GRIP 34

01.02.2006

Von der Fotografie zum Film – eine Bilderkarriere

Ein Porträt der vielfach preisgekrönten Kamerafrau Vita Spieß

Von Claudia Prinz

Bilderbuchkarrieren sind heutzutage selten. Wie angenehm und überaus inspirierend ist es da, jemanden zu treffen, bei dem im Leben einfach mal alles richtig gelaufen ist. Vita Spieß ist so ein Mensch. Obwohl es ursprünglich gar nicht ihr Berufsziel war, ist sie heute eine sehr erfolgreiche Kamerafrau, vorrangig im Dokumentarfilm. Auffallend viele ihrer Kameraarbeiten sind mit Preisen bedacht worden, und gleich zweimal wurde sie beim Hessischen Filmpreis 2005 auf die Bühne gerufen: für »Opernfieber« (Regie: Katharina Rupp) und »Hauptsache Lehmann« von Birgit Lehmann.

Doch eigentlich wollte Vita Spieß Fotografin werden. Schon mit elf Jahren startet sie ihre ersten Versuche, mit fünfzehn bekommt sie eine Spiegelreflexkamera geschenkt und nutzt von da an jede freie Minute zum Fotografieren und Entwickeln der Fotos im eigenen Labor. Nach einem Praktikum bei einem Werbefotografen bekommt diese Foto-Begeisterung einen Dämpfer. Vita kann sich nicht vorstellen, dass ihr Lebensinhalt darin bestehen könnte, Waschmittelcontainer in optimalen Positionen abzulichten. Und für die freie Fotografie, die ihr vorschwebte, ist in diesem Berufsfeld wenig Raum. So versucht sie, ihr Geld mit Theaterfotografie zu verdienen, was aber auch schwierig ist, denn Mühe und Aufwand stehen in keinem Verhältnis zum Ertrag.

Auf der Suche nach einer alternativen Berufschance beginnt die gebürtige Bremerin an der Frankfurter Universität Kunstpädagogik zu studieren – in der Filmklasse, denn eine Fotografie-Klasse gibt es nicht. Und wie das Schicksal so spielt, sind Absolventen dieses Studiengangs gerade dabei, sich mit einer kleinen Produktionsfirma selbständig zu machen und bieten ihr an, als Assistentin bei ihnen mitzuarbeiten. »Besser als irgendein Bürojob« denkt Vita Spieß, die sich das Geld für ihr Studium selbst verdienen muss. »Das hat wenigstens was mit dem Studium zu tun«.

Sie nimmt das Angebot an und damit sind die Weichen gestellt. Nach anfänglichen Vorbehalten – »Kamerabilder sind doch eher belanglos gegenüber dem einen wichtigen Moment, den die Fotografie festhält« – macht sie in der Firma auch eine Ausbildung als Kamerafrau. Sie hat wider Erwarten großen Spaß an der Kameraarbeit und merkt schnell, wie viele neue Möglichkeiten ihr dadurch eröffnet werden.

Nach Abschluss der Filmklasse arbeitet sie als freie Kamerafrau für diverse Film- und Fernsehproduktionen. Es ist das Tagesgeschäft des Aktuellen und der Magazinbeiträge. Kein besonders aufregender Job, aber er ernährt seinen Mann bzw. in diesem Fall seine Frau. Doch schon bald ist sie davon frustriert. »Irgendwann gab es dieses Gefühl: Das kann es nicht sein. Und wenn ich mich nicht irgendwann aufraffe und selbst aktiv werde, wird nichts für mich passieren. Wo mit Masse statt Klasse Geld verdient werden muss, komme ich nicht weiter, denn das ist nicht meins.«

So gründet sie 1998 zusammen mit Reiner Krausz die »sehstern-Filmproduktion«. Von Anfang an bieten sie einen kompletten Service nicht nur für Kamera, sondern auch für Schnitt und rüsten die Firma mit den entsprechenden Geräten aus. So können sie sich ohne allzu großen Aufwand an ihre Filme wagen und müssen nicht um das Budget bangen, wenn Dreh und Schnitt aufwändiger werden als geplant.

