GRIP 13

01.11.1995

Porträt: Rolf Silber

Von Hilde Weeg

Der 1953 in der Nähe Frankfurts geborene Regisseur und Drehbuchautor Rolf Silber arbeitet derzeit an der Fertigstellung der Komödie „Echte Kerle", die in Köln und Frankfurt gedreht wurde und im Mai '96 herauskommen wird. Es ist die Geschichte des Frankfurter Polizisten Christoph, dessen Leben sich radikal ändert, als er den schwulen Automechaniker und -dieb Edgar kennenlernt. Als Darsteller werden u. a. Carin C. Tietze, Christoph M. Ohrt, Tim Bergmann und Oliver Stokowski zu sehen sein.
Rolf Silber, der als Jugendlicher zunächst eine Banklehre absolvierte, erlernte das Filmemachen an der Filmhochschule Berlin.
Sein erster Spielfilm „Kassensturz", den er gemeinsam mit Michael Smeaton produzierte, entstand 1984 in Frankfurt. Für den Hessischen Rundfunk schrieb er (oft gemeinsam mit Rudi Bergmann) Drehbücher und führte Regie u. a. in „5 Zimmer, Küche, Bad", „Ausgespielt" und „Willkommen in Babylon".
Neben zahlreichen Drehbüchern veröffentlichte er 1993 mit „Heiter Skelter" (Eichborn-Verlag) seinen ersten Roman. Er ist mit Doris Engelke verheiratet und lebt in Frankfurt.

Wie finden Sie die Themen für Ihre Filme?

Das geht von Situationen aus, teils von selbst erlebten, teils von Berichten in der Zeitung. Manchmal trifft man Personen, von denen man denkt „um Gottes willen, was ist denn das für einer“ und überlegt sich, ob einem dazu eine Geschichte einfällt. Oft denken Rudi Bergmann und ich uns aber auch Knobelaufgaben aus. Einer kommt mit einem Thema, das ihn gerade beschäftigt und wir entwickeln dann spielerisch, manchmal als Rollenspiel, eine Geschichte dazu. So sind z. B. auch die „Echten Kerle“ entstanden.

Wie haben Sie das Drehbuchschreiben gelernt?

So wie viele andere: Ich wollte als Regisseur einen Film drehen, für den ich kein Drehbuch fand. Also habe ich selbst eines geschrieben - und dabei die Erfahrung gemacht, daß das Schreiben für mich eine mögliche Ausdrucksform ist, die mir enorm Spaß macht.

Sollte Ihr erster Roman „Helter Skelter“ ursprünglich ein Drehbuch werden?

Ich hatte schon lange vor, ein Buch zu schreiben. „Heiter Skelter“ ist 1990 in einer Übergansphase entstanden, als ich mich gerade von der „Frankfurter Filmproduktion“ getrennt hatte und als Freelancer begann. Mittlerweile gibt es Pläne, den Stoff zu verfilmen. Ich bin allerdings zu nah dran, um das selbst zu machen.

Finden sich Ihre Bekannten und Freunde als Figuren in Ihrem Buch oder Ihren Filmen wieder?

Nein, dann hätte man in kürzester Zeit keinen Freundeskreis mehr - das sind Schachtelfiguren, zusammengesetzt aus realen und fiktiven Anteilen verschiedener Personen. Erste Vorgaben für ein Drehbuch sind Genre und Thema - und dann fangen wir an, uns die Menschen mit Eigenarten vorzustellen, die dazu passen könnten.

Machen Sie nur noch Komödien?

Das hat sich in letzter Zeit so ergeben. Es ist aber auch ein Krimi entstanden und für’s ZDF eine Art Melodram: „Tödliche Hochzeit“. Komödien aber vor allem wohl deshalb, weil es uns liegt und weil uns die Leute mittlerweile danach fragen. Ein Wunschtraum ist, ‘mal eine Slapstickkomödie zu drehen, aber das ist in Deutschland zur Zeit nicht vorstellbar: Demnächst werden wir wieder einen Krimi schreiben, um da ein zweites Standbein zu entwickeln. Es ist hierzulande gar nicht gesund, wenn man auf ein Genre festgelegt wird.

Meinen Sie, daß es im Ausland leichter ist, Komödien zu machen?

Komödien sind sehr kulturspezifisch - nicht jeder Humor läßt sich übertragen. In London zum Beispiel wurde ich als deutscher Komödienregisseur eher belächelt. Deutsche Komödien lassen sich im Ausland schwerer absetzen, als Produktionen aus anderen Genres.

Ärgert es Sie nicht, daß es zur Zeit sehr viele deutsche Komödien gibt?

