GRIP 46

01.05.2012

Die berühmten Trüffelsucher

Warum Filmfestivals so wichtig sind, und das nicht nur in kulturpolitscher Hinsicht.

Von Reinhard Kleber

Wenn alljährlich Stars und Meisterregisseure über den roten Teppich in Berlin, Cannes oder Venedig gehen, sind TV-Kameras aus aller Welt dabei. Die großen Drei generieren jede Menge Glamour und ziehen die größte Aufmerksamkeit auf sich. Und sie sind nicht nur kulturpolitische Aushängeschilder, sondern auch bedeutende Wirtschaftsfaktoren. Gilt das schon für eine Metropole wie Berlin, dann erst recht für ein Mittelmeerstädtchen wie Cannes. In den Augen der Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films (FIAPF), des wichtigsten internationalen Verbands der Filmproduzenten, steht das Trio allerdings auf der gleichen Stufe wie elf weitere Festivals, die sich alle A-Festivals nennen dürfen. Dazu gehören Filmschauen von Moskau bis Mar del Plata und von Schanghai bis Montréal. Weitere Akkreditierungen vergibt die FIAFP in drei Kategorien: Festivals mit spezialisierten Wettbewerben, Festivals ohne Wettbewerb sowie Dokumentar- und Kurzfilmfestivals.

Als Zusammenschluss von 31 Verbänden aus 25 Ländern dient die 1933 gegründete FIAFP als Kontrollinstanz, indem sie Qualitätskriterien festlegt und überwacht. Die Anerkennung durch die FIAFP gilt in der Branche als Maßstab für das internationale Renommee eines Festivals. Produzenten, Verleiher und Weltvertriebe können sich bei einem zertifizierten Festival darauf verlassen, dass dort Standards wie Sicherung der Kopien gegen Filmpiraterie, technische Mindestqualität der Vorführungen, Versicherungen, unabhängige Juries und Anwesenheit internationaler Pressevertreter eingehalten werden. „Für viele Festival ist das FIAFP-Label mehr als ein bloßes Emblem für ihr Bekenntnis, die Erwartungen der Industrie einzuhalten. Vielmehr ist das Label auch Voraussetzung, wenn es um staatliche, regionale und städtische Subventionen geht, ohne die sich ehrgeizige Ziele nicht erreichen lassen“, unterstreicht FIAFP-Generaldirektor Bertrand Moullier.

Eine solche Überprüfung ist umso wichtiger geworden, als die Zahl der Filmfestivals seit den neunziger Jahren enorm gewachsen ist und der Begriff nicht geschützt ist. Jeder Organisator kann seine Filmreihe im Jugendzentrum Filmfestival nennen. Allein in der EU gehen Fachleute von bis zu 800 Filmfestivals aus, darunter 160 Kurzfilmfestivals. Die reale Zahl dürfte weit höher liegen: Die französische Agence du court métrage zählt auf ihrer Homepage mehr als 200 Kurzfilmfestivals allein in Frankreich. Auf der Akkreditiertenliste der FIAFP finden sich neben der Berlinale weitere deutsche Veranstaltungen, so das Kinderfilmfestival Lucas in Frankfurt am Main und das goEast-Festival in Wiesbaden darauf. Unter den Kurzfilmfestivals sind seit vielen Jahren die Kurzfilmtage Oberhausen anerkannt. Lars Henrik Gass, der Leiter der Kurzfilmtage, vergleicht die Akkreditierung durch die FIAFP mit einem „Doktortitel“: „Einem selbst bedeutet es oft weniger als anderen.“

Aber hilft dieser Status auch in der Konkurrenz mit immer mehr Festivals? Dazu meint Gass: „Ich habe die FIAPF immer als eine Art TÜV verstanden. Bei weit über 2000 Filmfestivals weltweit kann es zur Orientierung nicht schaden, wenn jemand darauf achtet, dass bestimmte Mindestanforderungen und Spielregeln eingehalten werden.“ Neben der FIAFP gilt auch die Anwesenheit einer Jury des internationalen Filmkritikerverbands FIPRESCI als Statussymbol. Dazu sagt die künstlerische Leiterin des goEast-Festivals, Gaby Babic: „Natürlich bedeutet die Präsenz einer FIPRESCI-Jury zusätzliches Renommee und ist auch eine internationale Aufwertung. Gerade die Anerkennung der Filmkritik ist für ein Festival wie goEast, dass sich dem Autorenfilm und einem handverlesenem Programm verpflichtet fühlt, wichtig.“

