GRIP 43
01.11.2010
Aktuelle Entwicklungen im Filmarbeitsrecht
Der neue Tarifvertrag für die Film- und Fernsehbranche (TV FFS)sorgt für Rechtssicherheit
Von Marcus Sonnenschein
Nach langen Verhandlungen ist am 1. Januar 2010 der neue Tarifvertrag für die Film- und Fernsehschaffenden (TV FFS) in Kraft getreten. Tarifverträge für die Film- und Fernsehschaffenden haben eine bis in die 40er Jahre zurückgehende Tradition. Während inzwischen die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Fernsehgesellschaften eigenen tarifvertraglichen Bestimmungen unterliegen, gilt der TV FFS für die auf Produktionsdauer beschäftigten Film und Fernsehschaffenden. Der TV FFS ist nicht allgemeinverbindlich. Er kommt nur dann zur Anwendung, wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind.
Eine sogenannte originäre Tarifbindung ist gegeben, wenn beide Arbeitsvertragsseiten Mitglieder ihrer jeweiligen Organisationen (Arbeitgeberverband, Gewerkschaften oder Arbeitnehmervereinigungen) sind. Dies sind auf Arbeitgeberseite die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V. und der Verband Deutscher Filmproduzenten. Auf der Arbeitnehmerseite ergibt sich eine sogenannte originäre Tarifbindung entweder aus einer Mitgliedschaft in einem der tarifgebunden Interessenverbände für die verschiedenen Berufsgruppen am Set (zum Beispiel im Bundesverband Kamera e.V. (BKV) oder im Bundesverband Produktion e.V. und so weiter) oder aus einer Gewerkschaftszugehörigkeit.
Tarifgebunden ist ein Interessenverband der Filmschaffenden allerdings nur, wenn er gemeinsam mit ver.di die aktuellen Tarifverhandlungen geführt hat. Neben bekannten Modellen wie etwa das Arbeitszeitkonto 50/40 finden sich im neuen TV FFS sowohl Aktualisierungen (Gagentabelle, Mehrarbeitszuschläge) als auch grundlegende Neuerungen. So ist nun die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab dem ersten Arbeitstag geregelt. Die wichtigsten Neuerungen betreffen jedoch die Arbeitszeiten, insbesondere die Einführung einer Tageshöchstarbeitszeit von 13 Stunden, die nur in besonderen Ausnahmefällen überschritten werden darf. Die Arbeitszeiterfassung ist den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) angepasst worden, wobei die Tarifparteien sich leider nicht auf einen brancheneinheitlichen Zeiterfassungsbogen einigen konnten.
Nach wie vor bringt der TV FFS Rechtssicherheit für den Produzenten und die Filmbeschäftigten, da nur die Anwendung dieses Tarifvertrages eine Abweichung von den strikten Vorgaben des ArbZG ermöglicht. Das ArbZG würde tägliche Höchstarbeitszeiten von regelmäßig acht Stunden pro Tag, in Ausnahmefällen 10 Stunden pro Tag zulassen, was mit der Realität am Set kaum vereinbar wäre. Abweichungen vom ArbZG sind nur auf Grund eines Tarifvertrages möglich (§ 12 ArbZG), eine arbeitsvertragliche Abweichung vom ArbZG hat der Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossen.
Wie auch in vielen anderen Branchen regelt der TV FFS daher einen sogenannten „Korridor“ durch das Arbeitszeitgesetz und lässt längere Tageshöchstarbeitszeiten zu. Gleichzeitig gewährleistet der TV FFS jedoch, dass die extremen Arbeitszeitbelastungen am Set durch Überstunden- und Zeitzuschläge, aber auch durch das Arbeitszeitkonto kompensiert werden. Ohne die Anwendung des TV FFS ist ein Produzent gezwungen das Arbeitszeitgesetz strikt einzuhalten und müsste seine Produktionsabläufe am Set darauf einzustellen.
Soweit keine originäre Tarifbindung gegeben ist, bleibt lediglich die Möglichkeit, die Anwendung des TV FFS mit dem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag zu vereinbaren. Dabei ist es nicht jedoch unzulässig, den Arbeitsvertrag so zu gestalten, dass lediglich die für die Arbeitgeberseite, das heißt den Produzenten vorteilhaften Regelungen des TV FFS wie beispielsweise der Arbeitszeitkorridor übernommen werden, wohingegen die „arbeitnehmerfreundlichen“ Kompensationsregelungen einfach weggelassen werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Rechtsprechung dieses „Rauspicken der Rosinen“ für unzulässig erklärt. Abweichungen von einem anzuwendenden Tarifvertrag sind nur zugunsten der Arbeitnehmer (sogenanntes Günstigkeitsprinzip) möglich.
