GRIP 13

01.11.1995

10 Jahre Frankfurter Filmschau. Zur Geschichte

Die Filmschau ist ein wanderndes und sich wandelndes Festival. Zunächst als reine Werkschau geplant, öffnet sie den Kreis, holt das hessische Filmschaffen aus seiner Regionalität und stellt es mit Hilfe historischer Filmreihen und thematisch bestimmter Filmprogramme in seinen politischen und filmästhetischen Kontext. Die 10. Frankfurter Filmschau schließt den Kreis und besinnt sich auf ihren Werkschaucharakter.

Von Eva Heldmann

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Die erste Frankfurter Filmschau fand 1984 in der Harmonie, in einem Zelt vor dem Kino und dem Roten Club statt. Eine Gruppe von Film- und Kinomachern aus dem Filmbüro Hessen entwickelte die Idee und das Konzept und war vor allem mit Neugierde auf Filme, die in Hessen entstanden waren, bei der Sache. Auf drei Leinwänden wurden über 100 Filme projiziert: Filme von Rena und Thomas Giefer bis Reinhard Kahn, von Malte Rauch bis Lucie Herrmann, von Thomas Carle bis Noll Brinkmann. Im Anschluß an die Filmprogramme wurde bis spät in die Nacht im Café Golowin gefeiert. Die erste Filmschau zeigte überwiegend Dokumentarfilme, die sich mit sozialen und politischen Themen, wie z. B. der Startbahn West oder der Frauenbewegung, auseinandersetzten. Die Filme repräsentierten eine starke Dokumentarfilmszene in Hessen.
Die erste Filmschau wollte mit der Präsentation der Vielfalt und Fülle regionalen Filmschaffens auf die Notwendigkeit einer kulturellen Filmförderung in Hessen hinweisen. Die Schau war durchaus erfolgreich, denn 1985 wurde die Hessische Filmförderung eingerichtet.

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1986 fand die 2. Frankfurter Filmschau im Südbahnhof/ Sachsenhausen und im Kommunalen Kino statt. Deutlich veränderten die Arbeiten der Filmemacher/innen der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und Filmemacher/innen der Filmklasse der Städelschule, die dieses Mal zahlreich auf der Filmschau vertreten waren, den Charakter des Festivals. Experimentelle Arbeiten und Kurzfilme erweiterten das Spektrum der Dokumentarfilme. Mit der Reihe „Hommage an Alfred Edel“ wurde der in Frankfurt lebende Star und Darsteller geehrt. Zusammen mit Alfred Edel feierte das Publikum seine Filme mit einem ausgewählten Programm und würdigte seine Bedeutung in der Frankfurter Kulturszene, der er seit den sechziger Jahren angehörte. Ursprünglich als reine Werkschau angelegt, die den Austausch der Filmemacher untereinander und mit ihrem Publikum ermöglichte, begannen die Organisatoren das Konzept der Filmschau zu erweitern. Sie holten die hessischen Filme aus ihrer Regionalität und stellten sie in einen allgemeinen filmpolitischen und ästhetischen Kontext. Unter dem thematischen Schwerpunkt: „Was ist ein Dokumentarfilm? “ zeigte Alf Bold internationale Kurzfilme und Found Footage-Filme: Beispiele zur Veränderung in der Filmgeschichte. Urs Breitenstein und Thomas Mank veranstalteten die Reihe „Modelle: Ton und Bild“ - eine Anregung zur weiteren Erfindung des Tonfilms. Ausgewählte Filmprogramme aus Birmingham, Lyon und Mailand gaben einen aktuellen Einblick in das dokumentarische Filmschaffen von drei Frankfurter Partnerstädten.

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1987 präsentierte die dritte Frankfurter Filmschau ihre Programme im Orfeo und der Frauenschule. Die Filmschau zeigte zum ersten Mal, neben einer durch die Filmschaugruppe selbst getroffenen Auswahl von unabhängigen Filmen, und vom Land Hessen geförderte Filme und konzipierte drei weitere Themenschwerpunkte, die die anwachsende Präsenz von experimentellen- und Kurzfilmen auf der Frankfurter Filmschau reflektierten. Udo Serke lud mit seinem Programm „Kurzfilme zwischen Kunst, Video und Kino“ drei Kuratoren mit ausgewählten Kurzfilmen ein: Karola Gramann, Christoph Janetzko und Manfred Salzgeber. Eine abschließende Diskussion thematisierte die Perspektiven von Kurzfilmen im Kino. Ines Sommer stellte aktuelle Arbeiten von Filmkünstlern aus Chicago vor: „Chicago - Frankfurt Film Exchange“. Ein Programm Frankfurter Experimentalfilme wurde zwei Monate zuvor auf dem Chicagoer Experimentalfilmfestival aufgeführt. Eine dritte Filmreihe, „Filme von Frauen: 1964 - 87“, vermittelte Einblicke auch in hessisches Frauenfilmschaffen.

