GRIP 43

01.11.2010

Die Technik ist nicht alles

Ein Porträt der Frankfurter Kameramannes Armin Alker

Von Claudia Prinz

Wenn es um die großen Bilder geht, um die entfesselte Kamera, dann gilt der Kinofilm als Königsdisziplin, der Fernsehfilm dagegen als Konsumware. Eine Einschätzung, der Kameramann Armin Alker einerseits widerspricht, ihr andererseits aber auch beipflichtet: "Dadurch, dass viele Kinofilme eine Fernsehauswertung haben, werden sie gar nicht in diesen totaleren Bildern gedreht, da müssen oft Kompromisse gemacht werden. Aber Kameraleute, die Kino machen, setzen sich darüber dann auch einfach hinweg und sagen: Kino ist die Erstverwertung und dafür arbeiten wir erst mal. Da wird bewußter mit den Einstellungsgrößen umgegangen. Im Fernsehen macht man sich oft zu wenig Gedanken darüber. Da macht man als Kameramann sicher andere Bilder als für’s Kino. Manchmal werden ‚Tatorte’ ja als Preview im Kino gezeigt. Dann sehe ich: die eine oder andere Einstellung hätte ich bei einem Kinofilm anders gemacht“.

Und Alker weiß, wovon er spricht. Seit vielen Jahren ist er leitender Kameramann beim Hessischen Rundfunk, mit einer Creditlist, die sich sehen lassen kann: Ein gutes Dutzend Fernsehfilme, vierzehn "Tatorte", vier Einzelfolgen "Polizeiruf 110", eine Vielzahl von Dokumentationen und Studioarbeiten gehen auf sein Konto. Seit 1982 arbeitet er beim Hessischen Rundfunk, nach einem Studium der visuellen Kommunikation in Offenbach und Volontariat.

Der gebürtige Frankfurter hat sich früh für eine Festanstellung beim HR entschieden, nachdem er zuerst als freier Mitarbeiter, dann als Assistent schon bald bei längeren Filmen mitarbeiten konnte und immer mehr Chancen bei interessanten Projekten bekam, zum Beispiel bei einem 90-Minuten Feature über 500 Jahre Conquista in Südamerika oder einer drei-Stunden Dokumentation über 30 Jahre Auschwitz-Prozess. 1996 drehte er den ersten Fernsehfilm für ARTE, „Das Lachen der Ochún“ von Thomas Rautenberg, der auf Kuba gedreht wurde, und noch in Havanna erhielt er einen Anruf von Sylvia Hoffman, die ihn für einen Tatort haben wollte. „Und so ging es immer weiter. Natürlich gab es auch schon mal Möglichkeiten, aufzuhören und frei zu arbeiten. Ich habe Egon Werdin in Berlin bei einem Kinofilm assistiert, das lief über eine Beistellung vom HR. Das war so eine Gelegenheit herauszufinden, wie es wäre, als freier Kameramann zu arbeiten. Ich hatte auch Kontakt zu Jürgen Jürges, der hatte aber bereits einen Assistenten; sonst hätte er mich genommen“.

Im nachhinein ist er froh darüber, dass nichts daraus geworden ist. Da der HR der einzige Sender in der ARD ist, der seine Fernsehspiele ausschließlich selbst produziert, hat er die berufliche Sicherheit und die Arbeit, die er immer wollte. In der Regel übernimmt er zwei Filme im Jahr und wenn er dann noch Zeit hat, arbeitet er im Studio, was eine angenehme Abwechslung ist, weil das mit festen Anfangs- und Endzeiten einhergeht und sein Leben dadurch planbarer wird. Aber leider hat er heutzutage zu wenig Zeit für Dokumentationen, die er sehr reizvoll findet. Wenn es eine Chance gäbe, würde er gerne wieder welche machen, wie damals den Auschwitz-Film mit Dietrich Wagner und Rolf Bickel: „Die Idee für diese Dokumentation kam daher, dass es vom Auschwitz-Prozess Tonband-Mitschnitte gab, und diese Aussagen haben wir dann bebildert. Wir hatten den Gerichtssaal als Modell 1:10 nachgebaut und sind dann mit der Kamera durch dieses Modell gefahren, um ein Gefühl zu erzeugen, wie es damals war. Menschen gab es nur auf den Archivbildern, respektive in den Zeitzeugeninterviews. In Auschwitz haben wir drei Wochen im Winter gedreht, das war eine sehr bewegende Erfahrung“.

