GRIP 46
01.05.2012
Laue Kompromisse – Nein Danke!
ARD-Verhandlungen für Dokumentarfilmproduktionen vorläufig gescheitert
Von Thomas Frickel
"ARD lässt Dokumentarfilmverhandlungen scheitern!" - Die Presseerklärung der AG Dokumentarfilm vom 11. November war deutlich, doch richtig überrascht hat sie keinen. Denn wer in diesem Land Dokumentarfilme produziert, weiß längst, dass die Sender weder zu einer angemessenen Bezahlung der Filmschaffenden noch zu einer fairen Aufteilung der Verwertungsrechte bereit sind.
Vordergründig war die Schmerzgrenze erreicht, als die ARD-Anstalten es ablehnten, die Position eines bezahlten Producers als Regelfall in ihr Kalkulationsschema aufzunehmen. Außenstehenden mag dieser Knackpunkt marginal erscheinen. Aber zugunsten dieser Forderung waren in dem viele Gesprächsrunden umfassenden Verhandlungsmarathon zahlreiche andere wichtige Positionen der Produzenten aufgeweicht und zurückgestellt worden.
Dabei haben sich die Rahmenbedingungen in diesem Bereich drastisch verschlechtert. Die überwiegende Zahl der Produktionen ist chronisch unterfinanziert, weil selbst bei sogenannten voll finanzierten Auftragsproduktionen nicht einmal die tatsächlich anfallenden Produktionskosten gedeckt sind. Meistens steht nur ein fester Betrag zur Verfügung, der mit den realen Produktionskosten nicht das Geringste zu tun hat. Weil Autoren, Regisseure und andere Projekt-Mitarbeiter in diesen Strudel des allgemeinen Mangels hineingezogen werden, ist die Stimmung in der Branche mies.
7,5 Milliarden Euro Gebühreneinnahmen im Jahr für ARD und ZDF – das sollte eigentlich reichen. Aber die öffentlich-rechtlichen Sender sind zu gigantisch aufgeblähten Monstern geworden, die eine ständig anschwellende Lawine aus Technik- und Betriebskosten, einen nahezu gleichbleibend hohen Personalbestand und exorbitante Pensionslasten vor sich herschieben. All das treibt die Fixkosten von Jahr zu Jahr in neue schwindelerregende Höhen. Auf der anderen Seite hat die Ministerpräsidentenkonferenz die Gebühren vor drei Jahren eingefroren. Wo also lässt sich innerhalb des Systems ohne große Konflikte Geld sparen? Natürlich dort, wo schon immer gespart wurde: bei freien Mitarbeitern und freien Produzenten. Und da wiederum vorzugsweise im Bereich des Dokumentarfilms.
Denn die zersplitterte Produktionsszene hat über Jahre hinweg jede neue Zumutung der Sender geschluckt, weil die Mischkalkulation aus Fixkosten, Produktions-Aufwand, eigenen Honoraren und Rechten trotz schwindender Gewinnmargen immer noch aufzugehen schien. Auf Senderseite verfestigte sich dadurch der Eindruck, dass Kürzungen im Dokumentarfilmbereich problemlos durchzusetzen sind, zumal für weniger Geld weiter hochwertiges Programm geliefert wurde.
Verhandlungen über neue „terms of trade“ können deshalb nur erfolgreich sein, wenn sie diesen Abwärts-Trend umkehren, wenigstens aber zum Stillstand bringen. Das wiederum bedeutet, dass wirklich spürbare substantielle Verbesserungen für die Dokumentarfilmbranche erreicht werden müssen.
Was die ARD-Seite nach mehr als einem Jahr und fünf großen und mehreren kleinen Verhandlungsrunden zur Unterschrift vorlegte, erfüllte diesen Anspruch nicht: Die meisten der zugesagten zusätzlichen Kalkulationsposten sollten nur für "aufwendige Produktionen" oder "bei entsprechender Erläuterung im Einzelfall" gelten, und was darüber hinaus zur klimatischen Verbesserung im Produktionsablauf herausgehandelt werden konnte, waren liebe, nette Selbstverständlichkeiten. Dabei verlangte die Produzentenseite von der ARD nicht mehr als das, was in der gesamten freien Wirtschaft gilt: diejenigen Kalkulationsposten anzuerkennen, die für branchenüblich, notwendig und selbstverständlich sind.
Hätte die AG DOK die von der ARD zum Schluss vorgelegten "Eckpunkte" unterschrieben, hätte sie damit nicht nur diejenigen betrogen, die sich nicht länger mit leeren Versprechungen abspeisen lassen wollen und völlig zu Recht auf eine Besserung ihrer immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage warten; sie hätte sich zudem zum Büttel eines Täuschungsmanövers gemacht. Denn mit seiner Unterschrift hätte der Verband der ARD bescheinigt, dass die öffentlich-rechtlichen Sender mit Produzenten und Urhebern faire Vertragsbedingungen und angemessene Vergütungen vereinbart haben – obwohl nach wie vor das krasse Gegenteil der Fall ist.
Und wie geht es weiter? Erst mal gar nicht. Seit November herrscht auf ARD-Seite Funkstille, derzeit wird erst einmal mit dem ZDF weiterverhandelt. Wie sich diese Verhandlungen entwickeln, wird sich zeigen.
* Thomas Frickel ist Bundesvorsitzender der AG Dok*
Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)
Schlagworte: Dokumentarfilm, TV/Rundfunk, Institution, Sozialversicherung, Filmemacher*in