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1989 fand die 4. Frankfurter Filmschau wieder in der Harmonie und im Kommunalen Kino im Deutschen Filmmuseum statt. Neben dem Hauptprogramm mit hessischen Produktionen, wurde die Filmschau einem thematischen Schwerpunkt „Film und Kritik“ zugeordnet. „Diese konzeptionelle Neuerung soll auch einem Stukturverlust entgegenwirken, wie er mittlerweile selbst auf renommierten Festivals zu beobachten ist... und zugleich auf eine lange Tradition der Filmkritik in Frankfurt hinweisen. “ (Katalog, 4. Frankfurter Filmschau). Nach dem Filmprogramm folgte abschließend eine Podiumsdiskussion mit Kritikern zum gegenwärtigen Stand der Filmkritik und ihren Problemen.

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Von 1990 bis 1993 fand das Festival seine repräsentativen Orte in den Aki-Kinos im Hauptbahnhof und im Werkstattkino Mal Seh’n. Ideal waren die Räumlichkeiten des Aki mit seinen drei Kinos, dem Foyer als Treffpunkt mit dem Blick auf die Gleise, dem urbanen Charakter und der spezifischen Ästhetik der 60er Jahre, die von der Geschichte der Kinos zeugte. 1995 wich das Kino den Umbauten zu einem Ärztezentrum und zur Einkaufspassage.
Karola Gramann übernahm die Leitung des Festivals und verhalf der Filmschau zu einem professionellen Profil. Zum ersten Mal traf eine Jury (Helke Misselwitz, Mo Beyerle und Jochen Lempert) aus der Anzahl der eingereichten unabhängigen Filme eine Auswahl. Die 5. Frankfurter Filmschau wählte den thematischen Schwerpunkt oppositionelle Möglichkeiten des Films als ästhetische und politische Praxis. Folgende Programme waren zu sehen: „Images of Aids - Filme zu Aids“ mit geladenen Gästen aus San Francisco und Berlin und einer abschließenden Podiumsdiskussion; der Beitrag „Emile de Antonio“, Dokumentarfilme. „Hommage á Delphine Seyrig“ - ausgewählte Filme eines Stars, der mit unbekannten und unabhängigen Fihnemacher/innen zusammenarbeitete. Delphine Seyrig starb kurz vor Beginn der Filmschau am 15. 10. 1990.

6./7.
1991: 6. Frankfurter Filmschau: „Tribut an Knokke“, eine Auswahl von Filmen des Experimentalfilmfestivals in Knokke aus den Jahren 1967/68.
1992: 7. Frankfurter Filmschau: „Retrospektive Studiokino Frankfurt“ und die „Retrospektive Hamburger Filmschau 1968“, die unter dem Motto „Die Unabhängigkeit vom Establishment“ stattfand.

8.
1993 war die 8. Frankfurter Filmschau dem „Abschied von Alfred Edel“ gewidmet, der im Sommer 1993 gestorben war. Ein großes Fest mit Filmen ehrte seine Arbeit als Darsteller und als kritischer Verfechter von Filmkultur und Kino. Zusätzlich wurde die Filmreihe „Retrospektive 25 Jahre Filmabteilung an der Universität - Gesamthochschule Kassel“ gezeigt. Die 8. Filmschau war wesentlich durch die Turbulenzen des hessisch geförderten und von den Medien zum Skandal hochgeputschten Films „Beruf: Neonazi“ geprägt. Der Film wurde beschlagnahmt und konnte nicht gezeigt werden. Die Filmschau machte bundesweit Schlagzeilen.

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1994 fand die 9. Frankfurter Filmschau wieder in der Harmonie und dem Mal Seh’n statt. Neben einer Auswahl unabhängiger Filme und den Produktionen der Hessischen Filmförderung veranstaltete die Filmschau die Reihe „Hommage an Robert Bresson“ im Kommunalen Kino und das Programm „Film und Musik - Musik und Film“ in Zusammenarbeit mit der Filmmusikklasse der Wiesbadener Musikakademie.

10
1995 betonte die 10. Frankfurter Filmschau ihren Werkschau- und Werkstattcharakter. Sie rückte Filme, die in Hessen und durch die Hessische Filmförderung entstanden waren, wieder in den Mittelpunkt. Die 10. Schau machte deutlich, daß neben der Präsentation von Dokumentarfilmen die Präsenz von experimentellen Filmen und Kurz(spiel)filmen öffentlich sichtbar geworden war. Neben der Dominanz der Neuen Medien und der oft katastrophalen Situation der Filmförderung ist der Widerspruch zwischen einem allgemeinen Abgesang der Kinokultur und einer regen unabhängigen Filmproduktion erstaunlich. Die Filmschau begreift sich als Ort, an dem der Widerspruch produktiv gemacht werden kann. Sie versteht Film immer noch als politisches Medium, das gegen den Strich liest und um Sichtweisen und Erkenntnisse bemüht ist das aufklären und eingreifen kann. Welche unterschiedlichen Filme dabei entstehen, läßt sich jedes Jahr erfahren und diskutieren.

Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)

Schlagworte: Festival

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