GRIP 43

01.11.2010

Das digitale Kino hat viele Vorteile

Doch die Frage ist: wer bezahlt die kostspielige Umstellung?

Von Reinhard Kleber

Analoges oder digitales Kino? So viele Jahre diese Frage die Befürworter und Gegner des digitalen Kinos auch beschäftigt hat, sie ist längst entschieden. Ein Großteil der kommerziellen Filmtheater in Deutschland und Europa hat bereits umgerüstet, und das in rasantem Tempo. Die Zahl der europäischen Kinosäle mit digitaler Technik hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. Nach Angaben der Audiovisuellen Informationsstelle des Europarats gab es 2008 rund 1.500 digitale Säle, 2009 aber schon 4.700. Spitzenreiter ist Frankreich mit 904 Sälen, gefolgt von Großbritannien mit 668 Sälen. In Deutschland stieg die Zahl digitaler Säle von 161 auf 592.

Nachdem hierzulande bisher nur einige unabhängige Kinobetreiber ihre Lichtspielhäuser vollständig umgerüstet hatten, kündigte im Juli als erste deutsche Kinokette Kinopolis an, alle 15 Häuser mit 123 Sälen bis Ende 2011 komplett zu digitalisieren. Wenige Tage später folgte die Cineplex-Gruppe mit 80 Kinos und 450 Leinwänden. Der Verbund aus 35 mittelständischen Betreibern setzt dabei ebenso wie Kinopolis auf die Dienste des belgischen Technikausrüsters XDC.
Zugkräftige 3D-Filme wie „Avatar“ oder "Toy Story 3" gelten als wichtigster Wachstumsmotor der Digitalisierung, zumal – mit Ausnahme eines randständigen Spezialverfahrens auf 35 mm-Basis – die Digitaltechnik Voraussetzung für stereoskopische Projektionen ist. Begünstigt wurde die Entscheidung für die Investitionen dadurch, dass vor allem die Hollywood-Studios Dutzende 3D-Produktionen angekündigt haben und die Kinobetrieber für 3D-Projektionen einen Zuschlag zum Eintrittspreis verlangen, den sie neben den Anschaffungskosten von rund 30.000 Euro mit höheren Betriebskosten und der rascheren Abnutzung der Geräte begründen.

Im Dezember 2009 konnten bereits 69 Prozent der digitalisierten Kinos in Europa auch 3D-Filme zeigen. In einigen mittel- und osteuropäischen Ländern wie in Russland, Tschechien, Italien, Ungarn oder der Türkei , in denen die Umrüstung von analogen auf digitale Projektionen erst später einsetzte, liegt der Marktanteil der 3D-Kinos sogar bei über 80 Prozent. In Deutschland verfügen derzeit etwa 290 Kinos mit etwa 430 Sälen über digitale 3D-Projektionsanlagen. Nach Schätzungen aus der Kinowirtschaft wird die Zahl der 3D-Leinwände bis zum Jahresende auf 600 steigen.

Eine Studie zur 3D-Akzeptanz, die die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg jüngst vorgelegt hat, belegt, dass die Hälfte aller Befragten im Alter zwischen 14 und 64 Jahren bereits einen 3D-Film gesehen hat und das dreidimensionale Kino vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf großes Interesse stößt. Die Anziehungskraft von 3D-Versionen bestätigte kürzlich auch das Stuttgarter Metropol-Kino. “Wenn wir beide Versionen parallel spielen, wird die dreidimensionale trotz höherer Eintrittspreise eindeutig bevorzugt”, sagte Gerhard Steinhilber vom Metropol. Für Filmproduzenten besonders interessant dürfte der Befund sein, dass sich bei den fiktionalen Formaten aus Sicht der Befragten vor allem Science-Fiction- und Animationsstreifen für eine Aufbereitung in 3D anbieten. Für Kinobesitzer erfreulich ist insbesondere das Ergebnis, dass vor allem das jüngere Publikum eher bereit ist, einen höheren Preis für das 3D-Erlebnis zu zahlen.
Angesichts des digitalen Vorsprungs der Großkinos stellt sich für die meisten anderen Spielstätten wie kleinere Erstaufführer, Land- und Programmkinos sowie Kommunale Kinos immer dringlicher die Frage, wann sie nachziehen sollen, zumindest in Form einer digitalen Zweitausstattung neben den bewährten 35 mm-Projektoren. Denn früher oder später müssen sie umstellen, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen. Das Kernproblem dabei ist die Finanzierung der Umrüstung, die der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF Kino) mit rund 300 Millionen Euro für die 3.700 Kinosäle in Deutschland veranschlagt. Denn viele kapitalschwächere Lichtspielhäuser können sich die teuren Geräte samt höheren Betriebskosten kaum oder gar nicht leisten, zumal sie im Unterschied zu den Verleihern, die beträchtliche Kosten für die Herstellung und Lieferung der 35 mm-Kopien einsparen, kaum von der Umrüstung profitieren.

