GRIP 13

01.11.1995

Regie-Debüt: „Denise Calls Up", von Hal Salwen

Von Peter Claus

Hollywoods Weihnachtskollektion '95 folgt dem Trend der Modebranche: Second hand ist in, verschlissene Erinnerungen an Ideale vorgeblich besserer Tage. Martin Scorsese beschwört in seinem monströs mißlungenen Las Vegas-Mafia-Opus „Casino“ die 70er und 80er Jahre, Rob Reiner verhökert in seiner Washington-behind-closed-doors-Schmonzette „The American President“ mit marktschreierischer Verlogenheit noch einmal die Illusion vom starken Mann als Engel der Verlorenen im Staub der schnöden Wirklichkeit und drumherum gewittert der Lärm billiger Bond-Bubies im Zeichen der political correctness.

Nirgendwo auch nur ein Hauch von Wirklichkeit - im mainstream. Wieder einmal ist es ein independent movie, das einen Gegenentwurf zum mittelmäßigen Standard offeriert: „Denise Calls Up“, Regie-Debüt des 26jährigen Hal Salwen, Absolvent der New York University Film School. Salwen, der auch das Drehbuch schrieb, beweist ein ausserordentliches erzählerisches Talent von erfrischend schwarzhumoriger Färbung.

Voller Lust an satirischer Zeitzeichnung kreist die Story um den Alltag einer Gruppe wohlsituierter junger Leute. Sie verdienen ihr Geld mit geistiger Arbeit, überwiegend vom häuslichen Computer, Fax und Telefon aus. Die moderne Technik gibt ihnen die Freiheit totaler individueller Lebensgestaltung. Doch diese Freiheit erweist sich als Falle: Die Medien-Maniacs reduzieren nämlich auch sämtliche persönlichen Angelegenheiten auf Trips per Chips, von der Geburt bis zum Tod.

Titelheldin Denise schießt dabei den Vogel ab: Sie hat sich schwängern lassen - nicht per Computer-Kopulation, aber ebensowenig auf althergebrachte Art, sondern vermittels künstlicher Befruchtung. Mutterschaft via Samenbank. Kurz vor der Entbindung befällt sie der Wunsch, den Vater ihres Kindes zu kontaktieren. Denise greift zum Handy und hebt damit für alle Beteiligten wahrlich die Welt aus den Angeln...

Die Dialoge glitzern von geschliffenem Sarkasmus, der jede moralisierende Botschaftelei elegant umschifft und den Film in eine seit den Zeiten des seligen Noel Coward kaum mehr erreichte Höhe der Konversationskomödie hebt. Die jungen, weitgehend noch unbekannten Schauspieler servieren den von Szene zu Szene makaberer Reigen sozialer und psychologischer Deformation mit trockenem und darum besonders wirkungsvollem Witz. Der auch Raum für Romantik läßt, und dies nicht allein in bizarrer Färbung: Barbara und Jerry werden durch ihre gemeinsame Freundin Gale per Telefon miteinander verkuppelt - und erleben eine Affaire, die einleuchtend erklärt, was unter einem „heißen Draht“ zu verstehen ist. Mit einer am besten durch das Wort Chuzph zu benennenden Selbstsicherheit erlaubt sich der Autor-Regisseur Salwen dabei eine erstaunliche dramaturgische Pirouette: Fern von kinoüblichen Telefonsex-Klischeés erobert bezwingende Erotik die Leinwand. Mancher/m Zuschauer/in dürfte das eine recht irritierende Erfahrung bescheren.

Salwen entwickelt die Erzählung fast ausschließlich über Großaufnahmen und Halbtotalen der Protagonisten im Käfig ihrer Techno-Einsamkeit, erreicht dabei dank pointierter Fabelführung einen packenden Spannungsbogen von großem Charme, hinter dessen sanftem Lächeln selbstverständlich beständig eine herrliche Bosheit steckt. Wesentlichen Anteil daran hat die mit prickelnder Intelligenz choreogra- phierte Kamera, von Michael Mayers gleichsam im Walzertakt geführt.

Wie gefährlich der grassierende Kommunikations-Kult per Tastendruck ist, belegt einer der groteskesten Momente des Films mit gänsehautträchtigem Nachdruck: Die Quasselstrippe Gale greift zum Hörer während sie ihr Auto durch Manhattan chauffiert. Es ist ihr unwiderruflich letztes Telefonat - zur Warnung für die Nachwelt en detail auf dem Anrufbeantworter einer Freundin aufgezeichnet.

 

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Spielfilm

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