GRIP 13
01.11.1995
Warum soll das dem Kino helfen?
Peter Zingler im Gespräch mit Dieter Brockmeyer
Von Dieter Brockmeyer
Peter Zingler kann auf eine wohl in der Tat seltene Karriere hinweisen. Nach dem abrupten, aber nicht ganz überraschenden Abbruch seiner ersten Existenz als Einbrecher und Jahren im Knast, gehört er heute zu den wohl profiliertesten Drehbuchautoren in Deutschland. Zur Zeit steht er für seine erste Kinoproduktion, bei der er Regie führt, hinter der Kamera.
Fangen wir ganz banal an: Wie bist Du zum Schreiben gekommen?
Peter Zingler: Ich habe im Knast angefangen, erotische Geschichten zu schreiben, habe sie dann an Herrenmagazine verkauft. Dann habe ich ein Buch geschrieben über den Knast und habe sogar einen Verleger gefunden, als ich noch im Knast war. Dann habe ich im Knast das Buch über Jamaika geschrieben, wo ich ein Jahr gelebt hatte. Aber diese ganzen Bücherschreibereien, können ja nicht als Erwerb gelten, davon kann man nicht leben. Von Kurzgeschichten schon, wenn man viel schreibt. Dann habe ich journalistisch gearbeitet, überwiegend für den Stern, aber auch für andere - Spiegel, Zeit-Magazin und so. Und da fing ich dann schon an, Drehbücher zu schreiben. Seit vier Jahren mache ich nichts anderes mehr, außer ab und zu noch einmal eine Reportage, die etwas mit Film oder Fernsehen zu tun hat, für den Stern, Aber sonst mache ich nur noch Drehbücher - erstens ist es befriedigender, denn es gibt relativ hohe „Auflagen“, wenn ein Film von dir läuft; und zweitens gibt es mehr Geld, und das gibt es immer wieder, nämlich dann, wenn eine Wiederholung läuft. Neuerdings ändert sich das allerdings durch die Privaten, die ein buy out verlangen. So schlecht finde ich persönlich das gar nicht, wenn es die entsprechende Höhe hat. Dann hast du das Geld sofort und kannst es auch steuerlich besser absetzen. Das ist wie eine Abfindung, wenn du lange im Arbeitsleben warst. Das hat jetzt der Drehbuchverband herausgefunden, wenn Du dann freigesetzt wirst und bekommst eine Abfindung, dann mußt du dieses Geld nicht so hoch versteuern, als wäre es eine totale Einnahme. Der buy out ist eine Abfindung auf die in den nächsten Jahren zu erwartenden Honorare, und da kommt man steuerlich besser zurecht und man hat das Geld auf einmal. Theoretisch kann man es ja anlegen, und da wächst es genauso. Schlecht wäre es bei Evergreens. Ich habe einen Tatort gemacht, der zu den T0P10 gehört, „Kinderspiel“, und da kann man davon ausgehen, daß er sehr oft wiederholt wird, also einmal im Jahr mindestens. Da wäre ein buy out sicherlich ein schlechtes Geschäft gewesen. Aber in der Regel ist das ganz gut. Also, ich finde die Angebote von Pro Sieben sehr gut, während RTL versucht, so billig an die Stoffe zu kommen, wie ihre Programme sind.
Das war ja schon ein ziemlicher Bogen, den Du gespannt hast. Vertiefen wir es doch jetzt etwas: Von jemandem, der im Knast war, erwartet man ja nicht eine solche Karriere. Knast und schreiben, wie paßt das zusammen?
Zingler: Daß es ungewöhnlich ist, im Knast zu schreiben, das stimmt nicht. Zumindest in der Zeit, wo ich da war, waren die Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren stark eingeschränkt. Nach draußen telefonieren ging nur in ganz seltenen, wichtigen Fällen und das war dann ein ganz gewaltiger, bürokratischer Aufwand. Und deshalb hieß es schreiben. Ich habe viele Briefe geschrieben, jeden Tag und stundenlang. In dem einen Brief habe ich eine Geschichte beschrieben, wo wir am Vorabend versucht haben, mit dem Tauchsieder Spagetti zu kochen. Das ging total in die Hose. Meine Briefpartnerin schrieb zurück, sie habe sich selten so amüsiert. Dann wurde in der JVA Dieburg eine Literaturgruppe gegründet, alles um die Knackis irgendwie zu beschäftigen. Und durch diese Gruppe, zu der auch externe Leute kamen, die etwas mit Literatur zu tun haben, wie etwa Workshops mit Lektoren von Verlagen, habe ich mich animiert gefühlt, das mal zu probieren. Dabei kam halt raus, daß ich erotische Geschichten schreiben kann - vor allem deshalb, weil man im Knast an nichts anderes denkt, Da haben wir dann unsere Geschichten vorgelegt und vorgelesen, und ich habe sie auch noch verkauft. Deshalb ist es gar nicht so ungewöhnlich. Es gibt sehr viele Leute, die im Knast das Schreiben anfangen. Nur wenige verlegen, das stimmt, aber das ist draußen genauso. Sehr viele versuchen sich als Schriftsteller und haben keinen Erfolg. Also die Quote dürfte draußen wie drinnen gleich sein. Es gibt ja in der Geschichte sehr viele Knast-Autoren. Bei Cervantes angefangen über Henry Jäger, Fallada, Burkhard Driest, alle haben dort die Zeit gehabt, ihr Talent zu entdecken.
