GRIP 43

01.11.2010

Filmproduktion im Zeitalter von Web 2.0

Ein Jour Fixe zu den Chancen und Risiken des aktuellen neuen Marktes

Von Gisela Waetzold-Hildebrandt

Der rapide technologische Umbruch, der sich in allen Bereichen des Wirtschaftslebens wie auch im privaten Umfeld vollzieht, treibt momentan nicht nur die Kinobranche – Stichwort: digitale Projektion - um, sondern wird auch die Strukturen der Filmproduktion in Frage stellen. Inwieweit können angesichts dieser rasanten Veränderungsprozesse von Internet und Digitalisierung die traditionellen Produktions- und Finanzierungsstrategien für Kinofilme überhaupt noch funktionieren? Oder anders herum formuliert: welche Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen sich aus diesen Neuentwicklungen? So skizzierte Gastgeber Ralph Förg in seiner Anmoderation das Thema des Jour Fixe im Filmhaus Frankfurt, der unter dem Titel "Filmwirtschaft 2.0 – Chance und Risiken des aktuellen, neuen Marktes" stattfand.

In seinem Einführungsvortrag ging Veit Quack, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen (HFF Konrad Wolf), auf die Faktoren der ökonomischen Entwicklung in der Film- und Fernsehwirtschaft ein und benannte eine Reihe von Parametern, die im Wandel begriffen seien: der Umfang des medialen Angebots, die Art der Vertriebswege und Kanäle, das Phänomen der Piraterie, der Globalisierungsschub im Markt sowie Anpassungen im Zuschauerverhalten.

In seinem Vortrag umriß Veit Quack die Stimmungslage in der Film- und Fernsehwirtschaft. Aus Umfragen der Produzentenallianz, in der insgesamt 200 Unternehmen aus Film, Fernsehen und Werbung zusammengeschlossen sind, ergibt sich, daß die Mitglieder in diesem Jahr von sinkenden Mitarbeiterzahlen und Umsätzen gegenüber 2009 ausgehen. Dennoch wird, so die Erhebungen, die Zahl der Produzenten und angebotenen Produktionen steigen, wobei allerdings die Verteilung der Umsätze daran extrem ungleichgewichtig verläuft. Ein Großteil des Markes bleibt bei einigen wenigen Playern hängen. In 2006 waren von 6.600 Firmen sieben Unternehmen für mehr als die Hälfte aller Fernsehproduktionen verantwortlich.

Die Mehrzahl der Produzenten hat also allen Anlass den neuen Entwicklungen kritisch gegenüberzustehen. Konnten bisher die Phasen von Produktionsprozess und Wertschöpfungskette mit den Stufen „finanzieren – produzieren – promoten – abspielen“ gleichgesetzt werden, so haben sich diese Abläufe in der "Filmwirtschaft 2.0" verändert auf „promoten – finanzieren – produzieren – abspielen“.

Vergab der Produzent Rechte bisher exklusiv, für festgelegte Lizenzgebiete und Fenster mit der „Einmal-Chance“ auf begrenzte Erlöse, so verlangt die neue Welt die nicht-exklusive und grenzenlose Rechtevergabe und bietet Langlebigkeit mit multiplen Erlösen. Die Globalisierung des Marktes bringt es mit sich, dass Inhalte international vermehrt angeboten und nachgefragt werden. Die Erlöse generieren sich aus Fernsehgebühr, Werbung, Kabelgebühr, Pay-TV, Pay-per-View, Kino und DVD (Verkauf und Verleih). Die Konsumentenausgaben steigen speziell für Internet sowie TV und werden weiterhin generiert aus Film, Musik, Radio und Games.
Die Folgerungen: der Wettbewerb wie auch der Konzentrationsprozess nehmen zu, und Nischenmärkte gewinnen an Bedeutung. Erlöse bleiben dort aus, wo Piraterie eine Rolle spielt. Die Entwicklung des neuen Marktes ist international, wobei die Konsumentenausgaben in der Summe stabil bleiben, sich jedoch neu verteilen. Die junge Generation hat neue Sehgewohnheiten entwickelt; sie geht weniger ins Kino und macht sich die neuen Applikationen von Internet, Ipods und dergleichen zunutze.

Es lohnt sich also für Produzenten sich mit der Filmwirtschaft 2.0 näher zu befassen, die neue Finanzierungs- und Erlösmodelle in Aussicht stellt. Die Rolle der Produzenten wird zukünftig neu definiert, denn der direkte Zugang zu Endkonsumenten eröffnet gleichzeitig Wege, den Zuschauer an Vorbereitung und Finanzierung einer Produktion teilnehmen zu lassen. Zur Verdeutlichung wurden einige Beispiele angeführt von bereits realisierten Produktionen, die verblüffende Erfolge in dieser Hinsicht erzielten. Die anschließende Diskussion kreiste um Fragen zur Rechte-Situation, zur Gestaltung einer Website, zu Website Shops und Zahlungsfunktionen.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Filmproduktion, Webformat, Filmhaus Frankfurt, Filmwirtschaft, TV/Rundfunk

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