Im Rahmen seines Kamerateams bestimmt und überwacht der leitende Kameramann Beleuchtung, Bildkomposition und Kameraführung. Ein Großteil der Entscheidungen darüber fällt schon in der Vorbereitungszeit: Die optische Auflösung wird mit dem Regisseur festgelegt und bei komplizierteren Motiven wird auch die Lichtführung im Vorfeld bestimmt, weil sie entsprechend eingerichtet werden muss. Aber Armin Alker ist kein großer Freund von aufwendigen technischen Vorbereitungen. Über seine eigene Technik denkt er nicht gern nach und will vieles auch gar nicht wissen, denn durch zu viel Technik fühlt er sich behindert. Er braucht seine Leute, die zuständig sind und über die Technik Bescheid wissen; er selbst will den Kopf für kreative Prozesse frei haben: „Ich arbeite eher aus dem Bauch heraus als aus dem Kopf. Das eine schließt natürlich das andere nicht aus. Aber für mich geht es vor allem darum, die Geschichte mit dem Regisseur zusammen ‚richtig’ zu erzählen. Bei der Arbeit mit Lars Kraume zum Beispiel schätze ich, dass man eine Authentizität der Geschichte bekommt, indem man relativ spontan arbeitet, meistens nur einmal probt, um ungefähr zu sehen, wer was wo macht und dann dreht man das mit zwei Kameras und lässt den Schauspielern alle Freiheiten. Man dreht und guckt was passiert. Seinen Geschichten tut das gut und es gefällt mir sehr, diese Freiheit zu haben."

Seine Skepsis der Technik gegenüber erstreckt sich auch auf elektronische Kameras. Bisher wurden die Fernsehfilme des HR noch überwiegend auf 16mm gedreht, denn es gab keine echte Alternative. Die Elektronik sei nicht gut genug oder zu aufwendig und zu teuer, meint Alker, aber das werde sich ändern: „Früher dachte man, dass man viel mehr Licht aufbauen muss, weil die Kamera nicht so empfindlich ist und dass sie große Kontraste nicht erträgt. Aber das hat sich inzwischen alles relativiert. Die neuen Kameras können das sehr gut. Arri hat beispielsweise die elektronische Kamera "Alexa" herausgebracht. Oder nehmen Sie die Res, dafür gibt es jetzt einen neuen, hochempfindlichen Chip; damit werden wir möglicherweise den nächsten "Tatort" drehen. Da bin ich mal gespannt. Bisher fehlt mir die Erfahrung, aber ich weiß von Kollegen, dass es ein Arbeiten wie mit Film ist. Wenn das stimmt, wird es für mich kein Problem sein."


Filmografie (Ausschnitt)
Meine Tage mit Euch
2010, Regie: Edward Berger
Lisas Fluch
2010, Regie: Petra Katherina Wagner
Verhältnisse
2010, Regie: Stefan Kornatz
Sieben Tage
2009 Regie: Petra Katharina Wagner
Tatort - Der frühe Abschied
2008, Regie: Lars Kraume
König Drosselbart
2008, Regie: Sibylle Tafel
Windland
2007, Regie: Edward Berger
Ein spätes Mädchen
2007, Regie: Hendrik Handloegten
Das unreine Mal
2006 Regie: Thomas Freundner
Bettis Bescherung
2006, Regie: Thomas Freundner
Tatort - Das letzte Rennen
2006, Regie: Edward Berger
Tatort - Wo ist Max Gravert?
2005, Regie: Lars Kraume)
Nominierung Deutscher Fernsehpreis
Heirate meine Frau
2005, Regie: Hajo Gies
Nach so vielen Jahren
2003, Regie: Marek Gierszal
Tatort – Herzversagen
2004, Regie: Thomas Freundner
Adolf-Grimme-Preis
Engels sucht Flügel
2001, Regie: Marek Gierszal
Das Lachen der Ochún
1996, Regie: Thomas Rautenberg
Verdict on Auschwitz
1993, Regie: Rolf Bickel, Dietrich Wagner

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Filmemacher*in, TV/Rundfunk, Crew, Dreharbeiten, Spielfilm, Dokumentarfilm

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