GRIP 34

01.02.2006

Gegen den Wind

Selbst die meisten Arthouse-Kinos leiden unter der Besucherflaute. Engagierte Programmpolitik aber zahlt sich aus.

Von Reinhard Kleber

Ausnahmen bestätigen die Regel. Diese Redewendung trifft aktuell auch auf die Besucherresonanz der Filmkunst- und Programmkinos in Deutschland zu. Analog zum durchschnittlichen bundesweiten Besucherschwund von etwa 20 Prozent im deutschen Kinopark leiden auch die meisten Arthouse-Kinos unter ähnlichen Besucherrückgängen. Und dennoch gibt es auch einige Häuser, die sich vom allgemeinen Trend abkoppeln und sogar höhere Besucherzahlen erzielen.

Hell leuchtendes Vorbild für die Hoffnungsträger der Filmkunstkinoszene ist das Frankfurter Programmkino »Orfeo’s Erben«, das im Vorjahr nach eigenen Angaben ein sattes Besucherplus von 35 Prozent verzeichnete. Mit 30.000 Besuchern habe man eine magische Grenze erreicht, und das bei einem Kinosaal mit nur 79 Sitzen, teilten die Betreiber mit.

Positive Nachrichten kommen aber auch von anderen Programmkinos. So erzielte das Filmtheater Hasetor in Osnabrück, das in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen als Filmkunsthaus feiern konnte, im vergangenen Jahr einen Anstieg von elf Prozent bei den Besuchern.

Das »Berliner Filmkunst 66« hielt sich ebenfalls gut, wobei es vor allem von der Schließung mehrerer Kinos im Bezirk Charlottenburg profitierte. Das Filmhaus Kino in Saarbrücken wiederum, das sich in städtischer Trägerschaft befindet, legte um sieben Prozent zu und lockte erstmals in seiner 14-jährigen Geschichte mehr als 60.000 Kinogänger an.

Solche Erfolgsmeldungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Arthouse-Segment ein grundsätzlicher Besucherschwunds stattgefunden hat. Nach einer vorläufigen Einschätzung der AG Kino-Gilde Deutscher Filmkunsttheater e.V. wurden die Mitgliedskinos im Schnitt 2005 »genauso vom Besuchereinbruch getroffen wie andere Kinobetreiber«, sagt die Geschäftsführerin des Verbands, Eva Matlok. »Belastbare Zahlen liegen jetzt noch nicht vor, aber Rückmeldungen der Mitglieder lassen auf eine Größenordnung von etwa 20 Prozent schließen.« Bei der AG Kino-Gilde waren zum Stichtag 30. Juni 2005 noch 432 Leinwände registriert – das ist ein Minus von 8,5 Prozent gegenüber 2002.

Die aktuelle Analogie würde zur Besucherentwicklung des Vorjahres passen: Im Jahr 2004 konnten die Programmkinoanbieter nach Erhebungen der Filmförderungsanstalt (FFA) im Vergleich zu 2003 noch ein Besucherplus von 5,2 Prozent verzeichnen. Auch dies entsprach  in etwa dem bundesweiten Durchschnitt aller Kinos. Bei den AG

Kino-Gilde-Mitgliedern handelte es sich sogar um ein Plus von 5,8 Prozent. Die sogenannten Selbsteinschätzer, also Kinos außerhalb der AG Kino-Gilde, die sich selbst gegenüber der FFA als Programmkino bezeichnen, steigerten die Besucherzahl dagegen nur um 3,5 Prozent.

Die Gründe für das gesunkene Besucherinteresse in 2005 sind vielfältiger Natur. Verbandsgeschäftsführerin Matlok weist darauf hin, dass »gerade im anspruchsvollen Bereich starke Filme gefehlt haben«.

Dagegen hätten 2004 »Gegen die Wand«, »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« oder »Schultze gets the Blues« für eine rege Nachfrage gesorgt. Einen erfreulichen Start in diesem Jahr hätten allerdings »Der Sommer vorm Balkon« und »Match Point« hingelegt.

»Im Moment haben wir keinen Grund zu Klage«, so Matlok. Allerdings könne sich dies rasch wieder ändern.

Als weitere Ursachen nennt Matlok, dass »insgesamt zu viele Filme herausgebracht werden und die meisten davon zu geringe Werbebudgets haben«. Das Publikum könne all diese Filme gar nicht mehr richtig zur Kenntnis nehmen und werde dadurch verwirrt. »Auch  die Mundpropaganda kommt bei so vielen Filmen nicht mehr zur Geltung,« fügt die Kinoexpertin hinzu.

Auch auf das »Programmkino Ost« in Dresden und die Leipziger  Kollegen von den »Passagekinos« sei das Besucherminus »voll durchgeschlagen«, berichtet Sven Weser vom »Programmkino Ost«. Den Rückgang in seinem Haus schätzt er auf zehn bis zwanzig Prozent. »Die Kollegen sind alle sehr engagiert, probieren neue Ideen aus,

laden Regisseure ein, organisieren Premieren, das ganze Spektrum eben.« Wenn dennoch das Interesse der Kinogänger schwinde, könne man dem »nicht mit mehr Engagement entgegenwirken, sondern muss wohl grundsätzlich neue Wege suchen.« Bei der Marktanalyse sei die zentrale Frage: »Welche Filme schaffen es und welche nicht?«

Angesichts der gravierenden Umsatzrückgänge in der Kinobranche zieht Weser den Hut vor dem Durchhaltewillen der Betreiber: »In welcher Industriebranche steckt ein Unternehmen denn so ohne weiteres einen Umsatzeinbruch von einem Fünftel weg?« Er wundere sich nur, dass es noch nicht in größerer Zahl zu Schließungen und Insolvenzen gekommen ist.

Wenn es um die Zukunft des Kinos geht, sieht Weser freilich jeden einzelnen Betreiber in der Verantwortung: »Jedes Kino muss sich etwas einfallen lassen und aktiv werden.« Gute Erfahrungen habe sein Kino, das in der städtischen Peripherie liegt, zum Beispiel mit einem Vorführtermin um 13 Uhr gemacht. »Dafür haben wir ein kleines, aber treues Stammpublikum gewonnen, das an der Kinokasse auch gern mal ein nettes Wort hört.« Gerade Rentner und ältere Frauen gingen ungern im Dunkeln auf die Straße, berichtet Weser. »Da ist ein spezielles Filmangebot um 13 Uhr eine echte Alternative.«

Auch das sogenannte »Schnuller-Kino« sei ein Treffer. Dahinter verbergen sich eigens Filmvorführungen für junge Mütter, die ihre Babys mit ins Kino bringen können. »Die haben oft ein Kommunikationsdefizit und können das im Kino mit anderen Müttern ausgleichen, da macht es auch nichts, wenn ein Säugling mal schreit,« so Weser.

Einen generellen Anlass zum Pessimismus sehen – nicht zuletzt angesichts der bekannten längerfristigen Schwankungen des Kinobesucherverhaltens – auch andere erfahrene Kinobetreiber nicht.

So zeigt sich Dieter Borck, der Betreiber des Kölner Arthouse-Kinos »Cinenova«, zuversichtlich: »Was die Zukunft des Kinos angeht,  bin ich sehr, sehr optimistisch. Natürlich besteht eine Tendenz, dass Überkapazitäten abgebaut werden. Aber wir sehen uns nicht im Jammertal, und viele andere auch nicht.«

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Kino, Filmkultur, Institution

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