GRIP 36
01.05.2007
Auf der Überholspur
Hessen Invest Film steigt in große internationale Coproduktionen ein - Marktfähigkeit gilt als oberstes Gebot
Von Daniel Güthert
Nicht die Masse machts, sondern die Qualität. So wertet Gerhard Bauer, Chef der Filmförderung bei der Investitionsbank Hessen (IBH), die Berlinale 2007 durchaus als Erfolg für die hessische Filmförderung. Mit den "Fälschern" der Hamburger Magnolia Film (Regie Stefan Ruzowitzky) im Wettbewerb und dem von Pandora coproduzierten "Madonnen" im Internationalen Forum waren zwei Filme vertreten, die mit Mitteln aus dem Topf Hessen Invest Film hergestellt worden sind.
Länger, als erwartet, hat es allerdings gedauert, bis das Programm Hessen Invest Film, das 2002 erstmalig aufgelegt worden war, verlängert werden konnte. Fast eineinhalb Jahre war an den Richtlinien herumgedoktert worden, um, wie es hieß, den Parametern der heimischen Filmbranche gerecht zu werden. Denn Filmförderung ist hier erklärtermaßen Standortpolitik. "Wir wollen ökonomisch vielversprechende Filmprojekte unterstützen, damit das Kulturgut Film in seiner deutschen und europäischen Ausprägung im internationalen Wettbewerb bestehen kann und vor allem der Film- und Medienstandort Hessen gestärkt wird," so die Zusicherung des zuständigen Kunstministers Udo Corts (CDU).
Unter dem offiziellen Titel "FilmFinanzierungFonds Hessen Invest Film" ist das Programm schließlich im Juli 2006 - mit einem Volumen von 20 Millionen Euro ausgestattet - an den Start gegangen. Doch anders als beim Vorgängermodell sind die Mittel jetzt nicht im Haushalt des Landes eingestellt, sondern müssen von der Bank am Kapitalmarkt aufgenommen werden. Etwaige Erwartungen, die Landesregierung könnte ungeachtet leerer Kassen neue Subventionsprogramme verabschieden, waren vom Kunstministerium schon frühzeitig gebremst worden. Angesichts der gegebenen Finanzlage ist aber auch klar: Die IBH ist gefordert, Ausfälle an Darlehenstiteln so weit als möglich zu vermeiden, damit die Landesbürgschaft von 20 Millionen Euro nicht gezogen zu werden braucht.
So schlug IBH-Vorstand Rudolf Kriszeleit, als er das Programm der Öffentlichkeit vorstellte, einen völlig neuen Ton an. Bei dem neuen Fonds handele es sich nicht um Zuschüsse, sondern um eine Finanzierungshilfe, bei der die Bank "alles zu 100 Prozent wiedersehen will". Ein Spagat zwischen Filmförderung und Rentabilitätsrechnung, der einiges an Gelengigkeit den Verantwortlichen abverlangt. Zuviel, wie einige meinen. Denn der Branchenkenner weiß, daß Recoupments aus Förderprojekten selten die Marge von 10 Prozent übersteigen. Auch ein Blick in die eigenen Bücher könnte da lohnen. Aus den bisher bezuschußten IBH-Pojekten sind seit 2002 keine 10 Prozent der ausgelobten Summe (9,7 Millionen Euro) zurückgeflossen.
Kein Wunder, wenn sich in Anbetracht solcher Umstände Verwirrung und Unmut in der Hessischen Filmbranche breit machen. Was vielerorten geahnt worden war, scheint sich abzuzeichnen. Abgesehen von dem Dokufilm "Blues March" von Malte Rauch (150.000 Euro Darlehen) oder der kleinen, ambitionierten Produktion "Flug der Störche" der Frankfurter Stoked-Film (200.000 Euro Darlehen) kommen vorzugsweise sind nur noch Projekte großen Kalibers zum Zuge. Gesetzt wird auf große Namen, auf internationale Stars. Da stellen zugesagte Fördersummen von 750.000 Euro ("Überleben mit Wölfen", Stéphan-Films Paris, Regie: Vera Belmont) oder 1 Million Euro für das Historiendrama "Les Cathares" der großen französischen Produktionsgesellschaft MK2 wirtschaftlich offenkundig kein Problem dar.
Die Schlüssigkeit solcher Förderpolitik weckt Zweifel. Sind es nur aufwendige Mammutprojekte, die kommerzielle Effizienz garantieren? Ist der Hessischen Filmwirtschaft gedient, wenn Fördermittel in großem Stil nur noch an ausländische Produktionen ausgeschüttet werden? Für derlei Anwürfe hat IBH-Chef Bauer kein Verständnis. "Durch den Regionaleffekt ist doch zu 100 Prozent sichergestellt, daß die Förderbeträge im Land bleiben und somit der Branche zugute kommen. Entscheidend ist für uns vielmehr, daß mit dem Regionaleffekt vor allem qualifizierte Dienstleistungen abgedeckt werden, das heißt in Form von Dreharbeiten oder der Postproduktion."
