GRIP 46

01.05.2012

Die Arbeit am Film als Marathonlauf

Ein Porträt des Frankfurter Cutters Stefan Knauer

Von Alexander Scherer

Mitten im Frankfurter Industriegebiet, an der Daimlerstraße liegt das Studio von Stefan Knauer. Eine kleine grüne Tür führt in sein Büro. Knauer sitzt an einem Industriefilm, der noch am selben Tag vorgeführt werden soll. Ein, zwei Mauseklicks - das Projekt wird gerendert. Doch unweigerlich wird der Blick des Besuchers auf eine Reihe monochromer Bilder an den Wänden gelenkt. Der erste Eindruck täuscht. Was wie kleine Kunstwerke wirkt, sind sogenannte Schallabsorber, die, mit Steinwolle gefüllt, für eine bessere Raumakustik sorgen. Ihre künstlerische Qualität ist eher zufällig, was aber immerhin den Leiter der Städelschule, Wolfgang Winter, auf den Künstler neugierig gemacht hat.

„Ich bin das, was man einen echten Quereinsteiger nennt“. Knauer grinst. Eine Karriere in den Medien kam ihm anfangs gar nicht in den Sinn. Statt dessen wollte er - wie sein Vater - Berufsmusiker werden. Schon als Jugendlicher spielte er in einer Fülle Frankfurter Bands und lernte als Tontechniker in diversen Studios die Musikerszene kennen. Irgendwann hieß es dann: Kannst Du nicht schnell mal den Ton für dieses Video darunterlegen? Von da an war der Weg zum Bildschnitt nicht mehr weit.

Ende der 1980er Jahre führte ihn sein Berufsweg zur Postproduktionsfirma TVT. Als Videoassistent verwandte er jede freie Minute, um dazuzulernen: „Es war einfach Neugier, die mich angetrieben hat“. Als TVT sich als eine der ersten Firmen im Rhein-Main Gebiet zwei Avid-Schnittsysteme ins Haus stellte, nutzte er die neuen Freiheiten der Digitaltechnik ausgiebig, wobei die Erfahrung mit digitalen Benutzeroberflächen aus der Audiowelt ihm den Einstieg leichter machte als anderen.

1991 wagte er den Absprung. Etliche Jahre als freier Mitarbeiter folgen wie beispielsweise für „Das Werk“. Eine Zeit, in der er eng mit der Welt der Agenturen kooperierte. „Da gab es schon sehr schräge Vögel mit verrückten Ideen.“ Und er kam gut mit diesem Typus von Kreativen zurecht. Seine soziale Kompetenz war gefragt, wenn sich besonders schwierige Kunden ankündigten.

Dabei verstand er sich nie als bloßer Erfüllungsgehilfe, der nur Bilder auf einer Timeline zusammenschiebt, sondern als eigenständiger, künstlerischer Kopf: „Für mich ist es ein Entwicklungsprozess aller Beteiligten.“ Diese Einstellung machte sich vor allem bei seinen späteren TV-Features und Dokumentationen bemerkbar. Sein erster 60-Minüter entstand 1998. Mit Regisseur Wolfgang Hastert arbeitete er an „Straße der Nachtvögel“, ein Künstlerporträt über Edward Hopper.

Es folgten Projekte vor allem mit Autoren wie Michael Steinbrecher, Dietmar Westenberger, Oliver Becker oder Anette Heinrich. Die Kollegen lernten ihn dafür schätzen, dass er, wie es hieß, gerne um das beste Bild „kämpft“, auch um gerade einer Redaktion gegenüber einen gemeinsamen künstlerischen Standpunkt zu vertreten.

Knauer sieht sich dabei selbst als "chaotischen Geist“: „Warum soll man zum Beispiel mit dem Schnitt eines Filmes nicht in der Mitte anfangen dürfen? Manchmal kommt es eben vor, dass man keine Idee hat, also arbeitet man sich von der Mitte aus durch." Dazu passt auch, dass er eine sportliche Haltung zum Filmemachen besitzt. Für ihn ist es wie ein Marathonlauf, ohne zu wissen wie das Ganze enden wird.

Insgeheim steht er mit dem Kino sogar etwas auf Kriegsfuß. "Ich lasse mich gerne von Bildern faszinieren, aber nur wenn sie von mir selbst sind.“ Eine Haltung, die nicht unbedingt dazu angetan ist, sich nur Freunde zu machen. So wird sein kurzes Gastspiel als Festangestellter auch keine Sternstunde für ihn. 1999 bis 2001 leitete er die Schnittabteilung bei Scopas. „Das war absolut nicht mein Ding."

Heute arbeitet er als freier Cutter für Event- und Werbeagenturen; der Schwerpunkt aber liegt auf Dokumentationen und Fernsehfeatures. Und ab und an treibt es ihn wieder in die Welt der Musikvideos. Gerade erst ist das Video zum Eintrachtsong der „Frankfurter Jungs – Casa Nova und Fuego Fatal“ herausgekommen, für das er nicht nur Schnitt, sondern auch Kamera und Regie gemacht hat.

Die schrägsten Stories aber habe er entwickelt, Mitte der 1980er Jahre, als er mehr durch Zufall den Drehbuchautor und Mitinitiator der Oberhausener Kurzfilmtage Detten Schleiermacher kennenlernte. Mitten in der eigenen Selbstfindungsphase jener Zeit lebte er für einundeinhalb Jahre bei ihm; gemeinsam gingen sie auf Ideentrips und entwickelten die abgedrehtesten Filmgeschichten, „so abgedreht, dass keiner sie wollte“. Das habe ihn, so sein Fazit heute, mehr geprägt als gedacht.

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Crew, Postproduktion, Imagefilm

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