Du schreibst seit einiger Zeit fast nur noch Drehbücher - nur TV, oder auch Kino?
Zingler: Im Moment schreibe ich auch Kino, und mache sogar Regie. Und ich habe eine erste Kinogeschichte geschrieben, die gerade zuende gedreht wird, diese Schneider-Geschichte „Peanuts“. Bei uns heißt der Mann Schuster, wir dürfen ihn nicht Schneider nennen, Der wird, glaube ich, im März '96 uraufgeführt. Und der zweite Stoff ist „Das Fest“, da habe ich schon vor vier Jahren von der Hessischen Filmförderung eine Drehbuchförderung bekommen. Und der kann erst jetzt realisiert werden, weil wir halt Finanzierungsschwierigkeiten hatten. Wir haben keine Filmförderung dafür bekommen und auch keine Fernsehanstalt. Wir haben den rein privat finanziert. Er ist deswegen „low budget“, aber dafür sehr sehr gut besetzt. Ben Becker, Mario Adorf, Heinz Hönig, Elke Sommer, Brigitte Janner, Claude Oliver Rudolf, Semmelrogge, also selbst die kleinen Rollen sind gut besetzt, und deswegen glauben wir auch an den Erfolg.
Bleiben wir erst noch einmal beim Schreiben. Wie gehst Du an Deine Stoffe heran?
Zingler: Ja - erstmal muß ich einen finden, und wenn ich ihn habe, versuche ich, ihn zunächst einmal zu verkaufen. Ich schreibe in den letzten Jahren nichts mehr, was ich nicht verkauft habe. Das würde sich sonst irgendwo stapeln. Das geht heute aber, im Gegensatz zu früher, relativ einfach. Ich weiß, wem ich meine Stoffe anzubieten habe und weiß, wer welche Stoffe sucht. In der Regel werden sie dann auch genommen. Dann diktiere ich das ganze Drehbuch innerhalb relativ kurzer Zeit, ich gehe spazieren, male mir alles aus, sehe den Film fertig vor mir. Dann lasse ich ihn abschreiben, und jetzt fängt eigentlich die Kleinarbeit an.
Du schreibst also nicht selbst?
Zingler: Nein, wenn ich das auch noch müßte, wäre ja der Aufwand viel zu groß. Ich kann ja nicht richtig schreiben - nur mit zwei Fingern. Das überlasse ich lieber anderen, die das können.
Dann gehe ich an den Text, korrigiere mit der Hand, lasse ihn noch mal abschreiben. Das Diktat ist natürlich nicht drehreif. Nach meiner eigenen dritten Fassung, da fuddele ich dann am Computer rum. Aber vorher, das ist ja reine Arbeit, die muß ich ja nicht tun. Da habe ich lieber den Kopf frei für eine neue Geschichte.
Wie strukturierst Du Deine Drehbücher? Ist das wirklich eine reine „Kopfarbeit“ oder machst Du Dir vorher schon Deine Treatments?
Zingler: Ich schreibe mir nur die Namen der Personen auf, weil ich die sonst verwechsele. Da kommen dann auch während des Diktierens noch neue dazu, die schreibe ich dann auch auf. Ich habe da auch einmal so ein Buch von diesem Amerikaner gelesen, wie man Drehbücher schreibt, und festgestellt, ich habe das immer schon automatisch so gemacht, mit den dramaturgischen Höhepunkten. Das fängt bei mir, weil ich ja Krimis schreibe, in der Regel mit einer ziemlich aufregenden Situation an. Dann stelle ich die Leute vor, dann kommt noch ein Knall, dann wird die Sache langsam erklärt, aufgelöst, und dann kommt noch eine Schlußpointe. Wenn ich Glück habe und die Geschichte ist dazu bereit, dann kriegt sie nochmal eine Wendung, und dann ist sie zu Ende. Ich habe auch im Kopf, daß ich 60 Minuten oder 45, und 90 Minuten timen kann.