Nein, erstmal freut mich jeder deutsche Filmerfolg. Noch Mitte der 80er Jahre war das Stichwort „deutscher Film“ beim Kinopublikum mit der Vorstellung von Langeweile und Ödnis verbunden. Jeder Kinoerfolg trägt dazu bei, dieses Image abzubauen. Wenn Komödien im Moment das Mittel dafür sind, dann wird’s halt mehr Komödien geben. Nur - auf die Dauer ist es sicher gefährlich, so einseitig zu bleiben.

Welche Vorbilder haben Sie für Ihre Arbeit?

Schwer zu sagen, das ist bunt gemischt. Die komischen Filme von Louis Malle - der gerade gestorben ist - finde ich toll. „Zazie“ zum Beispiel kann man in keinem Genre unterbringen - schon deshalb würde man dafür in Deutschland keine Auftraggeber finden. Dann gibt es die klassischen amerikanischen Filmemacher - alles, was in den 30er bis 50er Jahren Screwball Comedies gedreht hat. Aber es gibt auch unter den moderneren Regisseuren Leute, die ich toll finde - Rob Reiner und Stephen Frears gehören zum Beispiel dazu.

Vor 11 Jahren drehten Sie Ihren ersten Spielfilm, „Kassensturz“. Damals beklagten Sie die für Filmemacher mangelnde Infrastruktur in Frankfurt. Hat sich Frankfurt seitdem, Ihrer Meinung nach, zur Filmstadt entwickelt?

Frankfurt hätte Anfang/Mitte der 80er Jahre Filmstadt werden können, aber sowohl die Stadt wie auch das Land haben den Anschluß verschlafen und nicht erkannt, was für ein Wirtschaftsfaktor dahinter steht - in den USA zählen Medienprodukte zu den wichtigsten Exportartikeln. Inzwischen ist aber auch hier der Sog so groß, daß trotz der ungünstigen Bedingungen eine zwar kleine, aber ganz ansehnliche Filmindustrie entstanden ist. Leider fehlt aber der Zusammenhalt innerhalb der Szene, um in der Öffentlichkeit wirksamer auftreten zu können.
Für hiesige und auswärtige Produktionen bleibt die Stadt aber auch deswegen interessant, weil sie tolle Kulissen bietet.

Ist Ihr Film vom Land Hessen gefördert worden?

Nein. „Echte Kerle“ ist ein gutes Beispiel für die absurde Situation in diesem Bundesland. Der Film wird von Bayern und Nordrhein-Westfalen gefördert. Dadurch entstand die Schizophrenie, daß wir zwar in Frankfurt gedreht haben - aber kaum Schauspieler und Teams von hier beschäftigen konnten, weil die Quote vom Gesamtetat dafür nicht ausreichte. Dies Beispiel macht das Dilemma deutlich: Wenn hier die Mittel zur Kinofilmproduktion - die setzt nunmal die Standards - fehlen, kommen auch keine Filme hierher. Umgekehrt werden hiesige Produktionsfirmen, die höchsten Ansprüchen genügen, nicht beschäftigt, weil die Gelder in anderen Regionen gebunden sind.

Welches Filmprojekt würden Sie gern realisieren - angenommen, Sie hätten die freie Wahl?

Ich würde gern einmal ganz wegkommen von den realistischen Filmen und märchenhaftere Formen probieren: mehr über Bilder, als über Dialoge erzählen oder bestimmte absurde Situationen zulassen. Nur - wenn man heute so ein Drehbuch möglichen Geldgebern vorlegen würde, käme gleich das große Kopfschütteln. Sowas kann man wohl erst machen, wenn man in der Branche soviel Vertrauensvorschuß hat, daß die’s auf einen Versuch ankommen ließen. Im Grunde hätte so ein Film viele Eigenschaften vom Kinderfilm, der leider in seinen Möglichkeiten unterschätzt wird. Man darf ja kaum sagen, daß man gern Kinderfilme macht, weil man sehr schnell den Aufkleber verpaßt bekommt, sein Handwerk nicht richtig zu können. Dabei ist die Formenvielfalt enorm - und auch die Ansprüche an die technische Umsetzung, zum Beispiel bei Puppentrick- oder Zeichentrickfilmen. Es sind ganz andere Erzählweisen möglich, die einen Riesenspaß machen. Das hab’ ich unter anderem an der Arbeit für „Käpt’n Blaubär“ gemerkt, an dessen Entstehung ich beteiligt war. Solche Formen auch für Erwachsene umzusetzen, das würde ich gern machen.

Welche Rolle hat der Hessische Rundfunk bei Ihrer Karriere gespielt?

