GRIP 43
01.11.2010
Im Interesse des europäischen Kinofilms
Die AG Kino – Gilde tritt für einen fairen Interessenausgleich bei der Digitalisierung der deutschen Filmkunsttheater ein
Von Christian Bräuer
Seit über einer Dekade wird die weltweite Digitalisierung der Kinos diskutiert. Daran hat sich auch die AG Kino – Gilde e.V. engagiert beteiligt. Dabei geht es zunächst um nichts anderes als die Weiterentwicklung einer Technik; inhaltliche Komponenten sind davon unberührt. Aber weite Teile der Filmkunstbranche sahen die Chance zur Flexibilisierung und Erweiterung ihrer Programminhalte. Von daher wundert es nicht, dass viele unserer Mitglieder zu den Pionieren der Digitalisierung zählen. Bis vor kurzem standen die meisten digitalen Projektoren in deren Lichtspielhäusern.
Angeschoben durch den 3D-Boom, hat die Digitalisierung inzwischen weitere Kreise erreicht. Im Gegensatz zu den Filmkunsttheatern setzen die Mainstreamkinos allerdings den von Hollywood geforderten DCI-Standard ein. DCI-zertifizierte Geräte, die gemessen an der Wirtschaftlichkeit von Kinos in Anschaffung wie Betrieb horrend teuer sind, können sich aber die meisten unabhängigen Theater nicht leisten. Gleichwohl stehen sie unter dem Druck, wenn sie sich nicht entsprechend digitalisieren, vielleicht künftig nicht mehr von allen Verleihern beliefert zu werden. Denn die DCI-Umrüstung wird nicht nur von der Industrie forciert, die viel Geld in die Entwicklung gesteckt hat und die Patente auf die Software besitzt. Vorangetrieben wird sie auch von den großen Studios und Verleihern. Sie versprechen sich eine erhebliche Reduzierung der Kosten und haben die veränderten Absatzwege aktueller Filmdistribution im Blick: Kino dient zwar der Veredelung ihrer Produkte, bei der Auswertung wird aber verstärkt auf anderen Medien gesetzt. Damit einher geht die Verkürzung der Auswertungsfenster, die seit Jahren betrieben wird.
Nun sollen die Kinos in einen kostspieligen Standard investieren, damit Verleih und Produktion profitieren. Die Hollywood-Studios, die die Norm nach ihren Interessen definiert haben, müssen indes nicht die Investitionskosten tragen. Angesichts freilich der immensen Einsparpotenziale, die durch die Digitalisierung winken, beteiligen sie die Majors zwar an Finanzierungsmodellen, die nach Expertenmeinung aber ungeeignet sind für die Filmkunsttheater und traditionellen Lichtspielhäuser. Für die Pflege des europäischen Films aber sind eben diese Arthouse-Kinos unverzichtbar. Angesichts der ethnografischen Dimension dieser Werke besitzt die Digitalisierung damit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Brisanz.
Im Licht dieser Rahmenbedingungen ist eine massive Marktkonzentration zu befürchten, verbunden mit einer strukturellen Veränderung der Kinolandschaft insgesamt. Daher setzen wir uns nachdrücklich für ein solides Finanzierungsmodell, das einen leistbaren Eigenanteil enthält und auch die Filmkunsttheater sowie die Kinos in kleinen Orten mitnimmt. Dies gelingt aber nur, wenn die Verleiher ihre Einsparpotenziale angemessen weitergeben und flankierende Maßnahmen der öffentlichen Hand greifen.
Zu hinterfragen ist auch eine Norm, die viele Kinos in ihrer Existenz gefährdet – zumal DCI weit davon entfernt ist, weltweit einheitlicher Standard zu sein. Denn unbestritten geht es bei der Festlegung technischer Standards, die noch dazu mit horrenden Kosten verbunden sind, immer auch um Marktmacht und Marktanteile. Auch im Hinblick auf den rasanten Technikfortschritt sind hier geeignete (Übergangs-)Lösungen gefordert.
Leitziel des Verbandes ist die Stärkung der einzigartigen Theater- und Programmvielfalt hier und in ganz Europa. In diesem Sinne treten wir dafür ein, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und nicht durch hohe Kostenhürden und fragwürdige Finanzierungskonstrukte ins Gegenteil zu verkehren. Unverzichtbar ist der Erhalt der Unabhängigkeit – sprich der Programmhoheit – der Kinos. Gelingt dies mit vereinten Kräften, wäre der Nutznießer nicht zuletzt der zumeist öffentlich geförderte europäische Kinofilm.
* Christian Bräuer ist Vorsitzender der AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V.
Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)
Schlagworte: Kino, Verleih, Institution, Kulturförderung, Filmwirtschaft, Digitalisierung
