GRIP 43
01.11.2010
Fluch und Segen
In Frankfurt und Rhein-Main ist die Digitalisierung in vollem Gange – doch hinter den Kulissen sieht es anders aus.
Von Alexander Scherer
Die Digitalisierung der deutschen Filmtheater hat an Fahrt gewonnen: Spätestens seit dem im letzten Jahr einsetzenden 3D-Boom scheint das Eis gebrochen, nicht zuletzt weil Aufschläge für 3D-Filme an der Kinokasse einen stattlichen finanziellen Anreiz bieten. Auch in Frankfurt hat sich einiges getan: So setzen seit 2009 das Cinestar Metropolis und die Frankfurter E-Kinos auf Digitaltechnik. Mit dem Cinemagnum in der Zeilgalerie wurde das ehemalige Imax-Kino zum 3D-Screen umgebaut. Auch das Frankfurter Filmmuseum investiert im Rahmen seiner Umbaumaßnahmen in einen eigenen Digitalprojektor. Komplettiert wird das digitale Bild durch das Filmforum Höchst und die Berger Kinos. So war das Filmforum Höchst das erste Frankfurter Kino, das dank des Modellprojektes „European Docuzone" in den Genuss einer Anlage nach dem E-Cinema Standard kam. Und in den Berger Kinos sind bereits 2007 beide Säle auf digitale Vorführtechnik eingerichtet worden, und zwar in der hochauflösenden D-Cinema Norm (DCI).
Wer aber glaubt, dass nun goldene Zeiten für die Frankfurter Kinobetreiber angebrochen wären, riskiert besser einen zweiten Blick. Obwohl beispielsweise die Cineplex-Gruppe im Juli die Komplettumrüstung angekündigt und eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet hat, wird hinter den Kulissen weiter verhandelt. So haben sich die E-Kinos an der Hauptwache, die der Cineplexgruppe angehören, zwar für die neue Technik geöffnet und einen Saal umgerüstet, was aber noch lange nicht bedeute, so die Inhaberin Gabriele Jaeger, "daß wir die 35mm-Projektion demnächst komplett einmotten wird".
Die Gründe sind pragmatisch: Die Strukturen des E-Kinos sind eingespielt, Filme können ohne weiteres von einem Saal in den anderen gelegt werden. Dinge, die mit der Digitalprojektion so nicht mehr möglich sind, denn die Digital-Kopien werden von den Verleihern verschlüsselt angeliefert. Jeder Schlüssel gilt nur pro Kinosaal. Auch sind die Vorführräumlichkeiten der E-Kinos begrenzt. Nicht zu vergessen: die erhöhten Energie- und Wartungskosten gegenüber herkömmlichen Projektoren. Vor allem aber sei das über XDC und deren deutscher Tochter FTT praktizierte Finanzierungsmodell nicht akzeptabel. „Damit begäben wir uns schlußendlich in fremde Hände", argwöhnt die Kinochefin Denn die großen US-Majors subventionieren die Digitalisierung, indem sie pro US-Film eine Gebühr - eine sogenannte „Virtual Print Fee" (VPF) - an eine „Third Party", in diesem Fall an XDC/FTT, zahlen, über die der digitale Roll-Out finanziert wird. Das wiederum bedeutet massiven Einfluss auf die Spielpläne. Entscheidet sich ein Kino unter Umständen dagegen, einen bestimmten Titel zu spielen, ist es verpflichtet, selbst die VPF-Gebühr an XDC zu leisten. Alles Gründe, um sich rechtzeitig mit alternativen Anbietern zu befassen.
Für die Arthouse-Adressen Cinema und Harmonie sieht es vorerst überhaupt nicht nach Digitalisierung aus. Eine Totalumrüstung für alle fünf Leinwände würde – nach eigener Aussage von Betreiber Harald Vogel - ein Gesamtinvestition von 500.000 Euro bedeuten, für die man aktuell keine Finanzierungsoption habe. Vogel sieht ohnehin den Gesamtprozess mit durchaus kritischem Auge: „Es ist ein schwieriges Thema, dass ich mit Ruhe betrachte."
Im Filmforum Höchst gilt derzeit die Devise abwarten und E-Cinema genießen. Die 1,4K-Variante ist beim Publikum akzeptiert; eine Erhöhung der Ticketpreise konnte man vermeiden. In der Tendenz werde die Umstellung auf den höheren Standard (DCI) zwar bejaht, aber ohne öffentliche Subventionen sei das finanziell nicht zu bewerkstelligen.
Dagegen hatte man sich in den Berger Kinos 2007 für eine interne Lösung entschieden. Mit Hilfe der eigenen Hausbank wurde ein klassisches Leasing-Modell auf die Beine gestellt. Trotz dieser relativen Unabhängigkeit von einer „Third-Party" spüre Kinomacher Harald Metz dennoch, wie infolge des DCI-Standards die Machtposition der Majors einseitig ausgedehnt werde. „Die Digitalisierung erweist sich als Fluch und Segen zugleich."
Was wird also aus Frankfurts Kinolandschaft? Die Digitalisierung wird den Wettbewerb zweifelsohne weiter verschärfen wie einst die Multiplexe. Das kann bei Licht besehen zum tödlichen Fluch für die Kinovielfalt in Frankfurt werden - wenn nicht das eintritt, was dringend geboten ist: ein fairer Interessenausgleich aller Betroffenen.
Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)
Schlagworte: Filmwirtschaft, Kino, Verleih, Digitalisierung
