GRIP 11

01.07.1995

Werkstätten im Industriezeitalter

Ein kurzer Bericht über die Drehbuchwerkstatt München

Von Georg Gilcher

Die Drehbuchwerkstatt betreut pro Jahr zehn junge Autorinnen und Autoren. Man bewirbt sich mit dem Exposé eines Stoffes, den man in der Werkstatt zum Drehbuch ausarbeiten will. Die Träger der Drehbuchwerkstatt sind der Freistaat Bayern, der Bayerische Rundfunk und die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film.

Den ausgewählten Stipendiaten wird ein Lebenskostenzuschuß gewährt, der ihnen erlaubt, ihre beruflichen Pflichten einzuschränken, um so mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

Erwartet wird von den Stipendiaten am Ende des Jahres ein Drehbuch für einen abendfüllenden Spielfilm/Fernsehfilm, wobei die Genres vom Krimi über Drama bis zur Komödie reichen. Um dieses Ziel zu erreichen, bietet die Drehbuchwerkstatt zwei Hilfen an: Die Betreuung und den Seminarbetrieb.

Die zehn Betreuer sind erfahrene Autorinnen und Autoren, aber auch Redakteure oder Produzenten. Sie bilden gleichzeitig die Auswahlkommission der Werkstatt und sind ihr meist schon längere Zeit verbunden. Jeder Stipendiat wird mit einem persönlichen Betreuer „gekoppelt“, der ihm vom Exposé bis zum fertigen Buch als Gesprächspartner zur Verfügung steht. Etwa alle zwei Monate versammeln sich alle Stipendiaten mit allen Betreuern zum Plenum, um die Entwicklung der einzelnen Projekte zu diskutieren. Alle Teilnehmer der Werkstatt sind so stets auf dem neuesten Stand der Projekte - man kennt die Arbeit der Anderen und kann sich über Fortschritte und Probleme austauschen.

Was darüber an Einzelgesprächen mit den Betreuern läuft, ist nicht „offiziell“ geregelt - die Erfahrung zeigte, daß manche diese Möglichkeit mehr nutzten, andere weniger. Das hängt allein vom Interesse und der Initiative der Teilnehmer ab.

Der Seminarbetrieb beginnt mit einer sechswöchigen Basis-Veranstaltung und setzt sich über das ganze Jahr hin fort; etwa alle zwei Monate finden einwöchige Seminare mit verschiedenen Dozenten statt.

Geprägt durch das „mythologische“ Strukturmodell, das durch Schlesinger/Cunningham zur Zeit große Popularität genießt, waren die Seminare oft psychologisch orientiert: Die „Heldenreise“ bietet momentan wohl den besten Ansatz zur Film- und Drehbuchanalyse und die Parallelen zur „Reise der Autoren“, die ihre Heldin oder Helden begleiten, liegen auf der Hand. Es ist übrigens ein besonderes Vergnügen, dieses Modell aus erster Hand kennenzulernen, wie überhaupt gerade die amerikanischen Dozenten stets auch durch ihre Performance beeindrucken. Neben dem mythologischen Modell fanden aber auch andere Ansätze ihren Raum. So analysierte z. B. Linda Seeger eine Woche lang unsere Bücher; als „Script-doctor“ in Hollywood ist sie in ihrer Arbeit an den klassischen Erzählmustern der amerikanischen Kinos orientiert.

Wieder anders war die Vorgehensweise des Regisseurs Dieter Berner, der unsere Stoffe von der Autorenseite her anging und die Parallelen zwischen Autorenbiographie und Stoffauswahl beleuchtete - ein Seminar, das sich in Übungen und Diskussionen mit unseren Motivationen, Wünschen und nicht zuletzt Blockaden beschäftigte.

Während im Lauf des Jahres das eigene Buch langsam Form annimmt, bringen die Seminare immer wieder neue Aspekte und Ideen. Schreibübungen, Filmanalysen, Filmtheorie, Spielübungen -die Anregungen ermöglichen auch immer eine neue Herangehensweise an das eigenen Buch.

Das letzte Seminar gilt dem Markt und seinen Anforderungen an Autoren: Redakteure, Produzenten, Agenten erläutern ihre Sicht (und Bedarf) vom Drehbuch; ehemalige Stipendiaten berichten aus dem „Leben danach“.

Im Laufe des Werkstatt-Jahres wird die einsame Schreibtischarbeit also immer wieder durch neue Anregungen und Diskussionen unterbrochen. Natürlich bleibt hierbei nicht aus, daß die unterschiedlichen Meinungen, Modelle und Erfahrungen im Autor (je nach Konstitution) zur Konfusion führen. Allein im Plenum bekommt man immerhin zwanzig verschiedenen Meinungen zum eigenen Buch zu hören... Die Verwirrung bleibt nicht aus und vor Widersprüchen ist keiner geschützt.

Aber warum auch? Es ist an sich unmöglich, Drehbuchschreiben als sture Systematik zu lehren. Wer den Fehler macht, „mit dem Gesetzbuch in der Hand“ schreiben zu wollen, verkennt die Bedeutung von Theorie, überschätzt die Regeln und unterschätzt die Notwendigkeit, einen eigenen Ansatz zu finden.

Die Drehbuchwerkstatt versteht sich weder als Projektförderung, noch will sie ihre Teilnehmer dem Markt anpassen. Sie will Autoren ausbilden.

Ihr Verdienst liegt darin, daß sie jungen Autorinnen und Autoren Ausblicke ermöglicht, wobei im Vordergrund stets der schöpferische Prozeß des Schreibens steht. Und dadurch lernen die Teilnehmer ihre eigenen Arbeit besser kennen und einzuschätzen, um mit diesem Rüstzeug den verschiedensten Anforderungen des Berufs begegnen zu können.

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Ausbildung/Weiterbildung/Studium, Drehbuch

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