GRIP 36

01.05.2007

Filmschauplätze gesucht

Wie Film Commissions und Location Scouts bei der Drehortsuche helfen. Und nebenbei Wirtschaftsförderung betreiben.

Von Reinhard Kleber

Was wären viele Filmklassiker ohne eindrucksvolle Schauplätze? Was wäre “Der englische Patient” etwa ohne die grandiosen Wüstenweiten, was “Dr. Schiwago” ohne die sibirischen Schneefelder oder “Good Fellas” ohne das Italo-Viertel New Yorks? Viele Schauplätze lassen sich zum Glück nicht doubeln, andere dagegen schon. So finden geschickte Location Scouts manchmal Ersatz für Gebäude, die bereits zerstört sind, oder gut bestückte Datenbanken der Location Offices können Filmproduzenten bei der Suche nach Repliken helfen, wenn originale Stadtansichten längst modernisiert sind.

Beispiel “Dresden”: Für das aufwendige ZDF-Historiendrama über den vernichtenden alliierten Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg wichen die Filmemacher nach Troisdorf bei Köln aus. Dort ließen die Feuerwerker in einer verlassenen Kaserne Flammenfronten lodern und Sprengsätze hochgehen. Und für die Hamburger Flutkatastrophe von 1962, die RTL in dem spektakulären Event Movie “Sturmflut” nachstellte, wurde ein Freibad in Essen geflutet. Wenn solche Großproduktionen die Grenzen der Bundesländer überqueren, dann liegt das nicht nur an prall gefüllten Fördersäckeln, sondern auch an professionell organisierten Film Commissions.

In Nordrhein-Westfalen gründete die Filmstiftung vor acht Jahren ihre Film Commission, um in- und ausländische Produktionsfirmen mit Informationen über Drehorte, Studios, Dienstleister und örtliche Filmfachkräfte zu versorgen. Anscheinend mit Erfolg: Im vergangenen Jahr registrierte die Filmstiftung 678 Drehtage an Rhein und Ruhr. Seit 2001 bietet die Düsseldorfer Commission gemeinsam mit dem Netzwerk “Filmstädte NRW”, zu dem sich 29 Städte zusammengeschlossen haben, und 13 Location Scouts zwischen Duisburg und Sprockhövel eine Motivdatenbank an, die mittlerweile 15.000 Bilder von Motiven bereit hält.

Ähnliche Service-Angebote, wenn auch nicht im gleichen Umfang, halten inzwischen auch die übrigen zehn Location-Büros in den meisten Bundesländern bereit. Die jeweiligen Einrichtungen haben unter dem Label “Location Germany” im Internet eine gemeinsame Anlaufstelle geschaffen. Auf Einladung der deutschen Film Commissions gründeten bei einem Treffen in Berlin im Februar 2005 Vertreter von Filminstitutionen aus 23 Ländern das europäische Netzwerkprojekt “European Film Commissions Network Association” (EFCNA).

Die deutschen Commissions, die auch Mitglied im Weltverband “Association of Film Commissioners International” (ACFI) sind, haben sich inzwischen Leitlinien zu ihrer Funktion und Arbeit gegeben, die vor allem für mehr Transparenz sorgen sollen. Darin halten sie fest, nach welchen Kriterien sie etwa bei der Locationsuche helfen, Ansprechpartner vermitteln und über Genehmigungsabläufe informieren.

Denn immer wieder müssen sich die Film Commissions, die ja als Non-Profit-Organisationen vor Ort kostenlose Hilfestellung geben, mit einem leidigen Problem herumschlagen. Meinen doch manche Kunden, sie könnten mit dem Service der Commissions gleich auch die Location Scouts umgehen, deren kreative Dienste natürlich kostenpflichtig sind. So prangt denn auf dem Startseite von www.locationnrw.de der plakative Warnhinweis: “Die online-Nutzung der Location NRW-Datenbank ist kostenfrei. Der Service der Location Scouts ist privatwirtschaftlich.”

