GRIP 52
01.05.2015
Blond, 25 Jahre, schmächtig
Das Fernsehbesetzungsbüro des Hessischen Rundfunks
Von Andrea Wenzek
Die Filme aus der Fernsehspielredaktion des Hessischen Rundfunks (hr) räumen jahraus, jahrein Preise ab. Das liegt nicht nur an der Auswahl der Drehbücher und Regisseure, auch die Darsteller tragen mit ihrem Können dazu bei. Im Gegensatz zu den Kollegen in den anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erteilt Fernsehspielchefin Liane Jessen keine Auftragsproduktionen. Für die Eigenproduktionen steht ihr das HR-Personal zur Verfügung, und dazu gehört auch Ingrid Böhm aus dem Besetzungsbüro.
Seit 15 Jahren wählt sie die Schauspieler für aktuell sechs Filme pro Jahr aus, drei laufen in der Krimireihe „Tatort“, die übrigen auf dem Sendeplatz „Film-Mittwoch im Ersten“. Nach der Lektüre des Drehbuchs macht sich die Casterin Gedanken über eine mögliche Besetzung, die sie dann dem jeweiligen Regisseur vorschlägt. „Ist der Regisseur zugleich Autor des Skripts“, so Böhm, „hat er für die Hauptrollen meist schon eine Wunschbesetzung im Kopf.“ Manchmal passen die Vorstellungen beider Seiten zusammen, manchmal nicht, trotzdem wird man sich relativ schnell einig, denn entscheidend ist, ob die Kandidaten zeitlich verfügbar sind.
Wesentlich aufwendiger ist es, die kleinen Parts zu besetzen. Verlangt das Rollenprofil zum Beispiel „Blond, 25 Jahre, schmächtig“, greift Böhm auf die Plattform filmmakers.de zurück, dort kann sie sogar in Erfahrung bringen, ob Künstler über besondere Fähigkeiten wie das Feuerschlucken verfügen. „Tagesrollen sind schwer zu besetzen“, meint Böhm, „die Schauspieler sollen brillant sein und wenig kosten und am besten in Frankfurt wohnen, damit man Hotel und Anreise sparen kann."
Entscheidend für die Auswahl sind die Bänder der Künstler, denn ein Casting mit Probeaufnahmen ist zu zeitintensiv. Doch letztes Jahr hatte es eine Ausnahme gegeben. Für den Mittwochsfilm „Aus der Kurve“ bestellte Böhm zehn junge Nachwuchsdarsteller in den hr. „Wir haben drei Tage lang gecastet. Vier von ihnen spielten dann mit. Es ist selten, dass sich ein Regisseur auf so etwas einlässt; der hätte auch sagen können, es gibt genug junge Leute, die einen Namen haben.“ Unter den Auserwählten gab es einige, die sich im Vorfeld direkt bei ihr beworben hatten. „Pro Tag erhalte ich zehn bis dreißig Mails von Schauspielern“ seufzt Böhm, „alle wollen einen Termin mit mir.“ Den Bewerbern bietet sich eine kleine Chance auf ein Gespräch, falls sie aus der Rhein-Main-Region kommen, gegebenenfalls aus Köln oder Berlin, und Böhm die eingereichten Demobänder zugesagt haben.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: TV/Rundfunk, Schauspiel, Spielfilm, Dreharbeiten