GRIP 46
01.05.2012
Einmal rund um die Welt
Mit über einem Dutzend Filmfestivals ist das Kino aus aller Herren Ländern in Frankfurt zu Gast
Von Claudia Prinz
Wer in Frankfurt lebt und die Filmkunst liebt, hat gut lachen, denn zumindest in einer Hinsicht gibt es hier eine Fülle, die ihresgleichen in anderen Städten sucht: rund ums Jahr mehr als ein Dutzend Filmfestivals aller Genres, nationale und internationale, für jung und alt.
Mit "Africa Alive" beginnt im Februar der Reigen. Das Festival entstand 1994 aus der Überlegung, dem negativen Image Afrikas müsse ein realistisches Bild entgegengesetzt werden, und dies nicht nur mit aktuellen Filmen, sondern auch mit Konzerten, Lesungen, Ausstellungen, Kinder- und Jugendveranstaltungen sowie politischen Podien. Dabei wurde "Africa Alive" in den zurückliegenden Jahren wiederholt von der UN unterstützt.
Die "Lichter-Filmtage" gingen 2008 erstmals an den Start und füllen jedes Jahr im März die Lücke, die durch das Verschwinden der traditionsreichen Frankfurter Filmschau gerissen wurde. Zwar ist die Zahl der Filmproduktionen im Rhein-Main-Gebiet, verglichen mit anderen Standorten eher klein, dafür aber von hoher Qualität, besonders im Dokumentar- und Experimentalfilmbereich. Dafür lohnt sich eine jährliche Werkschau, die mit Filmen aus Frankfurts Schwesterregionen angereichert wird. Seither hat sich "Lichter" vom Insidertreff einer eingeschworenen Gemeinde peu-à-peu zu einem festen Bestandteil des regionalen Kulturlebens entwickelt und stellt vor allem diejenigen Facetten der Filmkunst in den Mittelpunkt, die im Kino- und Fernsehalltag normalerweise zu kurz kommen. Dazu gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Workshops und Diskussionsrunden rund um den Film sowie einen Videokunst-Wettbewerb. Besonders beliebt: das kommunikative Herz des Festivals – eine ausrangierte Büroetage im früheren "Turmpalast" mit vorzüglicher Bewirtung, prädestiniert für Partys, Gespräche und Diskussionen.
Das breiteste Kulturprogramm bietet im Mai "Nippon Connection", das gemeinhin als weltweit größtes Festival für das japanische Kino bezeichnet werden kann und sich kolossalen Zuspruchs erfreut. Bis zu 16.000 Zuschauer überfluten jedes Jahr für fünf Tage das Studierendenhaus in Bockenheim und stillen ihren Hunger auf japanisches Leben in realer und filmischer Form. Vom Blockbuster über Dokumentar- und Independentfilm bis hin zu Animation Movies ist alles vertreten. Als Themenschwerpunkt wurde dieses Jahr die aktuelle Auseinandersetzung von Filmemachern und Künstlern mit der Tsunami- und Nuklearkatastrophe vom März 2011 ins Programm gesetzt, ein Ereignis, das seither sowohl das kulturelle Leben in Japan wie auch den Blick auf dieses Land geprägt hat.
Ebenfalls im Mai belebt "Cuba im Film" den Stadtteil Höchst. Seit 17 Jahren gelingt es der Organisationsgruppe aus Filmexperten und Kennern Kubas den stereotypen Vorstellungen von der Insel ein Bild kultureller Vielfalt entgegenzuhalten, das sich in der Filmkunst des Landes abbildet. Es ist das einzige Festival in Europa, das den kubanischen Film in dieser Breite auffächert und auch durch Diskussionen zwischen Regisseuren und Publikum einen facettenreichen Einblick in die kubanische Realität ermöglicht. Seit 2010 verleiht das Festival einen Preis für den besten kubanischen Kurzfilm.
"Shorts at Moonlight" tritt im Juli an: die besten Kurzfilme Deutschlands an den schönsten Veranstaltungsstätten der Region – in Schlossgärten und Parks. Den Auftakt des anspruchsvollen Open-Air-Programms, das den Kurzfilm einem breiteren Publikum näherbringen will und seit 2004 veranstaltet wird, bildet der Höchster Schloßpark, den Abschluss krönte in den vergangenen Jahren der beschauliche Kulisse des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz.
Das Internationale Kinderfilmfestival "Lucas" präsentiert seit 35 Jahren im September ein konturreiches Kinder- und Jugendfilmprogramm und ist sogar als A-Festival gelistet. Es gibt die Wettbewerbsfilme, eine Sonderreihe zu einem aktuellen Themenschwerpunkt (2012 mit dem Titel: "Panorama – Filme für (junge) Erwachsene") sowie vielfältige filmpädagogische und interaktive Angebote, die nachhaltig zur Vermittlung von Filmkultur und Medienkompetenz beitragen sollen. Der Wettbewerbssieger wird von einer Jury aus Kindern und Jugendlichen bestimmt.