Unterhalb der Metropolen bilden gut organisierte Filmfestivals in Städten wie Mannheim, Saarbrücken oder Lünen oft kulturelle Höhepunkte im Jahresverlauf. Umso größer ist die kulturpolitische Bedeutung solcher Festivals. Das sieht auch Petra Kappler, die Chefin des Lucas-Festivals, so: „Wir bieten mit dem Festival eine Kulturveranstaltung an, die mit ihrer Kombination aus hochwertigem Kinderfilm und Originalsprachlichkeit einmalig ist. Die Festivalgäste aus aller Welt untermauern dieses Alleinstellungsmerkmal und würdigen die Stadt Frankfurt als Treffpunkt einer internationalen Szene des internationalen Kinderfilmschaffens.“ Aus Oberhausen merkt Lars Henrik Gass an: „Neulich stand in der Frankfurter Rundschau mit Blick auf die Kürzungsszenarien, die gerade en vogue sind, Oberhausen kenne man der Kurzfilmtage wegen. Das sagt eigentlich schon alles.“ Und Babic fügt für Wiesbaden hinzu: „GoEast zieht nicht nur internationale Gäste an und sorgt für eine lebendiges und spannendes filmisches Forum in der Stadt, das Festival trägt auch den Namen Wiesbaden nach Osteuropa: In den Filmzirkeln vor Ort ist goEast in Wiesbaden zu einem Gütesiegel für osteuropäischen Film avanciert.“ Charlotte Britz, die Oberbürgermeisterin der Stadt Saarbrücken, sieht im dortigen Filmfestival Max Ophüls Preis einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für das Saarland: „Alljährlich pilgern im Januar Zehntausende Filmfans und Fachbesucher nach Saarbrücken. Glücklicherweise verbringen sie ihre Zeit ja nicht nur in den Kinosälen, sondern lernen auch ein wenig unsere Stadt kennen. Die Hotels sind während der Festivaltage ausgebucht, die Restaurants voll. Das Festival ist ein mediales Großereignis geworden, das Saarbrücken und der Region internationale und bundesweite Aufmerksamkeit beschert. Jeder Bericht über den Max Ophüls Preis bedeutet kostenlose, aber unbezahlbare Werbung für die Stadt.“

Wie wichtig Filmfestivals auch für die Auswertung von filmischen Werken sind, zeigt sich am deutschen Filmförderungsgesetz. Es sieht vor, dass bei Anträgen auf Referenzfilmförderung neben dem Besucherzuspruch (ein Punkt pro Kinobesucher) auch Auszeichnungen bei Filmfestivals berücksichtigt werden. Referenzfilmförderung bedeutet, dass erfolgreiche Produzenten automatisch Zuschüsse für die Herstellung eines neuen Films bekommen. Voraussetzung ist, dass sie ein Minimum an Referenzpunkten erreichen. Bei einem programmfüllenden Film sind das in der Regel 150.000 Punkte, bei Kinder- und Erstlingsfilmen sowie Filmen mit Herstellungskosten unter 100.000 Euro sind es 50.000 Punkte. Allein 300.000 Punkte werden für den Oscar, Golden Globe, den Hauptpreis beim Deutschen Filmpreis oder den Wettbewerben auf den Festivals in Cannes, Berlin und Venedig zuerkannt. 150.000 Punkte gibt es je für eine Nominierung in dieser Rubrik. Die gleiche Punktzahl erhalten unter anderem Filme, die den Europäischen Filmpreis oder den Wettbewerbshauptpreis auf anderen wichtigen internationalen Festivals erhalten. Dazu rechnet die Filmförderungsanstalt die Festivals in Annecy, Karlovy Vary, Locarno, Rotterdam, San Sebastian, Schanghai, Sundance und Toronto. Bei Kinderfilmen werden sechs Festivals, darunter der Goldene Spatz in Gera/Erfurt, berücksichtigt, bei Dokumentarfilmen ebenfalls sechs Festivals, darunter Dok Leipzig.

Zur inflationären Vermehrung der Festivals trägt natürlich auch die aktuelle Welle der Online-Festivals einher, wobei man sich bei solchen Präsentationen fragen muss, ob der Begriff hier noch Sinn macht. Inzwischen gibt es sogar virtuelle Filmfestivals: So fand das 5. Dox Box Filmfestival, das im Vorjahr fast 30.000 Zuschauer erreichte, nicht wie geplant im März 2012 in den syrischen Städten Damaskus, Aleppo, Homs und Tartous statt, sondern quasi in aller Welt. Denn die Organisatoren hatten entschieden, das wichtigste Dokumentarfilmfestival der arabischen Welt wegen des anhaltenden Blutvergießens im Land ausfallen zu lassen. Ersatzweise erklärten sich 20 Dokumentarfilmfestivals in aller Welt bereit, zum ersten Jahrestag des Aufstands gegen das Regime in Damaskus, eine Auswahl der besten syrischen Dokumentarfilme der letzten Jahrzehnte zu zeigen. An der Solidaritätsaktion Dox Box Global Day beteiligten sich hierzulande Dok Leipzig, das Internationale Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte und das Arabische Filmfestival Berlin Alfilm.

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Filmkultur, Festival, Kulturförderung, Filmförderung, Auszeichnung

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