GRIP 43

01.11.2010

Muss Digitalisierung sein?

Wo steht Hessen in der gegenwärtigen Diskussion um die anstehende Digitalisierungswelle

Von Erwin Heberling

Die Digitalisierung der Kinos ist alternativlos, so viel steht fest. Und fest steht auch, daß der anstehende Umbruch mit enormem Investitionsbedarf verbunden ist für die jeweiligen Filmtheater – mit der Konsequenz, daß diese Finanzierungsproblematik zu einer grundlegenden Marktbereinigung führen könnte. Kleine und mittelgroße Kinobetriebe drohen auf der Strecke zu bleiben.

Dabei haben gerade die Landkinos in der Fläche einen herausragenden Stellenwert. Sie sind kommunikativer Treffpunkt und häufig auch soziokulturelles Zentrum. Sie bieten ihrem Publikum nicht nur aktuelles Mainstream-Kino, sondern auch besondere Filmreihen und ausgesuchten Filme. Dies gilt besonders auch für Hessen, einem Flächenland mit vielen Kleinstädten, die noch über ein örtliches Kino verfügen.

So verteilen sich die hessischen Filmtheater auf immerhin 78 Standorte. Viele dieser Lichtspielhäuser werden in ihrem Programmangebot vom Film- und Kinobüro Hessen unterstützt, etwa in den Bereichen Kinderkino, aktuelle Filmkunst, neue hessische Filme oder mit dem Kinosommer Hessen. Mehr als 40 Kinos nutzen diese Kooperation und sorgen so für ein effektives Netzwerk. Auch die von Bund und Land geförderten hessischen Schulkinowochen profitieren von der Vielfalt der hessischen Kinoszene.

Vor diesem Hintergrund sollte die Zukunftssicherung der Kinovielfalt weit oben stehen auf der filmpolitischen Agenda des Landes. Wenn Hessen seine Position im Verbund der Filmförderer weiter verbessern möchte und, wie Ministerin Kühne-Hörmann (CDU) gern in Anspruch nimmt, den Aufstieg in die Erste Liga plant, muß man dringend auf den Digitalisierungszug aufspringen und darf den Abstand zu anderen Filmförderländern nicht größer werden lassen. Wer Kinofilme fördert, muß auch dafür sorgen, dass sie gezeigt werden können – in den Städten wie auf dem Lande.

Im Bund ist diese Maxime erkannt worden. So hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) ein Fördermodell zugunsten sogenannter „Kriterienkinos" auf den Weg gebracht. Gemeint sind Kinos, die aus kulturellen und/oder strukturellen Gründen erhalten werden müssen. In Hessen fallen rund 180 der 330 Kinosäle unter die Rubrik „Kriterienkino": Um den Eigenanteil dieser umsatzschwächeren Kinos in Grenzen zu halten, haben Bund und FFA entschieden, sich an den Kosten für die Hardware (circa 70.000 Euro pro Leinwand) zu beteiligen, soweit auch die Länder mit einem Anteil von 25 Prozent mitziehen. Fast alle Bundesländer, in denen eine Filmförderung existiert, haben mittlerweile entsprechende Sonderprogramme aufgelegt, zumal die Bundesmittel nur bei gleichzeitiger Beteiligung des Landes abgerufen werden können. Die Zeit drängt, da zu erwarten ist, dass Bund und FFA noch in diesem Jahr ihre schon zugesagten Mittel freigeben.

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst seit einigen Jahren Zuschüsse für Kinodigitalisierung von jährlich 45.000 € vergibt, wodurch Kinos mit kleineren Leinwänden Erfahrungen mit kostengünstiger „elektronischer Projektion" (sogenanntes E-Cinema) sammeln konnten. Allerdings war von Anfang an klar, dass die Kinos mit dieser Technik an einem digitalen Pilotprojekt teilnehmen würden, da der technische Standard unterhalb der Anforderungen für digitales Kino liegt. Doch nun geht es um die Umstellung auf das sogenannte D-Cinema, wofür deutlich größere Fördersummen vonnöten sind.

Daß dies auch in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten machbar ist, hat etwa das strukturell mit Hessen vergleichbare Nachbarland Niedersachsen vorgemacht. Dort ist ein Finanzierungsmodell entwickelt worden, das nicht zu Lasten anderer Bereiche der Film- und Kulturförderung geht, indem das Land Mittel aus verschiedenen Wirtschaftsfördertöpfen abgezweigt und um Mittel aus dem europäischen Strukturförderfonds EFRE aufgestockt hat. Somit stehen in Niedersachsen für die Zukunftssicherung der Kinos im Land 750.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Ein Weg, an dem man sich auch in Hessen orientieren könnte.

* Erwin Heberling ist Geschäftsführer des Film- und Kinobüros Hessen

Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)

Schlagworte: Kino, Kulturförderung, Institution, Wirtschaftsförderung, Filmpolitik, Digitalisierung

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