GRIP 43
01.11.2010
Eine Branche zwischen Traum und Wirklichkeit
Beim Jour Fixe im Filmhaus Frankfurt wurde ein düsteres Bild der realen Arbeitswelt im Film- und Mediengewerbe gemalt
Von Daniel Güthert
Kaum daß der Jour Fixe im Filmhaus Frankfurt zum Thema "Einkommenssituation und soziale Absicherung der freien Film- und Medienschaffenden" eröffnet war, entbrannte eine lebhafte, engagierte Diskussion wie selten sonst. Bestätigt wurde durch zahlreiche Einlassungen aus dem Plenum, was die Gewerkschaftlerin Anja Willmann (Verdi) ausführte: Trotz tarifvertraglicher Regelungen wird die Produktionswirklichkeit in dem vermeintlichen Traumberuf Film alles andere als attraktiv angesehen. In einer kürzlich erhobenen Umfrage der Gewerkschaft haben die Filmschaffenden die problematischen Arbeitsbedingungen beim Dreh insgesamt beklagt, die zu langen Arbeitszeiten mit 11 Stunden und mehr, die fehlenden Pausen, die vergleichsweise mäßige Vergütung ohne Überstundenausgleich, Nachtzuschläge oder Urlaubsansprüche und die zunehmende fehlende soziale Absicherung. Mit einer Zustimmung von 80 Prozent der Befragten stand dieser Punkt am massivsten im Fokus der Kritik.
Bekräftigt wurde diese Einschätzung durch den bekannten Tonmann Michael Busch, der zuletzt etwa für die Kinofilme "Unter dir die Stadt" oder "Hildegard von Bingen" den Ton gemacht hat. Vieles, das vor zehn Jahren, so Busch, noch durch Zuschläge und Sondertarife vergütet worden sei, falle heute einfach weg. Aus seiner Sicht habe sich die Einkommenssituation eindeutig verschlechtert.
Um diesen Fehlentwicklungen künftig wirksamer entgegenzutreten, hat Ver.di 2005 das Projekt Connexx.av ins Leben gerufen. Eine Initiative, wie Anja Willmann erklärte, die sich als Ergänzung zur ehrenamtlichen Arbeit der Filmschaffenden im Bundes-Film-Verband (BFV) von ver.di versteht und gezielt die sozialen Belange der Beschäftigten im Blick hat. Sechs Büros sind inzwischen an zentralen Standorten der Filmproduktion in Deutschland, unter anderem in München, Berlin, Hamburg, Köln und seit 2009 auch in Frankfurt, eingerichtet worden, die unmittelbar als Ansprechpartner der Branche zur Verfügung stehen.
Als Arbeitsschwerpunkt nannte Anja Willmann die Beratung und Betreuung der freien und festen Mitarbeiter in allen Sparten der Film- und Medienbranche, angefangen von Printmedien über Film, Fernsehen, Hörfunk, bis hin zur Werbung. Dazu gehöre auch, so Willmann weiter, in regelmäßiger Folge Setbesuche vorzunehmen, um vor Ort festzustellen, inwieweit tarifvertragliche Bestimmungen eingehalten werden und wie die Erfahrungen in der Realität am Set aussehen.
Als Vertreter der Produzentenseite zeigte Robert Malzahn (Luna Park 64) grundsätzlich Verständnis für die Kritik, verteidigte zugleich aber das Ausschöpfen unternehmerischer Spielräume: "Wenn ich eine Crew aus Berlin für eine deutlich geringere Gage engagieren kann als aus Frankfurt, dann ist das nichts anderes als übliches marktwirtschaftliches Handeln."
Gleich mehrfach wurde von Diskussionsteilnehmern in dem Kontext moniert, daß tarifvertragliche Regelungen in der Praxis kaum Geltung hätten. Häufig würden Stellen durch preiswerte Praktikanten und Hilfskräfte besetzt. Darauf angesprochen, verwies Malzahn auf die finanziellen Zwänge, denen der Produzent ausgesetzt sei angesichts der immer schmaler kalkulierten Produktionsetats. Wie Malzahn sah auch die Filmregisseurin Annette Ernst die Schuld weniger bei den Produktionsfirmen als bei den Auftrag gebenden Sendern: "Es sind die Sender, die die Vorgaben diktieren. Wenn ich gestern für einen TV-Film noch 24 Drehtage hatte, werden mir heute gerade noch 20 oder 21 Drehtage zugestanden."
Aus dem Blickwinkel des freien Journalisten schilderte Alexander Mühlenberg (Medienforum Rhein-Main) die Lage für seinen Berufsstand ganz ähnlich und sprach sich dafür aus, sich stärker zusammenzuschließen und Netzwerke zu bilden, um die eigenen Interessen besser wahren zu können. Er bemängelte den geringen Organisationsgrad der Freiberufler. Nach aktuellen Zahlen seien nur 28 Prozent der Freelancer in der Gewerkschaft vertreten, was Anja Willmann bestätigte. Den solidarischen Zusammenhalt bewusst zu machen und zu organisieren, auch im Zusammenspiel mit den einschlägigen Berufsverbänden, sei, so Willmann, eine weitere Verpflichtung der Gewerkschaft. Denn in dem Punkt sei man längst noch nicht am Ziel.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Filmhaus Frankfurt, Filmpolitik, Sozialversicherung, Crew, Institution
