GRIP 38

01.05.2008

Nichts für Angsthasen

Ein Porträt der Filmproduktionsfirma Slowboat Films

Von Gunter Deller

Es ist schier unglaublich: 6 Langfilme in 4 Jahren hat Slowboat Films produziert - darunter die Dokumentarfilme „Voodoo Rhythm – The Gospel of Primitive Rock´n Roll" (eine Reise zu den Musikern der gleichnamigen legendären Schweizer Plattenfirma und seinem Begründer Reverend Beat-Man), „The Dead Brothers – Death is not the End" (ein Porträt der „psycho slavic Country & Eastern funeral band") und „Zownir – Radical Man", der sich dem meistzensierten Fotografen, Krimiautoren und Filmemacher Miron Zownir widmet. Dann die Spielfilme „The Road To Nod", eine Mischung aus film-noir und Roadmovie mit hypnotischem Blues-Soundtrack, in dem ein Haftentlassener sich auf der Flucht von Frankfurt nach Irland befindet oder das neueste Werk, „The Folksinger", das kurz vor der Fertigstellung steht. Hier driftet der Folkblues-Sänger Jon als werdender Vater durch Texas und Louisiana, begegnet manch zwielichtigen Existenzen und muss sich am Ende seinen eigenen Dämonen stellen. Und zwischendurch werden immer wieder Videoclips gedreht für Musiker wie Reverend Beat-Man, The Mojomatics, King Automatic oder The Dead Brothers.

Dem irrwitzigen Produktionstempo steht die Machart der Filme gegenüber und wird somit dem Namen der Firma gerecht: hier lässt man die Interview-Partner ausreden, aufgeführte Musikstücke erklingen in voller Länge, es gibt keine modischen Mätzchen, Effekte und schnellen Schnitte. Lange ruhige Einstellungen bestimmen den Stil. In der Wahl der Sujets folgt Slowboat Films konsequent der Vorliebe für unkonventionelle, rauhe, unmittelbare, in gewisser Weise primitive künstlerische Äußerungsformen. Es entstehen persönlich geprägte Filme, unabhängig von Trends, finanziellen Interessen und Erwartungen, also authentisches Independent-Kino – weit entfernt von dem, was die Filmindustrie sich als Markenzeichen für bestimmte „Arthouse-Produktionen" angeeignet hat.

Doch wer ist eigentlich Slowboat Films? In erster Linie Mark Alexander Littler, der das Label schon während seiner 2-jährigen Ausbildung an der Vancouver Filmschool im Jahr 1999 gründete. Im Intensivstudium erlernte er dort die technischen Grundlagen des Filmemachens mit dem Ziel, alles selbst umsetzen zu können. Zunächst verschlägt es Littler nach Berlin, bald aber kehrt er, frustriert über die dortige Filmszene, in seine Heimatstadt Frankfurt zurück. Wiewohl er auch hier von institutionellen Filmfördereinrichtungen größtenteils ignoriert wird, hält es ihn in dieser Stadt, er liebt sie geradezu. Der Charme bestimmter Locations wie des Osthafens oder des Bahnhofsviertels findet sich in so mancher Einstellung.

Aus seiner Unlust heraus, sich langwierigen bürokratischen Prozeduren zur Finanzierung seiner Filme zu unterziehen, beginnt Littler, ein Netzwerk aus Freunden und Helfern aufzubauen. Slowboat Films ist also eher eine Infrastruktur denn eine Produktionsfirma – es ist die Verwirklichung einer Philosophie des Filmemachens, wie sie von Autorenfilmern der 60er und 70er Jahre praktiziert wurde.

Den Dreh sieht Littler als Kommunikationsprozess und ein Regisseur ist für ihn jemand, der das Umfeld schafft für „wunderbare Sätze und magische Momente". Die Darsteller sind meist befreundete Künstler, jedenfalls keine professionellen Schauspieler, aber Menschen, deren natürliches Charisma unmittelbar in die Produktion einfließt.