Damit unterstreicht die IBH, daß der Regionaleffekt integraler Bestandteil des Konzepts ist und einen entsprechend hohen Stellenwert bei der Antragstellung genießt. "Aber", fragt Karl-Eberhard Schäfer von der erfolgreichen U5-Filmproduktion in Frankfurt, "müßten dann nicht besonders heimische Projekte forciert werden, die bei solider Marktfähigkeit einen Effekt von 300 und 400 Prozent erbringen – und zwar inklusive Dreharbeiten und allen qualifizierten, filmspezifischen Dienstleistungen?" Die U5 hat in der Vergangenheit bewiesen, daß beides in Einklang zu bringen ist: wirtschaftliche Solidität und das Bekenntnis zur Region. Ihre Fernsehproduktionen entstehen fast ausschließlich im Rhein-Main-Gebiet, und ihre Rückzahlquote an die IBH kann sich mehr als sehen lassen: 400.000 Euro sind aus zwei Projekten bereits zurückgeflossen, was einer Quote von über 55 Prozent entspricht.
Auch vom Verband der Hessischen Filmwirtschaft wird Kritik an der gegenwärtigen Vergabepraxis geübt. Bemängelt wird, daß die Höhe des Hesseneffekts für die Bewilligung eines Projekts offensichtlich keine Rolle spielt, solange nur die vorgeschriebene Marge von 100 Prozent erfüllt ist. Das hält Ernst Szebedits, Sprecher des Wirtschaftsverbands, für den falschen Weg. Und kritisch sei aus seiner Sicht auch, wenn sich zentrale Projektkoordinaten, auf deren Grundlage die Kommission ihre Bewilligung ausgesprochen hat, sich im nachhinein ändern. In Zukunft sollen die Kerndaten einer Bewilligung – dazu rechnet der Verband auch den Regionalfaktor – im Protokoll verbindlich für die Darlehensvergabe festgeschrieben werden. "Das ist in allen Förderländern so. Wenn jemand mit einem hohen Hessenanteil ins Rennen geht und damit punktet, muß er ihn auch erfüllen. Andernfalls würde doch das Ranking der IBH ad absurdum geführt."
Dabei findet das von der IBH entwickelte Ratingsystem allgemein Anklang. Anhand von vier Größen wird die Qulität und vor allem die Kommerzialität eines Vorhabens geprüft. Dazu zählt mit 15 Punkten die Reputation des Antragstellers. Mit 40 Zählern fällt das Projekt selbst ins Gewicht, sprich Drehbuch, Budget, Besetzung, und darunter mit 10 Punkten auch die Höhe des Hesseneffekts. Drittens schlägt die Finanzierung mit 20 Punkten zu Buche und mit 25 Punkten wird die Marktfähigkeit bewertet, das heißt die Aussichten auf Rückführung der Fondsmittel an die IBH.
Mit diesem Scoring-System ist der Kommission ein praktisches Instrument an die Hand gegeben, das Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Juryentscheidungen gewährleistet. Warum andererseits wieder die Kommission von ursprünglich drei Mitgliedern - plus Vertreter - auf jetzt 10 Mitglieder - plus Vertreter – ausgeweitet worden ist, löst allenthalben nur Achzelzucken aus. Zumal zu den Beratungen tatsächlich alle Mitglieder, auch die Stellverteter eingeladen werden und mit eigenem vollem Stimmrecht ausgestattet sind, zusätzlich zum Hauptjuror. Inwieweit dies überhaupt in Einklang steht mit den Vergaberichtlinien will der Verband demnächst prüfen lassen.
Unterm Strich heißt das: mehr als zwei Dutzend Jurymitglieder, inklusive vier Vertretern von Finanz- und Kunstministerium, sitzen am Tisch, um über die Vergabe von 5 Millionen Euro im Jahr zu befinden. Keine weltbewegenden Summen im Filmgeschäft. Und niemand, außer den Betroffenen vielleicht, vermag zu sagen, was ein Vertreter der Murnau-Stiftung, der Wirtschaftsprüfer-Gesellschaft KPMG, der FSK oder der ZPF (der Aus- und Fortbildungsstätte der ARD) in dem Gremium beitragen soll. Dafür sind renommierte Produzenten wie etwa Karl Baumgartner (Pandora), lediglich als Stellvertreter optiert. Aber solange auch die Stellvertreter regelmäßig eingeladen sind, können selbst "Ersatzleute" wie Karl Baumgartner oder Harald Vogel (Kino Harmonie) ihre Sachkenntnis einbringen. So habe, wie Spötter sagen, die "Elefantenrunde" wieder ihr Gutes.
Was Wirtschaftsförderung dagegen heißen kann, machen derzeit andere Bundesländer wie Niedersachsen oder Baden-Württemberg vor, die – neben der allgemeinen millionenschweren Filmförderung - mit zusätzlichen Finanzierungsprogrammen aufwarten. So kann die Bürgschaftsbank Baden-Württemberg beispielsweise für die nächsten drei Jahre Bürgschaften in Höhe von 50 Millionen Euro vergeben, um den Unternehmen die Kreditaufnahme über die Hausbank zu erleichtern. Ein ähnliches Modell hat auch Niedersachsen jetzt aufgelegt. Programme, die sui generis der Filmwirtschaft vor Ort, den Produzenten und Filmemachern bei der Finanzierung ihrer Projekte helfen. Solche Programme werden über die Hausbank beantragt und abgewickelt. Ganz ohne Gemium, nur mit minimalem bürokratischen Aufwand. Was beweist – es geht auch anders.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Wirtschaftsförderung, Filmproduktion, Filmförderung, Filmpolitik, Spielfilm