Ist diese Vorgehensweise nicht eher ungewöhnlich?
Zingler: Das glaube ich nicht. Ich kenne einige Fernsehautoren, die sehr erfolgreich sind, wie der Wildschrei. Der diktiert auch.
Inwieweit kannst Du auf Dein eigenes Erleben im Knast und davor zurückgreifen, oder mußt Du noch viel nachrecherchieren?
Zingler: Ich recherchiere da nach, wo ich nicht weiß, wie es geht. Aber bei vielen Geschichten, vor allem bei Krimis, läuft ja heute nichts anders als damals. Ich kann mir vorstellen, wie es den Leuten geht. Es geht mir bei meinen Krimis auch nicht nach dem Motto „Who’s done it“, sondern wie ist die psychologische Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer: Warum wird er Opfer, warum Täter. Und wie ist die Beziehung zwischen dem Täter und der Polizei. Ich habe ja etliche Krimis geschrieben, wo von vornherein klar war, wer der Täter ist.
Du hast schon das buy out der Privaten angesprochen. Generell soll das Geschäft durch sie härter geworden sein. Wie sind da Deine Erfahrungen?
Zingler: Es werden viel mehr Stoffe gebraucht, von daher kann es gar nicht härter sein. Dadurch fangen unheimlich viele zu Schreiben an, und so sieht das Programm dann auch aus. Für gute Autoren ist der Markt aber ertragreicher geworden. Alles das, was ich bei den öffentlich-rechtlichen noch in der Schublade hatte, wird mir jetzt aus der Hand gerissen. Die harte Gangart betrifft andere Dinge: Das Geld und vor allem, wie sie damit umgehen. RTL ist bekannt dafür, daß es Sendungen einführt und absetzt, wenn es mal nicht läuft - je nach Gusto, obwohl gerade die abgesetzten Sachen nicht einmal die schlechtesten sind. Das betrifft auch den Umgang mit den Autoren von Seiten der Redaktion, die in einem Maße verunsichert sind und immer Angst um ihren Stuhl haben, daß sie eigentlich nicht wissen, was sie wollen. Sie wollen nur, daß jeder Deutsche vor dem Fernseher sitzt. Das ist natürlich eine nicht zu erreichende Quote. Die Sender verdienen allein mit dieser Quote ihr Geld, das macht aber den, der mit den Stoffen umgehen soll, nicht sicherer. Und deswegen erlebt man als Autor da böse Überraschungen - heute so, morgen so. Daß man, wenn der Stoff einem Regisseur nicht gefällt, einen neuen Regisseur sucht, wie es bei den öffentlich-rechtlichen durchaus möglich war, gibt es da nicht. For allem, weil alles „gestern geschrieben, morgen gedreht“ wird. Dadurch ist eine wahnsinnige Hektik entstanden.
Profitiert der Kinofilm durch den von den Privaten ausgelösten Produktions-Boom?
Zingler: Man hat immer die Hoffnung. Ich bin aber nicht der Meinung, daß es dem Kinofilm durch die Privaten besser gehen wird. Sagen wir einmal so, die von den öffentlich-rechtlichen geförderten Filme waren selten ein Erfolg, weil meines Erachtens die Fernsehanstalten und auch die Fördergremien zu intellektuell besetzt sind. Die möchten gerne das sehen, was sie gerne selbst sehen möchten. Die haben einfach den allgemeinen Publikumsgeschmack nicht. Das sollte man den Privaten eigentlich zutrauen. Die wollen ja nichts anderes, aber bis jetzt packen auch die es nicht, einen Kinofilm so zu fördern, daß er Erfolg hätte. Ich wüßte zumindest keinen. Auch ist ihre Beteiligung an zu viele Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel „Das Fest“ ist von zwei privaten Sendern nicht gekauft worden, obwohl sie meinten, es sei eine schöne Geschichte, aber sie sagten, „es paßt nicht in unser Programmschema“. Aber ich muß sagen, daß sie und die Förderanstalten mich abgelehnt haben, spornt mich eher noch mehr an. Sokrates hat einmal gesagt, er kennt keinen garantierten Weg zum Erfolg, aber kennt den Weg zum Mißerfolg, nämlich, es allen recht machen zu wollen.
Warum machst Du jetzt Kino?