Die Filme strahlen trotz ihrer Rohheit einen höchst professionellen Look aus, gedreht wird meist auf avancierten Videoformaten wie 24p oder HD-Systemen, aber auch 16mm und Super-8 kommen zum Einsatz. Zu verdanken hat Littler dies solch vorzüglichen Kameraleuten wie Phillip Koepsell oder Daniel Tripp. David Meves mit seinem Produktionsgeschick und der Cutter Alexander Schnell sind unerlässliche Mitarbeiter und Unterstützer. Viel Zeit und Kreativität investieren sie neben ihren Brotjobs in Littlers Projekte, stellen wertvolle Kontakte her und helfen bei den notwendigen Verhandlungen. Dabei sind es gerade die größeren Produktionsfirmen, die uneigennützig unter die Arme greifen – beispielsweise „Acht Frankfurt". Erste Mitarbeiterin ist allerdings Littlers Frau, die Malerin Sinead Gallagher – als aufmerksame und kritische Leserin seiner Drehbücher.

Seine Produktivität erklärt Littler so: „Ich sage oft zu früh: Wir machen den Film. Und später heißt es dann: ‚You gotta deliver – du musst liefern’. So gibt es kein zurück mehr und ich setze mich selbst unter Druck." So war es auch bei „The Folksinger", dessen vierwöchigen Dreh er als sein „Apocalypse Now" im Kleinen bezeichnet. Mit einer deutschen Crew und einem Drehbuch landen sie in Austin/Texas, der Musiker Paul James erzählt ihm in einer Nacht seine Lebensgeschichte, weshalb Littler den ursprünglichen Plan verwirft und innerhalb von drei Tagen ein neues 60-seitiges Drehbuch schreibt. Nun ist es der Musiker, der Druck macht, denn er verkörpert die Hauptrolle. Mit Hilfe von investiertem Kindergeld und dem Equipment einer Filmschule startet der Dreh, aber die Darsteller haben Schwierigkeiten, das Drehbuch umzusetzen. Man beginnt zu improvisieren und den Film täglich neu zu erfinden. Das Ergebnis ist eine riskante und gleichzeitig authentische Erfahrung, die ihren emotionalen Höhepunkt im Zusammenbruch des Hauptdarstellers in einem schäbigen Hotelzimmer in New Orleans erreicht.

„Bei dieser Methode gibt es keine Chance auf einen zweiten Take. Das ist kommerzieller Selbstmord", sagt Littler. Das Risiko und die Gefahr sind permanente Wegbegleiter. Die Mitarbeiter arbeiten mit Rückstellungsverträgen und mitunter muß auch mal das Equipment einbehalten werden, weil Auftraggeber – für ein zu langsames Musikvideo! – nicht zahlen wollen. Auch müssen Dreharbeiten unter verschärften Bedingungen, beispielsweise ohne Drehgenehmigung an verbotenen Orten und mit Schusswaffen in Kauf genommen werden. „Wir hatten neulich erstmals einen Praktikanten", erzählt Littler. „Er musste 16-Stunden-Schichten arbeiten. Hinterher hat er gesagt, er hätte viel übers Leben gelernt, aber auch einiges übers Filmemachen. Jedenfalls gibt es jetzt keine Entschuldigung mehr fürs Nichtstun: er hat sich damit das Recht erworben, das Slowboat Equipment für eigene Produktionen zu nutzen."

Littlers Themen sind oft autobiographisch geprägt. Als Sohn einer Agnostikerin und eines Wanderpredigers, dessen Helden Jesus Christus und Lee Marvin sind, sind ihm Verweise auf die Bibel und das Himmel-Hölle-Konzept häufige Referenzen. Die Hauptfiguren, meist selbst Künstler, sind Seelenverwandte – ebenfalls Außenseiter, die ihre eigenen, nicht-akademischen Wege gehen und mit dem, was sie tun, ihre Existenz riskieren. Sie sehen sich als primitive Intellektuelle, und das ist für Littler kein Widerspruch.

Zu sehen gibt es die Werke hauptsächlich auf Festivals in Nordamerika, denn trotz vereinzelter Unterstützer, wie Annette Gloser, der „station"-Kuratorin des Mousonturms, die mit großem Erfolg eine Aufführung in der Honsellbrücke organisierte, tun sich die deutschen Festivalmacher schwer, zumal alle Filme englischsprachig sind. In Boston wurde „The Road To Nod" mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Ein Sales-Agent will sich um die Vermarktung kümmern und es ist geplant, das Internet durch Downloadmöglichkeiten für den Filmvertrieb zu nutzen. Littler beteuert jedoch, dass alle Slowboat-Arbeiten eigentlich für die Kinoleinwand gedacht sind. Er lädt also alle ein, mit an Bord zu kommen. „The Folksinger" wird im Sommer seine Premiere haben.

Kategorie: Firmenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Filmproduktion, Dokumentarfilm, Spielfilm

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