In den genannten Leitlinien haben sich die Commissions ausdrücklich darauf verständigt, dass sie zwar bei der Drehortsuche gerne mit kostenlosen öffentlichen Datenbanken oder gedruckten Verzeichnissen helfen und Anfragen mit Hilfe regionaler Motivsucher beantworten. Sie betonen aber auch: “Gezieltes und projektspezifisches Scouten von Locations gehört überlicher Weise nicht zum Leistungsspektrum deutscher Film Commissions.” Diese wollten vielmehr “zur Stärkung der regionalen Filmwirtschaft beitragen”, indem sie unzulässige Konkurrenz vermeiden und zur Auslastung regionaler Dienstleister beitragen.

Neben den Standardangeboten haben sich einige Film Commissions besondere Instrumente einfallen lassen, um die Attraktivität ihrer Standorte zu erhöhen. Da bietet beispielsweise das Location Büro Mecklenburg-Vorpommern in seinem Bildarchiv auch 30sekündige Bewegtbildsequenzen von Filmmotiven, um etwa den akuten Bedarf an Schnittbildern zu stillen. Die Film Commission Bayern hat einen eigenen Location Newsletter etabliert, der in Bildern, und mit stichpunktartigen Eckdaten versehen, neue Drehorte vorstellt wie zum Beispiel die Trink- und Wandelhalle in Bad Tölz aus dem Jahr 1929.

Besonders praxisnahe Hinweise liefern die Seminare “Drehgenehmigungen in Berlin-Brandenburg”, die die Berlin Brandenburg Film Commission BBFC und das Medienboard Berlin-Brandenburg regelmäßig mit der Babelsberger Filmhochschule organisieren. Sie richten sich an Aufnahmeleiter, Location Scouts, Autoren und Regisseure, aber auch an Motivgeber und Behördenvertreter. Beim jüngsten Seminar “Bevor die 6. Klappe fällt” ließen sich kürzlich mehr als 100 Filmschaffende von Motivgebern aus der Region wertvolle Tipps zum reibungslosen Drehen an Originalschauplätzen wie Olympiastadion, Krankenhäusern, Schwimmbädern oder im Zoologischem Garten geben.

Die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg wiederum veranstaltet über ihr Coordination Office seit 2001 Locationtouren zu ausgewählten Filmschauplätzen im Ländle. Im Vorjahr führten diese Trips etwa zur “Filmkulisse Oberschwaben” nach Biberach an der Riß und in die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg.

Die Stuttgarter Film Commission stellt ihre Touren, die sich an eine breite Kundschaft von Produzenten über Regisseure, Aufnahmeleiter, Redakteure bis zu Autoren richtet, gezielt auf die Interessenlagen der Teilnehmer ab. “Wenn wir denen den Stuttgarter Industriehafen, Hochhäuser oder Bunker zeigen, sind viele überrascht über die örtliche Vielfalt und lassen sich hoffentlich zu neuen Filmideen inspirieren”, sagt die Stuttgarter Büroleiterin Marianne Gassner.

Neben obligatorischen Regionalspezialitäten wie dem “Filderkraut” zeigen die “Reiseleiter” speziellen Gruppen auch spezielle Örtlichkeiten: Die Gäste des indischen Filmfestivals “Bollywood and Beyond” im Juli 2006 wurden vor allem zu reizvollen Schlössern, Gärten und Seen, Dorfkernen mit Fachwerkhäusern, aber auch moderne Baukomplexen gebracht. “Die indischen Produzenten waren auf der Suche nach unverbrauchten Kulissen. Die Berge in der Schweiz und in Österreich kennen sie schon”, berichtet Gassner.

Solcherart Service lohnt sich: Schon 2003 kehrten zwei indische Produzenten Monate nach der Tour wieder und absolvierten zwölf Drehtage im Südwesten. Gleich 60 Drehtage sind für den Spielfilm “Aap Kaa Suroor” veranschlagt, den ein indisches Team in diesem März und April in Stuttgart, Mannheim und Frankfurt drehen wird. Gassner: “Der Film ist sehr hoch budgetiert und hat sogar Thriller-Elemente: Es geht um einen indischen Rockstar, der in Deutschland von persönlichen Feinden verfolgt wird und im Gefängnis landet”.

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Dreharbeiten, Wirtschaftsförderung, Filmförderung, Institution, Filmproduktion

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