Eine sehr positive. Als Michael Smeaton und ich 1980 anfingen, gab der hr uns die ersten Aufträge. Danach habe ich viele Kinderfilme für den hr gemacht - zum Beispiel um die 100 Animationsspots für das Sandmännchen. Dabei hab’ ich viel gelernt - einfach durch’s Machen: Regie, Kamera, Schreiben, selber geschnitten - den gesamten Produktionsgang. Nachdem ich 1990 Freelancer wurde, hat mich der hr mit der Regie für „5 Zimmer, Küche, Bad“ beauftragt - und daraus hat sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt. Die Produktionsteams sind - entgegen mancher Gerüchte - hochprofessionell.

Was sind Ihre Kriterien für einen guten Film?

Ein guter Film ist einer, der mich „wirklich hat“ - das heißt, daß ich erstmal nicht über Kamera und Technik nachdenke, sondern daß ich in die Handlung und in die Geschichte des Films hineingezogen werde; das ist mein Hauptkriterium. Wenn die Leute aus dem Kino kommen und unterhalten sich als erstes über die Ausstattung oder die Kameraführung, dann hat dieser Film ein Problem.

Kommen Sie überhaupt ausreichend dazu, ins Kino zu gehen?

Nein, sicher nicht. Es gibt aber immer wieder Phasen, in denen ich mir zehn, fünfzehn Filme in kurzer Zeit ansehe. Allerdings brauche ich manchmal sehr lange, um Filme zu sehen, die mir andere ganz besonders empfohlen haben. Die sind dann so besetzt von Vor-Urteilen, daß ich den Film gar nicht mehr für mich entdecken kann.

Welche Besonderheiten gab es bei der Produktion von „Echte Kerle“?

Zum einen sind wir erstmal vom „Bewegten Mann “ umgeworfen worden, weil es thematische Ähnlichkeiten gab - und wir schon seit Jahren an dem Stoff gearbeitet hatten. Nachdem wir aber festgestellt haben, daß unser Film ganz anders ist, konnten wir wieder arbeiten. Zum anderen treffen in diesem Film vier besonders unterschiedliche Charaktere aufeinander, was die schauspielerische Leistung und die Regiearbeit besonders interessant machte.

Welche Rollen übernehmen Sie als Regisseur?

Es hat keinen Wert, diktatorisch aufzutreten. Ich sehe meine Aufgabe darin, wie ein Hütehund dafür zu sorgen, daß man gemeinsam eine bestimmte Strecke bewältigt - aber laufen müssen die Schauspieler und alle anderen schon allein. Die Rolle des Regisseurs wird in Deutschland generell überschätzt - sowohl bei Erfolgen wie auch bei Mißerfolgen wird er meist allein verantwortlich gemacht. Dabei ist jeder Film ein kollektiver Prozess.
Für mich war die Erfahrung sehr wichtig, selber mal als Schauspieler vor der Kamera gestanden zu haben. Ich habe festgestellt, daß man sich in dem grellem Licht und mit den Anweisungen aus dem Off manchmal sehr alleine fühlt. Seitdem kann ich die Situation von Schauspielern nachvollziehen - und das kommt der Arbeit sehr zugute. Ich muß am Drehort auch nicht unbedingt da sein, wo die Kamera steht. Ich bin lieber nah bei den Schauspielern selbst, um zu sehen, wie es ihnen geht. Wenn ein Vertrauensverhältnis entsteht, sind sie dann auch eher bereit, Dinge auszuprobieren und über ihren eigenen Schatten zu springen.

Haben Sie eigentlich eine Kritikinstanz für ihre Filme, bevor sie veröffentlicht werden?

Die erste Instanz ist sicherlich die Cutterin, die das Material sichtet. Da muß man sich dann schon von Szenen trennen, die einfach nicht funktionieren - auch wenn man dafür u. U. vier Stunden im Regen gestanden hat. Ein ganz kritischer Punkt kommt regelmäßig kurz vor dem Rohschnitt. Man sieht alles Material - und damit auch alle Fehler, die man gemacht hat - und der Film fließt noch nicht richtig. Das ist für mich regelmäßig der Tiefpunkt, dann kommen die großen Zweifel. Da kommt man letztlich nur ‘raus, wenn man den Film zeigt. Ohne die Beurteilung von Außenstehenden an diesem Punkt geht es nicht, weil man sehr schnell betriebsblind wird - und auch im Team die Gefahr besteht, daß man sich gegenseitig den Film schönredet. Es gibt aber nichts Peinlicheres, als wenn sich der Regisseur zu Tode amüsiert, und hinter ihm läuft das Publikum ‘raus. Ich habe also lieber beim Rohschnitt das große Muffensausen und bei der Premiere einen guten Film, als umgekehrt.

Kategorie: Interview

Schlagworte: Filmemacher*in

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