GRIP 34

01.02.2006

Ist das Fernsehen noch zu retten?

Im Filmhaus Frankfurt las Jürgen Bertram aus seinem Buch »Mattscheibe – Das Ende der Fernsehkultur«

Von Daniel Güthert

Die Apokalypse weckt Neugier. Wenn schon Untergang, dann will man wenigstens dabei gewesen sein. Oder ist es die Hoffnung, letzten Endes doch noch errettet zu werden? Jedenfalls war selten eine Veranstaltung im Filmhaus Frankfurt so überfüllt wie dieser Jour Fixe, zu dem das Filmhaus in Zusammenarbeit mit der AG Dok, dem Netzwerk Recherche und verschiedenen Medieninitiativen eingeladen hatte. Gekommen waren sie alle, um das aktuelle Buch von Jürgen Bertram, »Mattscheibe – das Ende der Fernsehkultur«, das jüngst im Fischer-Taschenbuchverlag erschienen ist, kennen zu  lernen. Vermutlich aber wird den allermeisten der anwesenden Medienleuten, den Filmemachern, Dokumentaristen, Journalisten, die Thematik ohnehin mehr als vertraut gewesen sein.

In seinem Buch, aus dem Bertram auszugsweise las, schildert der frühere NDR-Fernsehkorrespondent die Entwicklung des Rundfunkwesens, angefangen von der Nachkriegsära (»eine einmalige Chance, die uns die alliierte Militärregierung geschenkt hat«) bis hin zu den Erosionsprozessen eines anspruchsvollen, dem Staatsvertrag verpflichteten Rundfunksystems. Schockiert sei er gewesen, als er nach über 20 Jahren Auslandstätigkeit als Korrespondent für den NDR erleben musste, wie die hehren Grundsätze journalistischer Unabhängigkeit und Seriosität – auch seines Haussenders – über Bord geworfen worden seien. Im Sog des Privatfernsehens, das naturgemäß nur die Prinzipien Profit und Quote kenne, habe sich eine für ihn erschreckende Boulevardisierung des öffentlich-rechtlichen Programms eingeschlichen.

Völlig fassungslos habe er erleben müssen, dass die Hofberichterstattung aus den Königshäusern des europäischen Hochadels die Programmmacher der ARD mittlerweile mehr elektrisiere als die seriöse politische Berichterstattung. Vom Sport bis zur Volksmusik reichten heute, so Bertram in seinem Resumée, die Bastionen der ARD-Anstalten. Von Bildung, Kultur oder gar erzieherischen Funktionen als dem eigentlichen, verfassungsrechtlich zugewiesenen Auftrag könne man allenfalls noch am Rande sprechen.

Was Bertram in seinen Ausführungen sehr anschaulich anschnitt, wurde in der anschließenden, von Hannnes Karnick (AG Dok) moderierten Diskussion noch erweitert. Einig waren sich alle insoweit, als es mit der TV-Kultur hierzulande nicht zum Besten bestellt sei. Statt Programmkompetenz sei eine Rechenschiebermentalität in die Häuser eingezogen. »Wir leben in einer Diktatur der Quote,« klagte Filmemacher Thomas Frickel (AG Dok). Kein einziges Programm gehe heute mehr auf Sendung, ohne einer vorherigen Quotenprognose unterzogen worden zu sein. Daher habe die AG Dok die Initiative »Qualität statt Quote« ins Leben gerufen, die verstärkt auch über Kampagnen einer kritischen Öffentlichkeit nachdenke: »Vielleicht hilft nur die massenhafte Gebührenverweigerung, um das öffentlich-rechtliche System an seinen Auftrag zu erinnern.«

Auf die Wirkung öffentlichen Drucks setzte auch Uli Franke. Mit der Kampagne »Rette dein Radio« habe man vor zwei Jahren erreicht, dass einige der anspruchsvollsten Radiosendungen des hr, die zunächst einer abermaligen Programmreform zum Opfer fallen sollten, schließlich doch erhalten geblieben sind.

Als großes Dilemma bezeichnete Thomas Leif vom Netzwerk Recherche den mangelnden Mut in den Programmetagen. »Angst essen Journalisten auf«, titulierte er das Phänomen. Der Journalismus sei dabei, seine kritischen Grundsätze aufzuweichen zugunsten einer Marketingideologie: »interessant« komme vor »relevant«. Dem pflichtete in der ihr eigenen, unnachahmlich dezidierten Art auch die Medienexpertin vom hr, Verena Metze-Mangold, bei, die diese technokratisch-affirmative Verbohrtheit in den Köpfen der Programmleute nur bestätigen konnte. Ihre Kritik verband sie aber zugleich mit dem Vorwurf an die Zuschauer, ebenfalls allzu beifällig mit dem Programmangebot und dem Thema Medienpolitik umzugehen.

Dass medienpolitische Themen längst noch nicht ausreichend in der öffentlichen Wahrnehmung verankert seien, ist auch für Thomas Leif das zentrale Manko, das angegangen werden müsse. So plädierte er für eine Bündelung der Kräfte, um die Politik zum Umdenken zu bewegen (»die bürgerliche Elite lehnt die massive Kommerzialisierung des Programms ab«) und die Gremien in den Rundfunk- und Fernsehanstalten vermehrt unter Legitimationsdruck zu setzen. Denn an diesem Punkt stimmte er mit dem Landtagsabgeordneten und früheren Staatsminister, Harmut Holzapfel (SPD), überein, dass die Rundfunkgebühren, die sich nach den Richtlinien des EU-Beihilferechts zweifelsfrei als Beihilfe darstellen, sich nur rechtfertigen lassen, solange die ARD eine Programmvielfalt anbiete, die am Markt ohne staatliche Hilfe nicht bestehen könnte. Also so gesehen, doch ein Silberstreif der Zuversicht.

Und Autor Bertram erinnerte am Schluss der Diskussion daran, dass schon Mitte der 70er Jahre Ex-Kanzler Helmut Schmidt vor der zunehmenden Verflachung des Programms gewarnt und einen fernsehfreien Tag für die Nation gefordert habe. Aber soweit wolle die AG Dok heute nicht mehr gehen, wie Thomas Frickel erwiderte. Sein Wunsch aber wäre: ein quotenfreier Tag – wenigstens einmal pro Woche.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Filmhaus Frankfurt, TV/Rundfunk, Filmkultur, Filmtheorie/Filmwissenschaft

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