Im Grunde gibt es drei Finanzierungswege. Zum ersten sind einige Kinopioniere vorangeprescht und haben die Digitaltechnik gekauft oder geleast – mit dem Risiko, dass diese in wenigen Jahren veraltet ist. Zum zweiten haben viele Multiplexbetreiber Verträge mit sogenannten Integratoren geschlossen. Das sind Unternehmen, die die Umrüstung vorfinanzieren. Die großen US-Studios zahlen diesen Ausrüstern wiederum für jede digitale Vorführung ihrer Filme eine Gebühr (Virtual Print Fee – VPF). Schätzungsweise übernehmen die Studios bis so 75 Prozent der Umstellungskosten. Der Nachteil für die Kinobetreiber: Sie müssen sich einer strikten Kontrolle der Filmlieferanten unterwerfen, die jede illegale Raubkopie verhindern wollen.

Das VPF-Modell, das sich in den USA großenteils bewährt hat, ist derzeit auf die Bedürfnisse von Großkinos mit hohem US-Filmanteil abgestimmt. Für Programmkinos zum Beispiel bringt es teure Nachteile. Außerdem haben die Studios solche Verträge bisher nur in den größeren europäischen Ländern abgeschlossen, für kleine Länder lohnt sich aus ihrer Ansicht der Aufwand nicht.

Der dritte Weg sieht eine Subventierung der Umrüstung durch den Staat vor. Nachdem die beteiligten Interessengruppen in Deutschland darüber seit Jahren diskutiert haben, hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Frühjahr ein Fördermodell vorgelegt, das eine Finanzhilfe für die kleineren Kinos vorsieht, die unverzichtbar sind, wenn man eine Kinoversorgung in Kleinstädten und auf dem Land erhalten will.

Für dieses Jahr hat Neumann vier Millionen Euro eingeplant, um 1.200 kleinen Kinos mit bis zu sechs Leinwänden zu helfen, die durchschnittlich zwischen 40.000 und 180.000 Euro Jahresumsatz pro Leinwand erwirtschaften. Das Förderprogramm soll über vier bis fünf Jahre laufen. Allerdings hat der Bundestag das Programm an Finanzhilfen der Bundesländer gekoppelt und erwartet eine Beteiligung der Filmverleiher, Kinos und der Filmförderungsanstalt (FFA).
Einige Bundesländer haben solche Fördermodelle bereits auf den Weg gebracht oder angekündigt. Als erstes Land legte Bayern im Vorjahr ein Förderprogramm auf, das die Digitalisierung der bayerischen Kinos mit jährlich einer Million Euro fördert. Seit diesem Mai können kleinere Kinos in Nordrhein-Westfalen bei der Filmstiftung NRW für die Digitalisierung einen Zuschuss von rund 20.000 Euro pro Saal aus Landesmitteln beantragen. Allerdings müssen die Kinobetreiber einen Eigenanteil von 20.000 Euro aufbringen. Ebenfalls im Mai gab die Staatskanzlei in Hannover bekannt, dass 19 Programmkinos oder kleinere Kinos in ländlichen Regionen in Niedersachsen vom Land und der EU bei der Digitalisierung mit zusammen 279.000 Euro unterstützt werden, um beim Erhalt einer „vielfältigen Kinolandschaft“ zu helfen. Auch Berlin und Baden-Württemberg haben inzwischen nachgelegt. Und weitere Bundesländer, so viel ist sicher, werden folgen; denn aufzuhalten ist der Trend nicht mehr.

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Kino, Kulturförderung, Filmkultur, Politiker*in, Spielfilm, Digitalisierung

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