft auch noch Aufgaben von Produktions- und Herstellungsleitern übernehmen, Gagen abfragen und aushandeln. Inzwischen müssen manche Caster acht Projekte gleichzeitig fahren, um über die Runden zu kommen.“ Zudem spielten im Castingprozess mittlerweile die Produzenten und Redakteure ein größere Rolle: „Die Geldgeber haben einfach mehr mitzureden.“

Durch die Ausbreitung von e-castings müssen Casting Directors heute auch mehr technische Fertigkeiten mitbringen. „Mal mir mal ein e-casting, das ist so ein Satz, der schnell gesagt ist, der aber locker zwei, drei Stunden Arbeit mit sich bringt“, sagt Thiele. Der kreative Kern des Jobs sei in etwa gleich geblieben, aber es gebe „mehr administrative Arbeiten für das gleiche Honorar wie vorher.“

Und noch eine aktuelle Strömung beobachtet die Kölner Expertin: „Der Trend geht klar nach Berlin. Allein schon weil so viele Schauspieler inzwischen dort leben. Nach wie vor sind München und Köln stark, Hamburg gibt nicht auf. Und Frankfurt profitiert von der Werbung.“ Die deutsche Casting-Kapitale schlechthin sei Berlin aber nicht. „So dominant zu sein wie Paris in Frankreich oder Los Angeles und New York in den USA, das hat Berlin noch nicht geschafft.“

Ökonomisches Entwicklungspotenzial sieht Thiele vor allem in zwei Bereichen: Neue Online-Player wie Netflix Deutschland, die ihre ersten Serien entwickeln, und die Games-Branche: „Da werden die Anforderungen ans Schauspiel früher oder später steigen, das sind ja schließlich millionenschwere Produktionen.“

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Dreharbeiten, Schauspiel, Filmproduktion, Institution, Auszeichnung

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