Zingler: Ich mache ja noch weiter Fernsehen. Ich unterbreche nur, um diesen Kinofilm zu machen und auch Regie zu führen, aus zwei Gründen: Keine Fernsehanstalt wird mich mit einer Regiearbeit betrauen, denn die haben ihre Vorstellungen. Man nimmt nur das, was man kennt. Und ich bin manchmal mit der Umsetzung meiner Drehbücher nicht zufrieden gewesen. Im besten Fall liegt die Deckungsgleichheit bei 80 Prozent, sie lag aber auch schon bei unter 50 oder gar bei Null. Das hat mir gestunken. Um nun zu beweisen, daß ich auch Regie führen kann, muß ich auch als Mitproduzent Geld auftreiben erst einmal einen Film machen, der hoffentlich auch ein Erfolg wird. Und es gibt schwierige Stoffe, wo jemand, der nicht meine Erfahrung hat, Schwierigkeiten hat. Wie jetzt: das ist ein reiner Knastfilm, der eine Komödie werden soll. Ich denke, da habe ich am meisten Gespür für die Atmosphäre.
Und Du hast keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung Deiner Bücher?
Zingler: Da habe ich natürlich meine Schwierigkeiten. Ich habe gleich am ersten Drehtag eine Einstellung vergessen. Aus mir wird nicht sofort Sam Housten. Aber im großen und ganzen, was das Führen der Schauspieler auf den Punkt hin, den ich haben will, angeht, da sehe ich keine Schwierigkeiten. Auch deshalb habe ich mir immer kleine Szenen in die Bücher geschrieben, um auf Kosten der Produzenten am Drehort sein zu können, um mir die Regisseure anzuschauen. Wie löst er denn jetzt die Szene auf, die in meinem Kopf so umgesetzt war? Dann entscheide ich für mich, ob das stimmt oder nicht. Wenn ich dann den Film sah, habe ich auch schon manchmal festgestellt, daß ich ihm Unrecht getan hatte. Aus solchen Dingen habe ich gelernt.
Wo habt ihr das Geld für den Film herbekommen, und wie hoch ist der Etat?
Zingler: Der Etat läuft bei knapp vier Millionen. Wir haben uns das Geld von Privatleuten besorgt, von Sponsoren. Schauspielern, Regisseuren und Produzenten, also einige Leute haben auf ihre Honorare vorerst verzichtet, bis wir einen Fernsehverkauf haben. So kam das Geld zusammen. Alles Bekannte und Freunde.
Wohl dem der Freunde hat...
Zingler: Aber auch eine Last, denn man ist zum Erfolg verdammt. Ich möchte ja nicht irgendwann auswandern. Ich will ihnen das Geld zumindest zurückgeben können.
Was sind die nächsten Projekte im Fernsehen?
Zingler: Also im Moment läuft ganz viel. Zu Zeit werden gerade fünf Filme gedreht: ein Tatort in Wien, in Hamburg „Blackjack“, eine Musikkomödie; für das ZDF wird gerade ein ganz heißer Psychothriller gedreht, in Berlin meine Folgen der „Straßen von Berlin“ für Pro Sieben. Und im nächsten Jahr läuft eine ganze Menge: Da läuft erst einmal die Tresko-Reihe auf Sat. 1, dann die neue Pro Sieben-Folgen und ein oder zwei Tatort und noch einige Fernsehspiele. Ach ja, und den Rosa Roth mit Iris Berben darf ich nicht vergessen. Ich würde mal schätzen, es laufen 15 bis 18 Filme von mir.
Wieviel Bücher hast Du denn im Jahr in Arbeit?
Zingler: Das ist unterschiedlich. Im letzten Jahr natürlich mehr als am Anfang. Aber zum Teil sind es alte und schon entwickelte Geschichten, so daß es schnell geht. Ich bin jetzt zehn Jahre im Geschäft und habe 62 Drehbücher geschrieben.
Kommt man da nicht irgendwann einmal an eine Grenze?
Zingler: Natürlich kommt man an die. Und zwar immer dann, wenn durch Produktionstermine sehr viel auf einmal auf eine Endfassung zugeht. Wenn man morgens in Berlin die erste und zweite Drehbuchbesprechung hat und nachmittags die dritte in Hamburg, dann wirft man schon mal die Namen durcheinander. Die ewige Reiserei ist das Problem, weil Redakteure den neuesten Stand wissen oder mitreden wollen. Und oft kommt nicht viel dabei heraus.
Das Gespräch führte Dieter Brockmeyer
Kategorie: Interview
Schlagworte: Drehbuch