Der erste mit der neuen Firma realisierte Film ist Birgit Lehmanns »Als Hitchcock in Auerstedt auf Eiermanns Else traf«. Birgit Lehmann erhält für diesen außergewöhnlichen Dokumentarfilm zahlreiche Auszeichnungen, und Vita Spieß ist mit einem Schlag nicht mehr die bewährte Kraft für die 3-Minüter der aktuellen Nachrichten, sondern eine gefragte Kamerafrau für Dokumentation und Reportage.

Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass »sehstern« die richtige Adresse für anspruchsvolle Dokumentationen ist. Fernsehsender wissen, an wen sie sich wenden müssen, Autoren geben den Tipp weiter. Vita Spieß und Rainer Krausz sind deshalb meist auch ohne Klinkenputzen mit genügend Aufträgen versorgt. Über Arbeitsmangel können sie sich selbst in diesen mageren Zeiten nicht beklagen, denn Fernsehanstalten und Autoren schätzen es, wenn die gesamte Produktion – »lean« – aus einer Hand kommt.

So ist die Firmengründerin mittlerweile weltweit unterwegs: Mal fliegt sie nach Japan, um eine Dokumentation über das große Erdbeben in Kobe zu filmen, mal nach Dallas, wo es ein weiteres Mal um den Mord an John F. Kennedy geht, dann wieder nach Kanada, Dubai oder auf die Falkland Inseln.

Vita Spieß gilt als zähe Mitarbeiterin, die mit extremen Situationen klarkommt und keine Probleme damit hat, sich auch mal die Füße schmutzig zu machen. Beim Dreh in Argentinien, wo 2005 ein Film für »Brot für die Welt« entsteht, watet sie knöcheltief im Schlamm, um gemeinsam mit den Helfern das Transportauto wieder flott zu machen. So gerät sie in Arbeitssituationen, um die sie vielleicht nicht jeder beneidet, bei denen sie aber genau die Überraschungen und Abenteuer erlebt, die sie sich immer für ihren Beruf gewünscht hat.

Der Film über die Wichis, eine entlegene Volksgruppe in Argentinien, ist einer ihrer liebsten Drehs, und in dieser Richtung will sie auch in Zukunft weiterarbeiten: »Dokumentationen und Reportagen sind genau das, was ich machen möchte. Ich finde es schön, mit einer Welt in Kontakt zu kommen, mit der ich normalerweise vielleicht gar nichts zu tun hätte, beispielsweise die Opernwelt in »Opernfieber«. Es muss nicht immer ein Abenteuer werden, aber ich bin einfach neugierig auf andere Menschen, wie sie leben, was sie für Eigenschaften haben.«

FILMOGRAFIE (Auswahl)

Als Hitchcock in Auerstedt auf Eiermanns Else traf
1998, Beta SP/35 mm, 15 Min., R: Birgit Lehmann (diverse Preise)

shipped ships
2001, 16mm + DigiBeta, 15 Min., R.: Birgit Lehmann

Lampenfieber
2001, Beta SP, 75 Min., R.: Bernt Weltz (Süddeutsche TV)

Verrückte Welt – Ein Monat in der Psychiatrie
2002, Beta SP, 42 Min., R: Christoph Gocke (SAT 1)

Der Luxus Bos(s)
2002, Beta SP, 36 Min., R: Lisa Klose (Süddeutsche TV)

Hans im Glück
2002, Beta SP, 60 Min., R.: Sabine Streich (SWR)

Jugend hinter Gittern
2002, Beta SP, 42 Min., R: Christoph Gocke (SAT 1)

Die fliegenden Frauen
2003, Beta SP, 30 Min., R: Christoph Koch (SWR)

Hauptsache Lehmann
2003, 35mm, 11 Min., R.: Birgit Lehmann
(Hessischer Filmpreis 2005)

Opernfieber
2003/04, 35mm, 70 Min., R.: Katharina Rupp (arte/ZDF), (Hessischer Filmpreis 2005)

Wichis
2005, Beta SP, 30 Min., Regie: Ingo Herbst für »Brot für die Welt«

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Filmemacher*in, Crew, Filmtechnik, Filmproduktion, Dokumentarfilm

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