In der Gestaltung von Arbeitsverträgen für Filmschaffende tritt diese Problematik insbesondere bei der Vereinbarung von Pauschalgagen auf. So vereinbaren Produzent und Filmschaffender in der Praxis zumeist die Anwendung des TV FFS, da nur so der Arbeitszeitkorridor geschaffen wird. Wenn dann in diesem Vertrag sämtliche Mehrarbeitszuschläge durch eine Pauschalgage abgegolten sein sollen, stellt sich die Frage, ob diese Pauschalgage im Vergleich zur strengen Anwendung der Tarifgagen mit Mehrarbeitszuschlägen „günstiger“ ist oder nicht. Dies lässt sich vor Drehbeginn häufig nur sehr schwer ermitteln, da die Anzahl der tatsächlich geleisteten Mehrarbeitsstunden erst nach Beendigung des Drehs feststeht. In der Praxis bedeutet dies, dass die Vereinbarung übertariflicher Pauschalgagen zwar nicht ausgeschlossen ist, jedoch die Pauschalgage soweit „übertariflich“ sein muß, dass alle möglicherweise und in der Praxis grade nicht exakt vorhersehbaren Überstunden ausreichend kompensiert werden.
Gänzlich unzulässig ist aus Sicht der Arbeitsgerichte die Anwendung des TV FFS auf der einen Seite bei gleichzeitiger Bezahlung untertariflicher Gagen. In diesen Fällen bestehen Klagemöglichkeiten des Filmschaffenden auf entsprechende Nachvergütung. Diese nicht ganz einfache Anwendung der Arbeitszeitregelungen des ArbZG oder des TV FFS werden in der Praxis derzeit durch die zuständigen Landesaufsichtsämter verstärkt geprüft. Während in der Vergangenheit diese Überprüfungen der Arbeitszeiten regelmäßig nur beim Dreh mit Minderjährigen stattfanden, richtet sich die Aufmerksamkeit der Landesaufsichtsämter verstärkt auch auf "normale" Dreharbeiten.
Anhand vieler Prüfungen in den letzten 12 Monaten zeigt sich, dass die kontrollierenden Aufsichtsbehörden nicht nur die Gegebenheiten am Set berücksichtigen, sondern auch über genaue Kenntnis der tarifvertraglichen Situation und entwaige Ausnahmetatbestände verfügen. Ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz ist eine Ordnungswidrigkeit, im Wiederholungsfalle sogar eine Straftat, und wird mit empfindlichen Geldbußen belegt. Prominente Beispiele aus der Filmbranche sprechen für sich. Ebenso wird durch die Sozialversicherungsträger der Status der Filmschaffenden zunehmend kritisch überprüft. Auch dort ist durch die Neuorganisation der BfA, der BVA und der Künstlersozialkasse in die Rentenversicherung Bund die gesamte Medienbranche, insbesondere die Filmbranche, in den Prüfungsfokus gerückt.
Den Sozialversicherungsträgern geht es dabei um die Erfassung von Scheinselbstständigen, was die lang gelebte Praxis auch in der Filmbranche im Hinblick auf Werkverträge, selbständig Beschäftigte und „Arbeiten auf Rechnung“ nachhaltig verändern wird. Maßgebliches Kriterium ist hier die Weisungsabhängigkeit des jeweiligen Filmschaffenden. Viele Gewerke am Set, die bislang noch in den „Genuss“ der selbstständigen Tätigkeit kamen, werden inzwischen als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eingestuft. Da einzelfallabhängig geprüft wird, gibt es auch keine „allgemeinen Befreiungen“ mehr. Für jeden Dreh und jeden Einzelfall muss jeweils geprüft werden, ob ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt oder die Befreiungstatbestände greifen. Dafür hat die Rentenversicherung Bund die sogenannte „Clearingstelle“ eingerichtet, in der die Vertragsparteien die Möglichkeit haben, den Status des Filmschaffenden vor Drehbeginn feststellen zu lassen. In Zweifelsfällen ist dies dringend empfohlen.
Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob und inwieweit diese neuen tarifvertraglichen Regelungen und die Prüfungsvorgaben der Sozialversicherungsträger den tatsächlichen Verhältnissen am Set und der sozialen Situation der Filmschaffenden ausreichend Rechnung tragen. Fest steht, dass der Gesetzgeber und auch die Sozialversicherungsträger keine Ausnahmebestimmungen für die Filmbranche geschaffen haben und auch nicht schaffen werden. Es handelt sich um eine Realität, die für andere Berufsgruppen schon längst selbstverständlich ist und nun auch die Filmbranche erreicht.
* Marcus Sonnenschein ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei Brehm & v. Moers
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: TV/Rundfunk, Sozialversicherung, Crew, Filmproduktion