Da die Buchmesse das allesbestimmende Kulturevent des Oktobers ist, geht der Festivalkalender erst im November weiter und dann mit gleich drei Terminen: mit dem Jugend-Medien-Festival "Visionale", dem "Türkischen Filmfestival" und dem "New Generations Independent Indian Filmfestival".
Bei der "Visionale" können junge Filmschaffende ihre selbstgemachten Kurzfilme und Multimediaproduktionen öffentlich vor einem große Publikum aufführen. Darunter sind Musikclips, Spielfilme, Animationen und multimediale Beiträge, die durch ihre enorme Authentizität bestechen. Eine Fachjury aus Medienprofis, Medienpädagogen und Jugendlichen entscheidet über die Preisvergabe im Wettbewerb.
Eine Sonderstellung nimmt das ebenfalls im November angesetzte "Türkische Filmfestival" ein, denn sein Schwerpunkt liegt auf Filmen für die Türkische Community in der Region. Entsprechend gut besucht sind die Vorstellungen. Daneben werden europäische Filme zu bestimmten Themen gezeigt und eine Filmreihe deutsch-türkischer Regisseurinnen und Regisseure.
Den Schlusspunkt im Festivalkalender bildet das jüngste Mitglied der Frankfurter Festivalszene: das "New Generations Independent Indian Filmfestival", das es seit 2009 gibt. Diese in Deutschland einzigartige Reihe zeigt vier Tage lang indische Filme, die sich anders als die Bollywood-Blockbuster bewusst der indischen Wirklichkeit stellen.
Ein gewisse Sonderrolle kommt auch Verso Sud zu, denn dieser Termin ist eher eine Filmreihe, die allerdings auf eine lange Tradition inzwischen zurückblicken kann, entstanden in der Nachfolge des 1977 etablierten Programms "Monat des italienischen Films", das nun seit 1994 als Verso Sud im Kino des Deutschen Filmmuseums am Schaumainkai weiterläuft.
Mit Ausnahme von „Shorts at Moonlight“ and „New Generations“ werden all diese Festivals kärglich von der Hessischen Filmförderung unterstützt und sind in überragendem Maße oder völlig auf die Mitarbeit ehrenamtlicher Organisatorinnen und Organisatoren angewiesen. Bei einigen Festivals wird in den nächsten Jahren die Frage nach einem neuen Spielort aktuell werden: Das Studierendenhaus, in dem "Nippon Connection" seit jeher zu Hause war, wird abgerissen. Und voraussichtlich Ende 2017 läuft eine Vereinbarung zwischen Greater Union Filmpalast GmbH und der Saalbau GmbH aus, die besagt, dass das Metropolis vergünstigte Veranstaltungen abhalten muss, bis eine Summe von knapp 5 Mio. Euro insgesamt abgegolten ist. Betroffen davon sind beispielsweise "Lichter" und das "Türkische Filmfest", die mit ihren Programmen im Metropolis gastieren.
Ein Festival wurde bisher nicht erwähnt, obwohl es den größten Umfang und Glamour-Faktor hat: das "Edit-Filmmaker’s Festival". Seine Zukunft ist ungewiss, deshalb wird es in diesem Jahr nur in einer Übergangsform stattfinden. Über sein Konzept soll neu nachgedacht werden. Aus dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) heißt es auf Anfrage: „'Das Edit-Filmmakers Festival' soll mit veränderten Inhalten und neuer Struktur weitergeführt werden. Dazu wird derzeit ein Eckpunktepapier erarbeitet. Ziel ist, die seit 14 Jahren durchgeführte Edit durch die inhaltliche Weiterentwicklung auf die neuen Anforderungen der Branchen Film, Game und Musik sowie der digitalen Mediennutzung neu auszurichten.“
Der Vollständigkeit halber seien noch drei weitere Festivals genannt, die nicht originär in Frankfurt angesiedelt sind, sondern durch die Bundesrepublik touren und in Frankfurt eben auch Station machen. Es sind "Cinefete", eine vom Institut Francais organisierte Jungendfilmreihe; das "Fantasy Filmfest", ein internationales Genre-Filmfestival, das jeden Sommer durch acht deutsche Städte reist; und schließlich das internationale Queer-Festival "Verzaubert", das seit 10 Jahren in den Städten Frankfurt, München, Köln und Berlin stattfindet.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: Festival, Filmpolitik, Kulturförderung, Kino, Filmkultur